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Blick in die Geschichte Nr. 100

vom 20. September 2013

Heimattage Baden-Württemberg 2017

Heimat Großstadt?

von Leonhard Müller

Während 1977 zum 5. Trachtenfest auf einem Plakat ein Junge und ein Mädchen in Schwarzwälder Tracht vor den Umrissen Karlsruher Bauten Besucher begrüßt, fand 1983 das Trachtenfest mit einer Öffnung in das Internationale statt, um Teilnehmer zu interessieren. Wie wird es 2017 sein?

2017 werden in Karlsruhe Heimattage gefeiert. Diese Veranstaltungsreihe wird getragen vom Landesausschuss Heimatpflege Baden-Württemberg jeweils mit einer anderen Stadt. Die Heimattage, deren Veranstaltungen sich über mehrere Monate erstrecken, gibt es seit 1978 vorzüglich in Klein- und Mittelstädten. 2008 war Ulm die erste Großstadt, die daran teilnahm, und nun in vier Jahren Karlsruhe als zweite, wo erste Planungen getroffen werden. Wer die reizvollen Heimattage im Milieu kleiner, überschaubarer Kommunen erlebt hat, kann nachdenklich werden, was wohl in einer 300 000 Einwohner zählenden Kommune geschehen soll.

Heimat, das war für die geschundene Kriegsgeneration nach 1945 eigentlich nur das Zuhause, gerettet oder zerstört, keine besondere Vokabel, denn im NS-Regime wurde "Heimat" mit dem "Blut und Boden"-Begriff rassisch entwertet. Aber der andere Begriff der "Heimatvertriebenen" machte deutlich, was die "Umsiedler" verloren hatten, mittellos, ohne Arbeit, die in den engen Wohnungsmarkt hineindrängten, sich fremd in westdeutschen Städten fühlend. Da gab es von beiden Seiten Abwehrhaltungen gegenüber dem anderen Dialekt, den fremden Gebräuchen, der anderen Konfession. "Heimatvertriebene" wurde ein politischer Begriff, und eine eigene Partei kämpfte für einen Lastenausgleich und neue Startbedingungen.

Das Ziel einer späteren Zusammenlegung der südwestdeutschen Staaten zu einem gemeinsamen Land mobilisierte den Heimatbegriff in vielfältiger Weise. Da war das Schrecknis eines Stuttgarter Zentralstaates, da festigte man im badischen Heimatbund eine Defensivstellung und über das Politische hinaus wurden die einzelnen Kulturregionen in ihrer Eigenart beschworen, die Pfälzer, die Alemannen, die Geschichte, die Tradition. Das Ringen um den Namen eines neuen Landes zeigte die Verwirrung jener Jahre. Wer wollte schon in "Rheinschwaben", einem Kunststaat, leben?

Heimat Karlsruhe?

Für Karlsruhe war es ein doppelter Bruch. Einst Regierungssitz im Großherzogtum und in der Weimarer Republik, nach 1945 noch Zentrale im "Landesbezirk Baden" des Landes Württemberg-Baden, und nun ausgeschaltet. Heimat, ein Wort, in dem auch Stolz auf eine angesehene Stadt mit überregionaler Bedeutung mitschwang, das war beschädigt. Trotz machte sich breit, erst böse, heute oft in Schwabenwitzen verzettelt.

Doch es kam anders. Karlsruhe wurde "Residenz des Rechts", mit Forschungszentren zur "Wissenschaftsstadt", mit wachsender Industrie in Verbindung mit der Universität Kopf einer "Technologieregion". Und das brachte Zuwanderer aus allen Teilen der Bundesrepublik, auch aus dem Ausland. Karlsruhe, das war nicht mehr die alte Beamtenstadt, die sich schon seit 1900 so nicht mehr verstand. Mit wachsenden Wohnsiedlungen, den Eingemeindungen benachbarter Kommunen, der zunehmenden beruflichen Mobilität ergab sich bald ein buntes Bevölkerungsbild. Man lebt zwar gern in Karlsruhe, wem ist es jedoch Heimat im engeren Sinn? Studenten kommen und gehen, machen Karlsruhe nicht zu einer Studentenstadt, Künstler vagieren, bilden kein Bohème-Viertel, Beamte und Richter aus allen Ländern wohnen in Reihenhäusern mitten unter alten Karlsruhern, auch die Migranten schaffen keine Insel. Man trifft sich in der Mittelschicht, von einigen Nobeladressen abgesehen. Ist Karlsruhe eine profillose Großstadt geworden, deren zentrale Dienste, den flüssigen Nahverkehr, das Kulturleben man zwar schätzt, was man aber auch in jeder anderen Stadt fände, ohne deshalb besondere Emotionen zu wecken? Und hier nun Heimattage?

Heimat Karlsruhe!

Wer als eiliger Journalist eine Reportage nach kurzem Besuch schriebe, dem kämen wohl Zweifel. Man muss schon länger hier gelebt haben, um zu finden, dass die Karlsruher sehr wohl wissen, wo und wie sie hier leben. Da ist natürlich zunächst die humane Nähe, in der man wohnt, die Straße, der Platz, die Läden, wo man sich trifft, miteinander spricht. Aber dann die unterschiedlichen Stadtviertel, alte, teils wieder aufgebaute, ja eingemeindete, einst ursprüngliche Kommunen. Alle haben ihre Bürgervereine, 27 an der Zahl, die sich um das Wohl und Wehe kümmern, leise Kritik an Planungen üben, manchmal laut Unterschriften sammeln, ja zu Demonstrationen aufrufen können, wenn der Nerv getroffen scheint. Ihre Mitteilungsblätter spiegeln ein waches Bewusstsein, Verwurzelung mit der Bevölkerung. Neben früheren Dörfern mit Fachwerkhäusern, älter als Karlsruhe, liegen moderne Wohnsiedlungen ohne Tradition. Wie denkt, wie fühlt man dort?

In den USA wurde Ende des Jahrhunderts der Kommunitarismus in Hochschulen gelehrt, der sich gegen einen reinen Individualismus mit seinen vorherrschenden Rechten gegen den Staat wehrte und vielmehr für die Einbettung des Einzelnen in Gemeinschaften, in politische oder kulturelle Gruppen votierte, in denen man vor allem Pflichten für den Staat erwartete. In den USA hatte man die hingewürfelten Wohnvororte wachsender Metropolen im Sinn, denen man eine Seele einhauchen wollte. Soweit ist es in Karlsruhe zwar nicht gediehen, denn hier gibt es noch viele örtliche Traditionen. Die Geschichtswerkstätten mit ihren Vorträgen, ihren Publikationen sprechen dafür. Aber es geht darüber hinaus um Werte im Zusammenleben, moralische Ressourcen zu wecken, und dafür spricht jene Zahl von 85.000 Ehrenämtern.

Man flieht nicht in Rückzugsräume, in eine romantische Spitzweg-Idylle, wiewohl Tradition auch verpflichten kann. Der moderne Heimatbegriff bedeutet jedoch nicht alleiniges Stöbern in der Asche, sondern die Glut darunter zum Leuchten zu bringen. Vorbei ist auch das Jahrzehnt jener trivialen Heimatromane, der Heimatfilme. Heute kann man unter Heimat auch die aktive Bürgergesellschaft verstehen, offen und integrationsfähig für Fremdes, mitwirkend am kommunalen Geschehen statt passives Hinnehmen in Gefühlen, als Medium praktischer Auseinandersetzung und Gestaltung menschenwürdiger Verhältnisse. Wer immer so denkt, solches spürt, fürchtet nicht die Verlorenheit im globalen Zeitalter noch die Anonymität im Digitalen, er erfährt "Daheim-Geborgenheit", denn hier sind auch Emotionen gefragt. Wo fände man das besser als in den Gemeinschaften unserer Stadtviertel, in dieser so betrachteten Bürgerstadt? Und drum kann man auch in Karlsruhe Heimatfeste feiern, weil sie aus dem Alltag heraustretend uns vor Augen führen, was diese Stadt liebenswert macht.

Der 300. Geburtstag 2015 könnte als Präludium dienen, wenn die Bürgerschaft sich nicht nur als passiver Konsument von städtischen Events versteht, sondern selbst dazu beiträgt, ihr Profil zu zeigen. In Großherzogs Zeiten ließ man geduldig die Obrigkeit walten. Heute kann jeder mitwirken und als Mosaikstein dem Tableau Karlsruhe seine Farbe geben.

Dr. Leonhard Müller
Der Autor ist Historiker und lebt in Karlsruhe.

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