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Blick in die Geschichte Nr. 106

vom 20. März 2015

200 Jahre Karlsruhe

Das ausgefallene Stadtjubiläum

von Leonhard Müller †

Was für ein Fest hätte man veranstaltet, um den runden Geburtstag dieser blühenden Residenz zu feiern - wenn nicht der schon ein Jahr dauernde Weltkrieg das Leben der Stadt gelähmt hätte.

Die Vorbereitungen

Für das 200. Gründungsjubiläum hatte man schon 1910 mit Beratungen begonnen. Im Januar 1914 war dann eine Festkommission am Werke, die eine Große Badische Ausstellung für Industrie, Handwerk und Kunst vorsah. An der Städtebauausstellung in Lyon vom 1. Juli bis 1. November 1914 wollte man mit Modellen, Plänen, Zeichnungen und Photographien teilnehmen. In den Stadtratssitzungen April bis Juni war eine stadtgeschichtliche Ausstellung und ein Musikfest beschlossen worden. Eine Jubiläumsregatta, ein Oberrheinisches Kreisturnfest und ein Jubiläumsschießen sollten stattfinden. Der Badische Schwarzwaldverein, gegründet in Karlsruhe, hatte rechtzeitig eine ausführliche Darstellung Karlsruhes mit vielen Illustrationen vorbereitet und rühmte Karlsruhe in einem Gedicht des Redakteurs seiner Monatsblätter: "Dein Werk: ein tätig Auferbauen / Dein Fühlen: deutsch in Ernst und Spaß / Dein Ausblick: heutiges Vertrauen / Dein Wappenspruch: Fidelitas". Auf seine Eingabe konnte OB Karl Siegrist nur lapidar antworten, dass beschlossen worden sei, "von jeder Festlichkeit abzusehen", freilich mit der Hoffnung "aufgeschoben, nicht aufgehoben." Wie schon das 100. Stadtjubiläum trat nun auch der 200. Geburtstag wegen der herrschenden Kriegsereignisse in den Hintergrund des öffentlichen Interesses.

Die lokalen Zeitungen

Blickt man 1915 in die lokalen Zeitungen, sucht man mit Mühe unter den Nachrichten über die verschiedenen Kriegsschauplätze Notizen zum Stadtjubiläum. Nur die "Badische Presse" brachte im Unterhaltungsblatt einen ausführlichen Beitrag über die Gründung, die Baumeister, die Stadtplanung, die Bürgermeister, verbunden mit zahlreichen Abbildungen. Das "Karlsruher Tagblatt" erinnerte schon zum Jahresanfang am 2. Januar 1915 an die Grundsteinlegung und an die Vollendung des Schlosses und zieht eine Bilanz: "Vier Jahre nach der Stadtgründung zählte Karlsruhe 1994 Einwohner. Heute zählt die Residenz rund 144 000 Bewohner. [...] Aus der kleinen Residenz ist eine aufstrebende und blühende Stadt geworden. Eine große Festfeier wird es für das 200-jährige Stadtjubiläum jetzt nicht geben. Bricht aber im jetzigen Jahr der Friedenstag an, dann darf sich die badische Jubiläumsstadt ihres Gründungstags wohl erinnern." In der Spalte "Aus dem Stadtkreis" wird auf den gedämpften Ton des Jahreswechsels hingewiesen. "Das neue Jahr wurde von der Residenz mit der durch die Zeit gebotenen ernsten und würdigen Zurückhaltung empfangen. Der beredte Klang der Glocken stimmte uns nie so ernst und wehmütig wie diesmal. [...] Ihre Stimme erinnert an so manch tiefes Leid und riss noch manche Wunde auf. [...] Am Silvesterabend erbauten sich viele in den Gotteshäusern am biblischen Wort, das immer des Trostes und der Zuversicht genug zu bieten weiß. [...] Das stupide "Feiern" fiel diesmal nicht auf. Man dachte an ernste Dinge und setzte Hoffnungen auf das neue Jahr."

Die Großherzogin Luise richtete als Schirmherrin des Badischen Frauenvereins an dessen Generalsekretär einen Wunsch zum neuen Jahr, in dem es heißt: "Möge sich in seinem Lauf all das verwirklichen, was wir im Gebet im Herzen tragen und insbesondere der ersehnte Frieden sich uns nahen." Da ist nichts mehr vor der Begeisterung zu spüren, die im Juli 1914 die Bevölkerung erfasst hatte. Man sah sich eingekreist, so schrieb der noch zu erwähnende Robert Goldschmit, durch den "Rachedurst Frankreichs, die barbarische Eroberungslust Russlands, den blassen Neid Englands." Italien hatte einen "schamlosen Vertragsbruch" begangen, nur die zur "neuen Kampfeslust erwachte Türkei" war jetzt ein weiterer Verbündeter geworden. Der Absturz aus der anfänglichen Hingabe in die Enttäuschung des Stellungskrieges hätte nicht tiefer sein können. Und doch endete im "Karlsruher Tagblatt" vom 17. Juni 1915 der Jubiläumsartikel des Oberbürgermeisters voller Hoffnung auf einen "glücklichen Frieden": "Dann wird für die Karlsruher Bürger die Zeit gekommen sein, mit verdoppelter Freude, mit um so lauterem Jubel und so größerem Stolz die zweite Jahrhundertfeier ihrer Stadt zu begehen."

Nach diesem Artikel folgen Berichte über die Opfer des französischen Fliegerangriffs vom 15. Juni 1915 - die Zahl der Toten war schon auf 27 gestiegen. Man ist froh, schreibt der Redakteur, "dass mit Gottes Hilfe alle Mitglieder des Fürstenhauses gnädig verschont geblieben sind, obwohl das Residenzschloss, das Großherzogliche Palais und die Wohnung des Prinzen Max von Baden von Bomben und Splittern getroffen wurden." Dann wird ein amtlicher französischer Bericht vom 15. Juni zitiert: "Als Repressalie für die Beschießung offener französischer und englischer Städte durch die Deutschen wurde heute morgen der Befehl gegeben, die Hauptstadt des Großherzogtums Badens zu bombardieren. Um 3 Uhr morgens flogen 23 Flugzeuge nach Karlsruhe." Der erbitterte Zeitungskommentar an diesem städtischen Gedenktag lautete: "Unseren Feinden wäre noch zu sagen, dass ihnen der 'Erfolg in Karlsruhe', der einzig und allein in dem Morden von Unschuldigen und Kindern bestand, auch auf der großen Rechnung vorgesetzt werden wird."

Die Festschrift

Das einzig Nachhaltige des 200. Stadtjubiläums war ein angemessenes und wichtiges Buch: "Die Stadt Karlsruhe, ihre Geschichte und ihre Verwaltung. Festschrift zur Erinnerung an das 200-jährige Bestehen der Stadt", eine auch heute noch interessante und aufschlussreiche Publikation.

Schon 1907 hatte der Vorsitzende der Vereinigung "Heimatliche Kulturpflege" Albert Geiger - der später einen schlechten sarkastischen Roman über "Dingsdahausen", sprich Karlsruhe, schrieb - ein solches "Festbuch" vorgeschlagen, und die Stadt hatte sich an den Chefredakteur Amend der "Karlsruher Zeitung" gewandt. Nach einem halben Jahr gab er angesichts der Arbeitslast auf. Man fragte den wissenschaftlichen Hilfsarbeiter der Historischen Kommission Willy Andreas, der auch absagte. Schließlich konnte man im April 1912 mit Professor Robert Goldschmit einen Vertrag abschließen. Er sollte 4000 Mark, seine beiden Mitarbeiter Heinrich Ordenstein (Musik) und Karl Widmer (Kunst) je 1000 Mark erhalten.

Robert Goldschmit (1848-1923), Autor der Stadtgeschichte von 1915

Mit Goldschmit hatte man eine "glückliche Wahl" getroffen. Er wurde, wie es später hieß, "mit liebevoller Hingabe und wissenschaftlichem Ernst" tätig. 1848 in Grünstadt in der Pfalz geboren, studierte er in Heidelberg, Bonn und Straßburg Altphilologie und Geschichte und unterrichtete von 1875 bis 1915 am Gymnasium Karlsruhe. Neben einem Lehrbuch für Geschichte hatte er nicht nur zahlreiche Aufsätze veröffentlicht, sondern war auch als ehrenamtlicher städtischer Archivar mit der Lokalgeschichte eng vertraut. Politisch engagiert leitete er um 1900 die nationalliberale Partei, war 1901 bis 1904 Abgeordneter der Zweiten Kammer des Landtags, trat aber 1905 wegen der Großblockpolitik der Nationalliberalen mit der SPD zurück. Nach 1918 gehörte er der Deutschnationalen Partei an.

Goldschmits Werk basierte auf dem in den Stadtgeschichten von Karl Gustav Fecht und Friedrich von Weech ausgebreiteten Archivmaterial, hatte aber ein "Volksbuch" als Ziel, das sich an eine breite Öffentlichkeit wandte. In der "Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins" 1916 wird gerühmt, dass der Verfasser die Literatur, neu durchgesehenes Archivgut und vor allem Zeitungsberichte "zu einem einheitlichen Ganzen zusammengießen" konnte. "So ist es gelungen, ein in sich abgeschlossenes Bild der Geschichte der Stadt und ihrer Verwaltung zu entwerfen, das gegenüber den älteren Darstellungen einen wesentlichen Fortschritt bedeutet."

Es ist - dem Zeitgeist folgend - ein monarchisch gestimmtes Buch. Im Kapitel, das von 1871 zur Gegenwart führt, werden auf 60 Seiten Fürstlichkeiten vorgestellt. 31 Besuche des Kaisers Wilhelm II. in Karlsruhe und die Bekleidung des Dieners wird ebenso beschrieben wie die vielen Blumengebinde. Mehrfach wird der Bäckermeister und Volksdichter Christoph Vorholz zitiert, um insgesamt dem wissenschaftlichen Inhalt eine volkstümliche Form zu geben. Freilich sind auch größere Abschnitte über die Wirtschaft und die Verwaltung richtungweisend, denn dem Bürgersinn sollte genügend Rechnung getragen werden.

Im Nachwort geht Goldschmit auf den Kriegszustand ein, schildert den Schwung der Mobilmachung, die Kampfeslieder, die karitative Tätigkeit des Frauenvereins und schließt zeittypisch: "Wenn dann aberhundert Jahre in das Land gegangen sind, möge Karlsruhe [...] in gesichertem Frieden ein Jubiläum begehen mit einer arbeitsfreudigen und erfolgreichen Bürgerschaft [...] in einem machtvollen, auf dem ganzen Erdenrund geachteten und gefürchteten Deutschen Reich in einem glücklichen gesegneten Heimatlande."

Dr. Leonhard Müller †, Stadthistoriker, Karlsruhe

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