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Blick in die Geschichte Nr. 101

vom 3. Januar 2014

Nach Kriegsausbruch 1914

Briefe von der Front an die Karlsruher Heimat

von Hansmartin Schwarzmaier

Karlsruhe im Frühjahr 1914. Es herrscht tiefster Friede und alles geht seinen gewohnten Gang. Zwei Freunde, der später durch seine feinsinnigen Novellen bekannt gewordene Friedrich Franz v. Unruh und der gleichaltrige Karl v. Babo, beide Leutnants im Bad. Leibgrenadierregiment 109, fanden keinen Anstand, ihren ohnehin langsam zur Routine werdenden Kasernendienst zu unterbrechen. Sie kratzten ihre Ersparnisse zusammen, erbaten Urlaub, der ihnen anstandslos gewährt wurde, und begaben sich auf eine Italienreise, die sie bis nach Sizilien führte. v. Unruh hat diese in seinem Erinnerungsbüchlein beschrieben, das er 50 Jahre später veröffentlichte, als er sich dessen bewusst war, wie nahe man schon damals am Abgrund stand. Doch ein Krieg, so hatte er 1914 geglaubt, war ja "in unserem zivilisierten Jahrhundert kaum denkbar". Er folgt da dem britischen Publizisten Norman Angell (Friedensnobelpreis 1933), der 1910 in einem auch in Deutschland viel gelesenen Buch die Meinung vertreten hatte, im Zeitalter der Globalisierung seien alle Länder so stark miteinander verknüpft, dass ein großer Krieg unsinnig und vor allem auch wirtschaftlich nicht mehr denkbar sei.

Nach Karlsruhe zurückgekehrt nahmen die jungen Offiziere ihren Dienst fürs Vaterland wieder auf, und Unruh bekräftigt ihre ernste Dienstauffassung, schildert aber zugleich das heitere und unbeschwerte Gesellschaftsleben in der Residenz. v. Babo war der Sohn eines hohen Richters, der eine Villa in der Karlsruher Weberstraße bewohnte, nahe der Kadettenanstalt und der Kaserne seines Regiments, der renommierten Leibgarde in der Moltkestraße. Ebenso verhielt es sich bei seinem Vetter Gerhard v. Babo, ein Jahr jünger als Karl und auch er Leutnant bei den 109ern. Seine Eltern wohnten in der Hoffstraße, also auch er in dem neu erbauten Villenviertel der Karlsruher Westens. Sein Vater war Hugo v. Babo, der Vorstand des Geheimen Kabinetts des Großherzogs, und in diesen dem Hof nahe stehenden Kreisen sah man sich häufig und tauschte Informationen und Meinungen aus. Auch hier herrschte in jenen Tagen keinerlei Kriegsstimmung.

Den 28. Juni, das Attentat von Sarajewo, empfand man auch in Karlsruhe als schwerwiegendes Ereignis und versuchte seine Folgen abzuschätzen. Doch als v. Unruh und v. Babo erneut beantragten, einen Sommerurlaub in den Dolomiten antreten zu dürfen, wurde dem nichts in den Weg gelegt. Auch der Kaiser hatte ja seine übliche Nordlandreise nicht abgesagt, und so ging der Alltag während des ganzen Juli weiter. Eine Postkarte vom 21. Juli, die Karl v. Babo an seine Eltern schickte, kam aus der Vajoletthütte in den Dolomiten und erzählt von der Besteigung des Kesselkogel, eines 3.000 m hohen Gipfels im Rosengarten. Auch Unruh unterschreibt und erzählt später in seinem Erinnerungsbuch von den damals unternommenen Touren. Die Postkarte leitet eine Serie von 36 Briefen und Karten ein, die sich im Familienarchiv v. Babo im Generallandesarchiv Karlsruhe erhalten haben und aus denen im Folgenden zitiert wird.

Kriegsbeginn und Verwundung

Auf den Berghütten las man keine Zeitung, und die beiden zum aktiven Heer gehörigen Offiziere waren dort nur schwer erreichbar. Doch die Mobilmachung der ersten Augusttage brachte ihnen den Befehl "sofort zurückkehren. Regiment 109". Was nun folgte, war ein militärischer Automatismus, der die Soldaten mit allen Aufgaben konfrontierte, auf die sie in ihrer Ausbildung in der Theorie vorbereitet worden waren. Karlsruhe war der Aufmarschplatz Nr. 1, und von dort rollten die Züge nach Süden, an die elsässische Front, wo es den französischen Truppen gelungen war, in schnellem Vorstoß Mühlhausen einzunehmen. Eine erste Postkarte Karls vom 8.8. kommt aus Rastatt "Marschrichtung Süden". Dann folgt ein ausführlicher Bericht vom 11.8. aus Mühlhausen. In Riegel war man ausgeladen worden, war nach Breisach marschiert und sogleich weiter in die Frontlinie. Beim ersten Gefecht, dem Übergang über eine Brücke beim Mühlhausener Nordbahnhof, wurde Karl verwundet, Durchschuss am Oberschenkel, ein Splitter an der Hand, so dass er ins Lazarett geschafft wurde. Für einige Wochen war der Krieg für ihn beendet, ehe er, Anfang September, zu seiner Einheit zurückkehren konnte.

Die Verluste an diesen ersten Kampftagen waren groß. Am 13. August fiel sein Vetter Gerhard v. Babo im selben Abschnitt, und auch v. Unruh wurde wenig später verwundet. Karl kommentiert dies mit großer Sachlichkeit. Er nimmt den Tod vieler Kameraden und Freunde zur Kenntnis als jemand, der sein Handwerk gelernt hat und wusste, dass es im Ernstfall mit dem Tod verbunden war. Aber er musste auch wahrnehmen, dass vieles von dem, was die angehenden Offiziere auf der Kriegsschule gelernt hatten, entsprechend der Theorie aus dem Unterricht alter Offiziere, deren Fronterfahrung 40 Jahre zurücklag, in den ersten Kriegstagen versagte, als sie mit Todesverachtung an der Spitze ihrer Mannschaften gegen den Feind stürmten, was vielen dieser jungen Offiziere das Leben kostete. Doch Karls Kriegsberichte, also auch die folgenden, wirken frisch und fast fröhlich, sind geprägt von Siegeszuversicht und dem Bewusstsein der Überlegenheit über den Gegner, der "ausgerissen ist" nachdem man ihn tüchtig "vermöbelt" hat.

Kriegsalltag an der Front und in der Etappe

Es folgen Briefe, in denen realistisch und detailliert vom Alltag an der Front und in der Etappe berichtet wird, dem Wechsel von Hunger und Überfluss, unsäglichem Schmutz und Leiden im schlammgefüllten Schützengraben und den erhebenden Augenblicken beim Besuch des Großherzogs. Der Junge aus gutem Hause, der so etwas noch nie mitgemacht hatte, ist stolz darauf, dies zu bewältigen. Doch auffallend ist, wie genau der junge Leutnant diejenigen militärischen Vorgänge wiedergibt, die er aus seiner Sicht einordnen konnte. Da Vater und Onkel zu den bestinformierten Kreisen der Karlsruher Gesellschaft gehörten, scheute er sich nicht, die Orte zu nennen, an denen er sich aufhielt, was den Soldaten eigentlich verboten war. Doch auf diese Weise decken sich seine brieflichen Berichte in vielen Fällen mit dem Kriegstagebuch der Leibgarde 109.

Der weitere Weg ist schnell erzählt. In dem Etappenort Metz (3.9.) genießt man den Besuch des Großherzogs, der Orden verteilt. In Baccarat (Lothringen) erscheint erstmals ein "Feldwebel und Oberbaurat Ostendorf, Professor und Leuchte der Wissenschaft, ein sehr netter Herr, den wir alle gern haben", bald darauf wird er Leutnant und Kompanieführer. Die Karlsruher wissen, wer gemeint ist. Dort, im westlichen Vorland der Vogesen, liegt Karl "Tag und Nacht im Wald und im Schützengraben". Seine Wunde ist inzwischen verheilt und er hat die Führung seiner Kompanie übernommen, die viele ihrer Offiziere verloren hat. Dort, bei Baccarat, ist am 3. September der sozialdemokratische Landtags- und Reichstagsabgeordnete Ludwig Frank gefallen, ein schwerer Verlust für Baden. Karls Marsch führt weiter nach Norden Richtung Metz. Für kurze Zeit ist man wieder "auf deutschem Boden", also rechts der Mosel (14.9.), und daran schließen sich wieder Tage "im Schützengraben" an. Ein ausführlicher Brief kommt aus Fey-en-Haye, einem schwer umkämpften Ort links der Mosel bei Pont-à-Mousson. Doch die Frontlage scheint undurchsichtig, und Karl nimmt am 30.9. Stellung dazu. Zu Hause, so meint er, rede man von Misserfolgen, und dem müsse man entgegentreten. Denn "wenn wir angreifen, dann siegen wir", so seine apodiktische Einschätzung der Lage. In Wirklichkeit sind auch ihm die Truppenbewegungen nicht klar, und er weiß nicht, dass die große Schlacht um Paris, also die Marneschlacht, die Wende des deutschen Angriffskrieges brachte. Aber er erlebt den deutschen Versuch, zur Kanalküste vorzustoßen, der dann zu den furchtbaren Schlachten an der Somme führen sollte.

Auszeichnung mit dem Eisernen Kreuz

In der Tat kommt nun eine Postkarte aus Luxemburg, eine weitere, nach 30stündiger Bahnfahrt, aus Namur, und nach nochmaligen 52 Stunden auf der Bahn ein Brief aus Belgien, wo die Truppe in St. Ghislain an der belgisch-französischen Grenze ausgeladen wird. Er schreibt: "Belgien ist ein wunderbares Land. Man sieht so überall den Wohlstand. … Die Bevölkerung ist freundlich und ruhig, macht aber einen verschlagenen Eindruck. Es ist bei uns Befehl, daß kein Mensch allein im Quartier liegt. … Unser Quartierwirt macht einen vorzüglichen Eindruck und bewirtet uns, vor allem die Mannschaften, glänzend. Verständigung geschieht auf Französisch. Was die Kriegslage betrifft, so wisst Ihr wahrscheinlich gerade soviel wie ich."

Wichtiger jedoch ist ihm die lakonische Meldung, er habe das Eiserne Kreuz erhalten: "habe nun die schönste Stunde meines Lebens erlebt". Und danach (10.10.) "Wie ich mich darüber gefreut habe, könnt Ihr Euch denken, denn es ist der schönste Orden, den man sich erwerben kann." Die folgenden Stationen liegen in Flandern, bei Lens im nordfranzösischen Kohlenrevier südlich von Lille und nur noch 60 km von der Kanalküste entfernt. Hier hat man die Orte Loos und Vermelles zu suchen, auch das Dorf Hulluch, auf dessen Friedhof Karl seinen Freund Leublfing begraben musste. Dort, in Loos, erzählt er, wie sie den 44. Geburtstag des frischgebackenen Leutnants Ostendorf bei Huhn, Sekt und 1aPfirsichkuchen gefeiert haben. Das schwere Artilleriefeuer, das den dortigen Stellungskrieg begleitet, regt ihn zu nachdenklichen Worten an: "Unsere schwere Artillerie ist fleißig bei der Arbeit, Gebäude zu zerstören, die alle besetzt sind. Es ist eine außerordentlich schwere Kriegführung hier in diesem so dicht bevölkerten Land. Die wirtschaftliche Schädigung, die wir dem Land zufügen, ist auch enorm. Es sollen allein für etwa 400 Millionen Grubenwerke zerstört sein. Bedenkt man, daß Frankreich an Geld fast das doppelte braucht als für seine Armee, da wir uns ja ganz aus dem Land ernähren, so darf man glaube ich bald damit rechnen, daß Frankreich genug hat, wenn es nicht gänzlich auf den Hund gebracht werden will".

Die Kirche von Hulluch als Lazarett 1914, Foto aus: Hauptmann a.D. v. Hugo (Hrsg.): Unser Korps 1914/15. Ein Erinnerungsbuch, Seite 70.

Und dann kommt der Brief vom 30.10. "aus dem Schützengraben". Er beginnt mit einem Glückwunsch zur Silbernen Hochzeit der Eltern mit rührenden Dankesworten. Dann heißt es: "Der dreckige Briefbogen rührt daher, daß wir jetzt den 9. Tag hier liegen. Wir bestehen nur noch aus Dreck …. Wir haben dabei eine sehr unangenehme Tätigkeit, viel unangenehmer als die andern. Der Feind merkt nämlich recht wohl, daß wir hier schwach sind und versucht seit einigen Tagen dauernd einen Durchbruch, hat sich aber bis jetzt und hoffentlich auch weiter blutige Köpfe geholt. In unserer Lage, dauernd im Art.- und wenn sich einer zeigt auch im Inf.feuer, braucht man vor allem eines, Nerven. Die habe ich gottlob….".

Gefallen bei Vermelles

Wenige Stunden später ist Karl v. Babo gefallen. Er sei "auf Patrouille bei Le Rutoire, einem Gehöft bei Vermelles, gewesen, als er zur Erkundung der feindlichen Stellung eine Leuchtpatrone abschoss und sich dadurch selbst des Schutzes der Dunkelheit beraubte", steht in der Regimentsgeschichte. Und danach liest man: "Der Ausbau der Stellungen schritt trotz des unausgesetzten Geschosshagels rüstig fort. Zum ersten Male wurden unter Leitung des Leutnants d. R. Ostendorf, seines Zeichens Professor und bekannter Architekt an der Technischen Hochschule Karlsruhe, damit begonnen, Unterstände als minierte Stollen auszuheben…". Ostendorf ist dann, um auch dies noch anzufügen, am 15. März 1915 bei den furchtbaren Kämpfen um die Lorettohöhe gefallen. Bei seiner Beisetzung auf dem Friedhof in Lens hätten sich viele Angehörige auch anderer Truppenteile eingefunden, auch ehemalige Schüler der TH Karlsruhe, die ihrem hochverdienten Lehrer den Scheidegruß darbringen wollten.

Über das Grab Karls von Babo berichtet sein Bursche Bach, der beim Tod seines Leutnants neben ihm stand. Begraben wurde Karl auf dem Friedhof in Hulluch, neben dem Grab Leublfings. Später wurden die Gräber auf den Soldatenfriedhof in Lens verlegt. Doch das schönste Denkmal hat ihm Friedrich v. Unruh gesetzt. In seinem Erinnerungsbuch, das mit dem Jahr 1914 abschließt, widmet er dem Freund warme und einfühlsame Worte des Gedenkens. Sie sind zugleich eine Liebeserklärung des aus Ostpreußen kommenden Dichters an die Stadt Karlsruhe, die ihm Karl nahegebracht, sie ihm geradezu verkörpert habe. Den Fortgang des Krieges, den v. Unruh mit schweren Verwundungen überlebt hat, beschreibt er nicht, für seine Grausamkeit und den Massenmord an einer jungen Generation fehlten ihm, so scheint es, die Worte. Die jungen Offiziere, von denen hier die Rede war, haben die Tragweite dieses Krieges noch nicht erkannt, in dem sie geopfert wurden. Doch wir verstehen heute das Versagen der Politiker aller Länder, sehen die Unwissenheit, die sträfliche Gedankenlosigkeit, mit der man in einen Weltenbrand hineintaumelte, in dem das alte Europa unterging und der die Katastrophe des 20. Jahrhunderts einleitete.

Prof. Dr. Hansmartin Schwarzmaier, Leitender Direktor des Generallandesarchivs Karlsruhe i. R.

Literatur

Rudolf v. Freydorf: Das 1. Badische Leibgrenadier-Regiment Nr. 109 im Weltkrieg 1914-1918, Karlsruhe 1927; Friedrich Franz von Unruh: Ehe die Stunde schlug. Eine Jugend im Kaiserreich, Bodman/Bodensee 1927; Florian Illies: 1913. Der Sommer des Jahrhunderts, Frankfurt a. M., 7. Auflage 2013.

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