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Blick in die Geschichte Nr. 105

vom 12. Dezember 2014

Ein lange vergessener Komponist

Der Hofkapellmeister Johann Melchior Molter

von Birgitta Schmid

Ein Großteil des rund 600 Werke umfassenden Schaffens des lange vergessenen Kapellmeisters der badischen Markgrafen Johann Melchior Molter liegt noch heute in der Badischen Landesbibliothek. Dies ist dem glücklichen Umstand zu verdanken, dass dessen Sohn, Hofbibliothekar Friedrich Valentin, den fast vollständigen Nachlass des Geigers und Komponisten der Karlsruher Hofbibliothek übergab. Die Erschließung und Erforschung von Molters Œuvre begann in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts: Mittlerweile liegen über 100 Kompositionen im Druck vor, und etliche seiner Werke sind auf Tonträgern festgehalten. Als erstes wurden die Solokonzerte, vor allem die Trompeten- und Klarinettenkonzerte wiederentdeckt, inzwischen gilt das Interesse seinem gesamten Instrumentalschaffen. Zeugnisse über das Leben Molters sind nur wenige erhalten, Klaus Häfner hat sie in seiner Monographie über den Komponisten 1996 erstmals publiziert.

Johann Melchior Molter, Federzeichnung von Pier Leone Ghezzi (1674 – 1755), Rom, 5. April 1738

Ausbildung, Anstellung in Karlsruhe und Studien in Italien

Johann Melchior Molter wurde am 10. Februar 1696 in Tiefenort in Thüringen als Sohn eines Lehrers und Kantors geboren. Die Musik wurde ihm damit gleich doppelt in die Wiege gelegt, war in Thüringen doch eine besonders reiche Musiktradition lebendig. Die erste musikalische Unterweisung erhielt er von Vater Valentin, in seiner zweijährigen Gymnasialzeit in Eisenach profitierte er ganz offensichtlich von der vorbildlichen Musikerziehung an der Schule und vom hohen Niveau der öffentlichen Musik. Er konnte von den Besten lernen, denn Georg Philipp Telemann war von 1708 bis 1712 Konzertmeister und Kantor am Hof des Herzogs Johann Wilhelm von Sachsen-Eisenach, und auch die in der Stadt ansässige Familie Bach stand für musikalische Exzellenz.

Wo Molter seine Musikerlehre absolvierte, ist nicht bekannt, jedenfalls war er als Geiger und Komponist gründlich ausgebildet, als er 1717 im Alter von 21 Jahren in die Dienste des Markgrafen Karl Wilhelms von Baden-Durlach trat. Eingestellt wurde er als Violinist, doch bereits 1719 gewährte ihm der Markgraf bei vollem Gehalt einen Studienaufenthalt in Italien. Zu dieser Zeit war Molter schon mit Maria Salome Rollwagen aus Gernsbach verheiratet, mit der er acht Kinder hatte, von denen sechs das Erwachsenenalter erreichen sollten. Molter reiste allein in den Süden, "umb in der Music, mit der Erlernung der Italianischen Manier auch anderer Vortheil und HandGriffe sich mehrers zu habilitiren". In Venedig lernte er wenn nicht die Violinvirtuosen und Komponisten Tomaso Albinoni und Antonio Vivaldi selbst, so doch ihre Werke kennen. Von besonderem Interesse waren für Molter die neue, von Vivaldi standardisierte dreisätzige Konzertform und die dreisätzige Sinfonie nach dem Muster der neapolitanischen Opernsinfonie. Von einem Aufenthalt in Rom, den er dem Markgrafen schriftlich ankündigte, ist nichts überliefert.

Nach seiner Rückkehr im Herbst 1721 wurde er zum Konzertmeister und im April 1722 zum Hofkapellmeister ernannt. Dafür bedankte er sich bei seinem Dienstherren mit sechs hochvirtuosen Violinsonaten, die als Esercizio Studioso op. 1 gedruckt wurden. Sie blieben die einzigen Werke, die zu Molters Lebzeiten verlegt wurden. Allerdings waren seine Kompositionen als Abschriften in Süddeutschland so weit verbreitet, dass Molter bereits 1732 vom Schwäbisch Haller Organisten und Kantor Joseph Majer als "vortrefflicher Componist" und "berühmter Capell-Meister" bezeichnet wurde. Als Hofkapellmeister war Molter für die Bereiche Kirche, Oper und Kammer zuständig, er schrieb Opern und Kantaten, Sonaten, Sinfonien und Konzerte, probte mit den Solisten und bildete junge Musiker, Sängerinnen und Sänger aus. Zu besonderen Anlässen wie Taufen, Hochzeits-, Geburtstags- und  Trauerfeiern, aber auch wenn hoher Besuch ins Haus stand wurde von ihm Neues erwartet. Etliche der in der Digitalen Sammlung der Badischen Landesbibliothek einsehbaren Handschriften Molters zeugen von höchster Eile – die Einzelstimmen, die im Kerzenlicht gut lesbar sein mussten, sind sorgfältig ausgeführt, die Dirigierpartitur aber ist flüchtig skizziert.

Entlassung und Rückkehr nach Karlsruhe

Hofmusiker waren im 18. Jahrhundert Teil der Dienerschaft, ihr Wohl und Wehe hing unmittelbar von ihrem Fürsten ab. Johann Melchior Molter stand bei Karl Wilhelm zwar in hoher Gunst, dennoch musste er erleben, dass dieser 1733 sein Orchester wegen des Polnischen Thronfolgekrieges auflöste. Als schwacher Trost blieb ihm, dass der Kapellmeistertitel für ihn reserviert wurde. Zu Molters Glück fügte es sich, dass der Eisenacher Kapellmeister im Februar dieses Jahres verstorben war und er an dessen Stelle engagiert wurde. Nach dem Tod seiner Frau Maria Salome im August 1737 gelang es ihm noch einmal, einen Dienstherren von der Notwendigkeit einer Italienreise zu überzeugen; in Rom zeichnete Pier Leone Ghezzi das einzige Porträt, das wir von Molter kennen. Noch in Italien, erreichte ihn im Mai 1738 die Nachricht, dass Markgraf Karl Wilhelm von Baden-Durlach gestorben war, und er eilte nach Karlsruhe, um die Trauermusik zu komponieren. Die Musik mit dem Titel "Opffer der Treue" ist verloren, überliefert wurde, dass sie viel Beifall fand.

Während der Eisenacher Jahre pflegte Molter mit der Übersendung neuer Werke die Verbindung nach Karlsruhe. Das zahlte sich aus, als nach dem Tod Wilhelm Heinrichs von Sachsen-Eisenach im Juli 1741 die dortige Hofhaltung aufgelöst wurde. Molter zog zurück nach Karlsruhe und bewarb sich um Wiedereinstellung, die im Februar 1743 erfolgte. Bis zu seinem Tod am 12. Januar 1765 blieb er Hofkapellmeister. Der neue Markgraf Karl Friedrich, ein begeisterter Flötenspieler, beauftragte Molter Anfang 1747 mit der Reorganisation der Hofmusik: Das Orchester bestand nun aus 2 bis 3 Trompeten, Pauken, zwei Hörnern, zwei Oboen und Flöten, ein bis zwei Fagotten, Streichern und einer Continuo-Gruppe. Anfang 1751 heiratete Karl Friedrich Caroline Luise von Hessen-Darmstadt, durch die der Karlsruher Hof einen weiteren kulturellen Aufschwung erlebte. Es ist anzunehmen, dass die junge Markgräfin bei der musikalischen Unterhaltung zuweilen selbst am Cembalo saß. Molters Sachverstand war nicht nur bei Hofe gefragt: So wurde er zugezogen, als es 1759 um die Einweihung der neuen Stumm-Orgel in der Durlacher Stadtkirche ging. Dabei begleitete er den Aufbau des Instruments und komponierte die Musik zur Einweihung.

Molters Werk zwischen Barock und Klassik

Zwischen etwa 1720 und 1760 war Johann Melchior Molter am produktivsten. Diese Epoche markiert den Übergang zwischen Barock und Klassik, eine Zeit, in der neue musikalische Gattungen entstanden und intensiv experimentiert wurde. In Abkehr zum strengen polyphonen Stil wurde weitgehend auf den "gelehrten" Kontrapunkt verzichtet, kurze, leicht fassliche melodische Motive und Verständlichkeit wurden zum Ideal. Neu entwickelte Instrumente bereicherten das Farbspektrum der Orchester und forderten die Komponisten heraus, bis dahin unerhörte Klangkombinationen auszuprobieren. Von seinen Konzerten für ein bis zwei Solisten, die Molter für sich und seine Musiker in Karlsruhe und Eisenach schrieb, sind rund 50 überliefert. Etliche Musiker der Karlsruher Hofkapelle beherrschten mehrere Instrumente, und so konnte er nicht nur auf Trompete, Geige, Flöte, Oboe, Violoncello und Fagott als Soloinstrumente zurückgreifen, sondern auch die Möglichkeiten von Klarinette oder Flauto d'amore erproben. Molters sechs Konzerte für Klarinette gehören zu den frühesten Solokonzerten für dieses Instrument, das um 1700 in Nürnberg entwickelt wurde.

Titelblatt Sonata grossa G-Dur mit Incipit und Angabe des Verfassers Johann Melchior Molter (Ausschnitt)

Das Molter-Werkverzeichnis von Klaus Häfner verzeichnet 169 Sinfonien in unterschiedlicher Besetzung. Die meisten sind dreisätzig, zehn Sinfonien aus der zweiten Karlsruher Schaffenszeit haben bereits einen vierten Satz, ein Menuett. Er schrieb auch etliche Ouvertüren im französischen Stil, wobei er die meisten Tänze durch Allegrosätze und Charakterstücke ersetzte. Molters ureigenster Beitrag bei der Suche nach neuen formalen Wegen ist die vier- bis fünfsätzige Sonata grossa für Orchester mit der Satzfolge Largo, Allegro – Fuga – Andante/Aria – Alla breve - Allegro. Interessant ist hier die direkte Gegenüberstellung der barocken "gelehrten" Fuge mit einem "empfindsamen" kantablen Andante: Molter rückte hier gleichsam seine musikalische Herkunft aus der thüringischen Kantorentradition mit den neuen Ausdrucksmöglichkeiten der Vorklassik zusammen. Von Molters Opern für Karl Wilhelm ist die Musik verschollen, das Gleiche gilt für seine Trauermusiken und viele seiner Kantaten. Kammermusik zu zwei bis vier Stimmen, Musik für Tasteninstrumente und Bläserensembles, Märsche, Tänze und Vokalstücke schlummern bis heute ihrer Wiederentdeckung entgegen.

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