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Blick in die Geschichte Nr. 104

vom 19. September 2014

"Los von Karlsruhe!"

Die Ausgemeindungsbestrebungen Knielingens im Jahr 1949

von René Gilbert

Am 1. April 1935 wurde die bis dahin selbstständige Gemeinde Knielingen auf Anordnung des badischen Gauleiters Robert Wagner nach Karlsruhe zwangseingemeindet. Es war der erste Vorgang dieser Art in der Fächerstadt seit der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Jahr 1933. Am 1. April 1938 sollte mit Hagsfeld und Durlach auf die gleiche Weise verfahren werden. Ende der 1940er Jahre kam es in Durlach und Knielingen etwa zeitgleich zu Ausgemeindungsbestrebungen. Während diese in Durlach so weit gingen, dass sogar der Verwaltungsausschuss des württemberg-badischen Landtags sich mit dieser Angelegenheit beschäftigte, blieben sie in Knielingen bei einem Strohfeuer, das gelöscht wurde, bevor es überhaupt richtig zu brennen begonnen hatte. Dieser Umstand ist möglicherweise der Grund dafür, dass es in der Karlsruher Stadtgeschichtsschreibung hierüber bisher zu keiner näheren Untersuchung gekommen ist. Im Folgenden sollen daher die damaligen Geschehnisse dargestellt und bewertet werden.

Kundgebung vor dem Knielinger Rathaus am Tag der Eingemeindung, 1. April 1935

Das Flugblatt

"Einwohner von Knielingen! Knielingen, Euer Heimatort, eine uralte selbständige Gemeinde, wurde trotz heftigem Widerspruch seiner Bürger und Einwohner […] seiner Selbständigkeit beraubt und der Stadt Karlsruhe einverleibt." Mit diesen Worten begann jenes Flugblatt, das die 1946 gegründete Knielinger Bürger-Kommission, die Vorläuferorganisation des 1959 gegründeten Bürgervereins Knielingen, im November 1949 herausgab, um bei den Knielingerinnen und Knielingern um Unterstützung für die Ausgemeindung aus Karlsruhe zu werben.

Konkret wurden zunächst die "gut geordnete[n] Verhältnisse" in Knielingen vor der Zwangseingemeindung gelobt. So besaß die Gemeinde "zirka 600 ha gut gepflegten Wald", „11 gemeindeeigene Gebäude“ und hatte "ein modernes Schulhaus". Dies in Verbindung mit der "eigene[n] Wasserleitung, Kanalisation, Friedhofhalle", sowie der "rasche[n] Erledigung der Amtsgeschäfte auf dem eigenen Rathaus" bildeten "die Grundlagen der damals zufriedenen Gesamtbevölkerung."

Flugblatt der Knielinger Bürger-Kommission von 1949 mit dem Aufruf zur Unterstützung der Ausgemeindungsbestrebungen Knielingens

Im weiteren Text des Flugblatts wurde schließlich der Eindruck erweckt, der Stadtteil habe seit Mitte 1935 auf nahezu allen Gebieten Nachteile erlitten. So behauptete die Kommission beispielsweise, die Umlagen und sonstigen Abgaben seien "gewaltig erhöht" worden, und in Knielingen finde keine Bautätigkeit statt. Außerdem wurde die Zeit "vor der Zwangsehe" gelobt, in der eine jährliche Reinigung der Anlagen zur Be- und Entwässerung des Geländes und der "jetzt verschlammte[n] Alb" stattgefunden habe. Zusätzlich wies man auf „die holprigen Straßen und die teils unbefahrbaren Waldwege“ hin. Auch wurden die „dunklen gefahrvollen Straßenkreuzungen“ im Vergleich "mit der Straßenbeleuchtung in selbständigen Gemeinden" angeprangert.

Die seit Januar 1947 geführten Verhandlungen der Kommission mit der Karlsruher Stadtverwaltung "um eine gleiche Vereinbarung wie die der seinerzeit sich freiwillig eingemeindeten Vororte Bulach und Daxlanden" waren ihrer Ansicht nach "an dem Verhalten der Stadtverwaltung Karlsruhe" gescheitert. Daher sah sich die Kommission, die betonte, jederzeit dazu bereit gewesen zu sein, "eine noch tragfähige Vereinbarung abzuschließen", nun dazu veranlasst, die Ausgemeindung aus der Fächerstadt anzustreben.

Die Reaktion der Karlsruher Stadtverwaltung

Die Karlsruher Stadtverwaltung reagierte auf das Flugblatt insofern, als sie von verschiedenen städtischen Ämtern eine interne Stellungnahme zu den im Flugblatt gemachten Vorwürfen anforderte. Wie sich zeigen sollte, konnte von den Vorwürfen der Kommission nach deren Untersuchung durch die entsprechenden Ämter kein einziger aufrechterhalten werden. Was den ersten Punkt der höheren Abgaben betraf, zitierte die Stadtverwaltung aus einem Artikel der NS-Zeitung "Der Führer" vom 13. März 1935, in dem bereits kurz nach der Eingemeindung die Meldung erschienen war, dass die Grund- und Gewerbesteuern in Knielingen nach Sätzen erhoben worden waren, "die bei unbebautem Grundbesitz und Gewerbebetrieb die gleiche Höhe wie in Karlsruhe [hätten], bei Wald, Gebäuden und Gewerbeertrag jedoch höher als in Karlsruhe [seien]." Da mit der Eingemeindung Knielingens dort die in Karlsruhe geltenden Steuersätze eingeführt worden waren, hatten diese genau den gegenteiligen Effekt, nämlich eine steuerliche Entlastung der Knielinger Bürger zur Folge gehabt.

Als erste Behörde antwortete das Tiefbauamt zu den Punkten, die in seinen Zuständigkeitsbereich fielen. Es berichtete u. a. davon, dass die Alb bereits bei der Eingemeindung in einem derart schlammigen Zustand gewesen sei, dass Knielingen selbst von einem Ingenieurbüro "einen Entwurf für deren durchgreifende Regulierung" hatte erarbeiten lassen. Da der Entwurf nach Ansicht der Stadtverwaltung jedoch unzureichend ausgearbeitet worden sei, habe sie dem Ingenieurbüro eine Abfindung gezahlt und die weiteren Planungen selbst übernommen. Als der städtische Entwurf schließlich vorgelegen habe, konnte in den folgenden Jahren durch Baggerarbeiten "viel Schlamm aus der Alb entfernt werden, sodass der Wasserspiegel sich wesentlich senkte und so die bessere Entwässerung der Niederung bei Knielingen ermöglichte."

Der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs setzte den Arbeiten freilich ein abruptes Ende. Durch die Sprengung der "Weitesten Brücke" wurde jedoch die Verschlammung der Alb wieder gefördert, und der Wasserspiegel stieg an. Da dies durch Kriegseinwirkung geschehen war, konnte der Stadtverwaltung hierbei aber keine Verantwortung zugewiesen werden. Und auch was die Tiefentwässerung Knielingens anging, die bereits zu Zeiten der Selbstständigkeit "nicht in Ordnung war", konnte die Stadtverwaltung Ergebnisse vorweisen, hatte sie doch vor dem Krieg damit begonnen, "mit hohem Aufwand einen besonderen Sammler zum Klärwerk Neureut" zu bauen, der die Grundlage für eine ordnungsgemäße Entwässerung der Gemeinde und der völligen Entwässerung der Alb von Abwässern unter Einhaltung des Wassergesetzes ermöglichte. Der vollständige Aus- und Umbau des Kanalnetzes würde allerdings noch hohe finanzielle Mittel erfordern. Zudem konnte laut Tiefbauamt von einer Vernachlässigung der Straßen in Knielingen keine Rede sein. Diese würden "genauso gut instand gesetzt wie im Rest der Stadt auch" und hingen im Wesentlichen von der Verfügbarkeit "guter Baustoffe" ab. Demnach kam das Tiefbauamt zu dem Ergebnis, dass in Knielingen "bisher im Verhältnis mindestens so viel gebaut wurde wie sonst überall und dies […] auch weiterhin vorgesehen [sei]."

Noch deutlichere Worte fand dagegen die städtische Forstverwaltung in ihrem Schreiben an die Stadtverwaltung. Hinsichtlich der von der Kommission aufgestellten Behauptung über den Zustand der Wege im Knielinger Gemeindewald sprach sie von einer "offensichtliche[n] Irreführung der Knielinger Bevölkerung." Demnach befanden sich die Waldwege „vor der Eingemeindung in einer derart schlechten Verfassung, dass sie kaum noch befahren werden konnten und dies ausnahmsweise nur bei günstiger Witterung." Nach der Eingemeindung habe die Forstverwaltung "diese Schwierigkeiten beseitigt und normale Wegeverhältnisse geschaffen.“ Darüber hinaus hätten die Knielinger Bürger gegenüber der Stadtverwaltung bekundet, dass in ihrem Stadtteil "noch nie so gute Feldwege bestanden, als nach der Eingemeindung." Abschließend stellte die Forstverwaltung fest, dass "der Gemeindewald Knielingen bezüglich der Wegeinstandhaltung nicht schlechter behandelt [worden sei] als jeder andere Stadtwalddistrikt", und, die Kriegsjahre ausgenommen, "bereits beachtliche Mittel für die Aufrechterhaltung guter Wegeverhältnisse im gesamten Stadtwald, somit auch für den Gemeindewald Knielingen, verwendet worden [seien]."

Zuletzt konnte auch die Behauptung der mangelhaften Straßenbeleuchtung entkräftet werden. Die Abteilung IV der Karlsruher Stadtverwaltung, zuständig für die Straßenbeleuchtung, erklärte hierzu, dass in Knielingen "bereits Ende 1945 als einem der ersten Vororte die Beleuchtung an den wichtigsten Strassenkreuzungen und Verkehrsknotenpunkten wieder eingerichtet" worden sei. Demgegenüber stand, "dass in Vororten wie Rüppurr oder Daxlanden, sowie in sonstigen Stadtteilen, die überwiegend Gasbeleuchtung haben, die Wiederinbetriebnahme erst 1947/48 vorgenommen wurde." Zur Bautätigkeit in Knielingen bezog die Stadtverwaltung insofern Stellung, als sie einer gerade in der Gründung befindlichen Knielinger Baugenossenschaft "eine tatkräftige Förderung im Rahmen des Wohnungsbauprogramms 1950 zugesagt" habe.

Nachdem diese Informationen zusammengetragen worden waren, entschied Oberbürgermeister Friedrich Töpper kurz vor Jahresende 1949, kein Gegenflugblatt zu veröffentlichen. Vielmehr sollte abgewartet werden, bis weitere Schritte von Knielinger Seite unternommen würden. Da die äußerst dünne Aktenlage – sie umfasst je nach Zählweise fünf bis sieben Dokumente – an dieser Stelle abreißt, ist davon auszugehen, dass es von Seiten der Bürger-Kommission keine weiteren Bemühungen gab, die Ausgemeindung Knielingens aus der Fächerstadt voranzutreiben.

Resümee

Auch wenn keine Aussage darüber gemacht werden kann, wie viel Knielinger Bürgerinnen und Bürger dem Aufruf der Kommission folgten und durch ihre Unterschrift die Aktion unterstützten, geht doch aus den Dokumenten der Karlsruher Stadtverwaltung hervor, dass die Mehrheit der Knielinger einer Ausgemeindung nicht herbeiwünschte, weil sie eine Benachteiligung gegenüber den anderen Karlsruher Stadtteilen nicht erkennen konnte. Damit scheiterte der Plan der Kommission eine Stimmung zu erzeugen, die mit jener aus dem Jahr 1928 vergleichbar gewesen wäre, als die Bewohner überwiegend ihre Selbstständigkeit erhalten wollten, mit dem Ergebnis, dass der erste Eingemeindungsversuch scheiterte, da er nur von der Arbeiter-, nicht aber von der mehrheitlichen Bauernbevölkerung befürwortet wurde.

Es ist unklar, welche Gründe die Kommission überhaupt dazu bewogen hatten, eine Ausgemeindung aus der Fächerstadt anzustreben. Wahrscheinlich ist, dass der sich nach Kriegsende abzeichnende Bau der Siemens-Werke in Knielingen eine wesentliche Rolle gespielt hat. Durch die daraus in der Zukunft zu erwartenden hohen Gewerbesteuereinnahmen hatte die Kommission wohl darauf spekuliert, dass der wieder eigenständigen Gemeinde dadurch mehr Vorteile entstünden, als sie bei einem Verbleib bei Karlsruhe jemals haben würde. Zudem dürfte auch der Beschluss des Karlsruher Gemeinderats vom Oktober 1949, die von der Kommission geforderte Erhöhung des Knielinger Bürgernutzens (Jahresrente für bezugsberechtigte Bürger) von 60 DM auf 100 DM abzulehnen, sie in ihren Absichten bestärkt haben.

Jedenfalls blieb dieser Versuch eine Episode und tat dem künftigen Verhältnis zwischen Knielingen und Karlsruhe keinen Abbruch. In der Folgezeit entwickelte sich der älteste urkundlich erwähnte Stadtteil Karlsruhes mit der Fertigstellung der Ölraffinerien am Rhein 1962/63 und dem Ausbau des Siemens-Standorts zum Siemens Industriepark Karlsruhe 1997 zu einem wichtigen Wirtschafts- und Industriestandort innerhalb der Fächerstadt.

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