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Blick in die Geschichte Nr. 100

vom 20. September 2013

Zeitzeugen berichten

Bernd Bechtold

Unternehmer, Ehrenpräsident der IHK Karlsruhe

Bernd Bechtold

Blick: Herr Bechtold, Sie sind Dipl.-Ing. (FH) und haben nach Führungsaufgaben in zwei Karlsruher Dienstleistungsunternehmen im Alter von 34 Jahren die Firma b.i.g. in Karlsruhe gegründet und diese mit vielen Standorten in Europa zu großem Erfolg geführt. Sie waren zudem bis zum März dieses Jahres zehn Jahre Präsident der IHK und wurden schon einmal als "Gesicht einer ganzen Wirtschaftsgeneration" bezeichnet.

Aus Sicht der Wirtschaftsstatistik zählt ihr Unternehmen als Dienstleister zum sogenannten tertiären Sektor. Nun hat auch in Karlsruhe in den vergangenen Jahrzehnten ein Wandel in der Wirtschaftsstruktur stattgefunden, der dazu geführt hat, dass die Zahl der Beschäftigten im produzierenden Gewerbe deutlich abgenommen hat, während sie im Bereich der Dienstleistungen gestiegen ist.

Bechtold: Tatsächlich kann man rückblickend, wenn man die Zahlen betrachtet, von einer Entwicklung von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft sprechen. Von 1975 bis 2012 stieg die Zahl der Beschäftigten im Bereich der IHK Karlsruhe von 314.000 auf 409.000, in der Industrie sank sie dagegen von 140.000 auf 100.000.

Blick: Für Karlsruhe, dem größten Industriestandort der Region, sank die Zahl der Industriebeschäftigten prozentual noch stärker nämlich von 44.000 auf 19.000, während sie im Dienstleistungssektor von 25.000 auf 42.000 anstieg. In Karlsruhe erinnern sich sicher viele noch an die Namen nicht mehr hier produzierender Industriebetriebe unter anderen Junker & Ruh, Singer, DB-Eisenbahnausbesserungswerk, Lubeca, Grundig, IWKA oder in Durlach Pfaff, Badische Maschinenfabrik und Ritter AG. Wie lassen sich diese Veränderungen, die auch als Deindustrialisierung oder Tertiärisierung bezeichnet werden, erklären?

Bechtold: Ich möchte zuerst unterstreichen, dass es ohne die Industrie als Basis nicht die Blüte gäbe, die der Dienstleistungssektor inzwischen erreicht hat. Dem liegt folgende Überlegung zu Grunde: Ein Fertigteil, an dem früher zehn Menschen gearbeitet haben, wird heute von einem Roboter gefertigt. Der aber muss zuerst hergestellt und mit speziell entwickelter Software in Gang gesetzt werden. Zudem muss dafür gesorgt werden, dass ihm die erforderlichen Ausgangsprodukte rechtzeitig zugeführt werden. Und dahinter stehen Dienstleistungen. Unter dem Begriff werden zwar gemeinhin immer noch zuerst etwa Reinigungsdienste verstanden. Man fasst heute aber darunter etwas viel Weitergehendes. An der Rastatter Autoproduktion lässt sich das gut zeigen. Aus den Hallen rollt zwar das "Industrieprodukt" Auto, doch dieses wird dort aus Teilen zusammengebaut, die zum großen Teil von Fremdfirmen "just in time" angeliefert werden. Die notwendigen Dienstleistungen sind unter anderen EDV-Anwendungen, Logistik und Koordination der Zulieferungen von zugekauften Teilprodukten. So findet man auf dem Rastatter Firmengelände eine große Zahl völlig selbständiger mittelständischer Betriebe, die viele Elemente von der Software bis zu größeren Bauteilen für die A- und B-Klasse liefern. Andere technische Neuentwicklungen wie z. B. Navigationssysteme werden ebenfalls zugekauft und von dienstleistenden Ingenieurbüros für die Marke Daimler Benz adaptiert. Wer in der Produktherstellung heute erfolgreich sein will, der muss Innovationen aufspüren und sie in den eigenen Produkten sinnvoll zusammenführen.

Blick: Sie beschreiben einen industriellen Produktionsprozess, der sich von dem traditionellen Bild deutlich unterscheidet. Große Industriebetriebe hatten früher von den Entwicklungsbüros bis zum Endprodukt alle Fertigungsstufen unter dem eigenen Firmendach. Ihre Innovationen haben sie durch Patente geschützt, um den technologischen Vorsprung vor der Konkurrenz zu sichern.

Bechtold: Wir müssen uns tatsächlich die Frage stellen, liegt industrielle Produktion nur dann vor, wenn geschraubt, gebohrt und gefräst wird? Diese manuellen Arbeitsprozesse sind heute weitgehend dorthin abgewandert, wo sie billiger angeboten werden. Was aber nach wie vor in Karlsruhe und der Region geblieben ist, bzw. in starkem Maße weiter entwickelt wurde, das ist die Herstellung hochentwickelter technischer Bauteile. So ist z. B. die Firma E.G.O. mit Sitz in Oberderdingen einer der weltweit größten Hersteller von Technologien, Komponenten und Steuerungselektronik für Haushaltsgeräte - insbesondere Kochherde. Dadurch, dass heute der Produktionsprozess in starkem Maße durch Outsourcing spezieller Komponenten und von deren Zusammenführung geprägt ist, erhält der Begriff der Dienstleistung einen anderen Stellenwert. Es geht nicht um konsumnahe Dienste wie im Einzelhandel oder für die Freizeit. Es geht um industrienahe Dienstleistungen, die durchaus als Produktionsfaktor verstanden werden müssen. Insofern ist auch der Begriff der Deindustrialisierung nicht treffend. Was wir in den vergangen 50 Jahren erlebt haben ist ein Veränderungsprozess, der für dynamische Volkswirtschaften nicht ungewöhnlich ist. Im Übrigen muss man auch sehen, dass jene Firmen, die Bauteile für die Autos liefern, wie etwa Bosch durch die Kooperation mit vielen Auftraggebern sehr viel mehr Input bekommen und dadurch ihre Innovationskraft sich deutlich erhöht. Wenn wir heute feststellen, dass die Zahl der Patentanmeldungen rückgängig ist, so hat das weniger mit mangelnden Innovationen zu tun. Es ist vielmehr so, dass Innovationen viel schneller in neue Produkte umgesetzt werden müssen, da sonst die Nachahmer aus Fernost zuerst auf dem Markt sind.

Blick: 1981, als Sie ihr Unternehmen gründeten, standen Outsourcing und produktionsnahe Dienstleistungen erst noch am Anfang der später boomenden Entwicklung. Haben Sie damals bewusst auf Dienstleistungen gesetzt, weil Sie der Zukunftsfähigkeit dieses Geschäftsmodells vertrauten?

Bechtold: Es gibt Niemanden, der in Zukunft schauen kann. Ich wollte immer Unternehmer werden und habe diesen Schritt in einem Bereich gewagt, dessen Markt ich aus meiner vorangegangenen Beschäftigung u. a. bei der Fiducia gut kannte. Von dem, was wir heute tun, hatte ich weder eine Ahnung, noch habe ich im Traum daran gedacht. Wir haben heute 30 Firmen, davon 15 mit völlig unterschiedlichen Aufgaben. Das ist die Basis, auf der aufbauend wir immer wieder neu kombinierte Dienstleistungen anbieten können. In Leipzig haben wir z. B. die Betreuung einer Großbaustelle übernommen. Das heißt wir haben Bauzäune, Baucontainer und Baukräne gestellt, die Anlieferung durch die Lkw gesteuert, Zugangskontrolle und Sicherheit der Baustelle gewährleistet, die Stromversorgung und das Datennetz geplant und ausgeführt sowie die Abrechnung mit den Baufirmen erledigt.

Blick: Die eingangs genannten Beschäftigtenzahlen belegen, dass Sie und andere Unternehmer seit den 1980er Jahren viele neue Arbeitsplätze schaffen und so die Verluste im produzierenden Gewerbe kompensieren konnten. Was waren nach ihrer Einschätzung die Ursachen dafür, dass in Karlsruhe und der Region der Strukturwandel in der Wirtschaft ohne krisenhafte Zuspitzungen von statten ging?

Bechtold: Das sind im Wesentlichen zwei Gründe: Zum einen die bestens aufgestellten, von den Unternehmern selbst geführten mittelständischen Betriebe, die dank ihrer Größe und des Engagements der Eigentümer eine rasche Reaktion auf veränderte Rahmenbedingungen ermöglichen. Und zum zweiten die exzellente Bildungs- und Forschungsinstitutionen in der Region mit dem KIT an der Spitze. Sie sind die Basis dafür, dass Ideen für neue Produkte, neue Dienstleistungen entstehen, die dann auch in den bestehenden Firmen umgesetzt oder durch Neugründungen von Betrieben auf den Markt gebracht werden. Aus den Bildungs- und Forschungseinrichtungen erwächst der Wissens- und Technologievorsprung, der unseren Produkten auch auf dem Weltmarkt eine führende Stellung verschafft. Es ist deshalb ein Riesenfehler, von Kosten für die Bildung zu sprechen. Die dort eingesetzten Mittel sind Investitionen für die Zukunft, denn wenn das Ausland uns in diesem Punkt überholt, werden wir schlechte Karten haben.

Blick: Sie haben die Bedeutung der Bildungs- und Forschungseinrichtungen angesprochen, zu denen auch etwa die Fraunhofer-Institute gehören. In der Summe haben sie Karlsruhe zur Stadt gemacht, in der die Zahl der in der Forschung Tätigen bundesweit einen Spitzenplatz einnimmt. Dank eines Schwerpunkts auf der Informationstechnologie erhielt die Region zudem den Ruf eines deutschen Silicon Valley mit anhaltend innovativen Entwicklungen im Bereich von Information und Kommunikation. Welche Rolle spielte auf dem Weg dahin die Wirtschaftsförderung durch Stadt, Land und IHK Karlsruhe etwa durch die 1984 geschaffene Technologiefabrik?

Bechtold: Mit der Technologiefabrik hat man eine sinnvolle Einrichtung geschaffen, die jungen Unternehmern, die ja teilweise direkt von den Hochschulen kommen, quasi ein Gewächshaus bietet, in dem sie langsam wachsen können. Zudem erfahren sie dort durch die Bereitstellung von Infrastrukturen eine Betreuung, die es ihnen ermöglicht, sich ganz auf die Entwicklung und den Vertrieb ihrer Produkte und Dienstleistungen zu konzentrieren. Den außerordentlichen Erfolg dieser Förderung dokumentieren die Zahlen: Seit 1984 entstanden in der Tefak 300 Unternehmen, von denen heute noch 97 % bestehen. Geschaffen wurden so etwa 6.000 Arbeitsplätze. Bei der Firma Brandmaker sind es über 200, um nur ein Beispiel zu nennen. Eine Förderung durch die Gewährung lediglich eines finanziellen Zuschusses zur Firmengründung hätte sicher kaum zu diesem Erfolg geführt, hätte nicht die nötige Motivation und die erforderlichen Kräfte für die Gründungsbereitschaft freigesetzt.

Blick: Niemand kann die Zukunft voraussagen, wie Sie zu Recht gesagt haben. Gleichwohl haben wir alle die Zukunft im Blick und hegen Erwartungen und Hoffnungen.

Bechtold: Für die künftigen Entwicklungen sehe ich die Region bestens aufgestellt. Wir haben vor einigen Jahren beim Krisenreden nie mitgemacht, weil wir nicht wirklich eine hatten. Von den Erfolgsfaktoren, über die wir gesprochen haben, haben wir mehr als andere. Deshalb können wir durchaus optimistisch in die Zukunft blicken.

Die Fragen stellte Manfred Koch.

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