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Blick in die Geschichte Nr. 106

vom 20. März 2015

300 Jahre Karlsruhe

130 Jahre Karlsruher Stadtgeschichtsschreibung

von Manfred Koch

Das Feiern von historischen Jubiläen auf nationaler wie lokaler Ebene erfüllt in der Regel eine Doppelfunktion: Zum einen nutzt sie der Jubilar mit einer Fülle von Veranstaltungen zur Selbstdarstellung, zur Präsentation seiner Unverwechselbarkeit und seiner Stärken vor dem Hintergrund der historischen Entwicklung. Zum anderen ermöglichen sie die individuelle und kollektive Aneignung der historisch gewachsenen Umwelt für die alteingesessenen und neu zugezogenen Bürgerinnen und Bürger durch stadthistorische Publikationen und Präsentationen. Beide, Imagepflege und Identitätsbildung, basieren unabdingbar auf einer kontinuierlich geleisteten und differenzierten Geschichtsschreibung. Sie trägt zum besseren Verständnis der Vergangenheit und zur Sensibilisierung gegenüber künftigen Entwicklungen verlässlicher bei als aus bestimmtem Anlass entworfene flüchtige, oftmals nur positive Geschichtsbilder.

Die Anfänge im Kaiserreich

Während die Stadt ihr 300. Gründungsjahr feiert, blickt die institutionalisierte Stadtgeschichtsschreibung erst auf eine 130-jährige Tradition zurück. Nach der Gründung des Deutschen Reiches 1871 wandte sich das gebildete Bürgertum voller Stolz auf die Nation deren Geschichte und auch der Geschichte der engeren Heimat zu. In Karlsruhe schlug sich das nach mehrjähriger Vorarbeit 1885 in der Einrichtung eines eigenen Stadtarchivs nieder. Das Ortsstatut über die Verwaltung des städtischen Archivs formulierte mit der Begründung für diese neue Einrichtung auch eine ihrer wesentlichen Aufgaben: "Während fast alle badischen Städte von irgendwelcher Bedeutung ihre Geschichtsschreiber gefunden haben und die größeren und älteren unter ihnen wohlgeordnete Archive besitzen, kann sich Karlsruhe bis jetzt weder des einen noch des anderen rühmen." Nachdem Karlsruhe nun aber 170 Jahre alt werde, dürfte es "nicht verfrüht sein, wenn nun auch den historischen Beziehungen dieses Gemeinwesens einige Aufmerksamkeit zugewendet wird." Die Verantwortlichen waren sich mit der Verknüpfung von Stadtarchiv und Stadtgeschichtspflege offensichtlich bewusst, dass eine kontinuierliche Stadtgeschichtsschreibung ohne das institutionelle Fundament des Stadtarchivs nicht zu leisten sein würde.

Die fünf bisher erschienen Gesamtdarstellungen der Karlsruher Stadtgeschichte

Das erste Ergebnis der Stadtgeschichtsschreibung legte das Archiv schon im Jahr seiner Gründung mit der Chronik für das Jahr 1885 vor. In den nun jährlich erscheinenden Jahreschroniken konnten die Leser und Leserinnen Jahr für Jahr die Ereignisse am Hofe und in der Stadt noch einmal erinnern sowie in einer "Totenschau" verstorbener verdienter Bürger und Bürgerinnen gedenken und verschiedenste statistische Daten zur Kenntnis nehmen. Auch das Defizit einer bislang fehlenden eigenen Stadtgeschichte konnte schnell beseitigt werden. 1887 legte der gelernte Theologe und pensionierte Leiter des Durlacher Gymnasiums, Karl Gustav Fecht, eine im Auftrag der Stadt verfasste einbändige Stadtgeschichte vor. Ihr folgte von 1895 bis 1904 eine Stadtgeschichte in drei Bänden, die der damalige Direktor des Generallandesarchivs und Mitglied der städtischen Archivkommission, Friedrich von Weech, vorlegte. Und im 200. Jubiläumsjahr erschien eine neue einbändige Stadtgeschichte von Robert Goldschmit. All den genannten Arbeiten zur Stadtgeschichte ist die "Schloss- bzw. Rathausperspektive" gemeinsam. Den Strukturbedingungen und Entwicklungsprozessen der Industriegesellschaft galt seinerzeit die Aufmerksamkeit der Historiker bestenfalls am Rande.

Nach dem Ersten Weltkrieg versiegte die kontinuierliche Arbeit an der Stadtgeschichte rasch. Finanzierungsprobleme führten zur Einstellung der Jahreschroniken mit dem erst 1930 erschienen Band für die Jahre 1920-1923. Nennenswerte Ergebnisse stadthistorischer Forschung sind seitdem für Jahrzehnte nicht mehr zu verzeichnen. Das Archiv musste 1923 sein Gebäude am Archivplatz räumen und seit 1940 blieb die Stelle des Stadtarchivars für fast 20 Jahre unbesetzt.

Neubeginn in den 1980er-Jahren

Die stadthistorischen Aktivitäten zum 250. Stadtjubiläum 1965 blieben bis auf die Gründung einer stadtgeschichtlichen Veröffentlichungsreihe des Stadtarchivs mit einem Band über die Karlsruher Flurnamen weitgehend folgenlos. Die damals im Auftrag der Stadt verfasste Chronik wird wegen ihrer allzu kursorischen und nicht auf Quellenstudien basierenden Darstellung der NS- und der Nachkriegszeit nicht mehr wahrgenommen. Erst das in den späten 1970er Jahren verstärkt einsetzende Interesse an Geschichte, speziell auch an der Lokalgeschichte, wirkte sich auf die Stadtgeschichtsschreibung auch in Karlsruhe deutlich bemerkbar aus. Unter Mitwirkung des im Vergleich zu anderen großen Städten immer noch deutlich unterbesetzten Stadtarchivs konnten die Briefe des 1934 ermordeten SPD-Politikers Ludwig Marum aus dem KZ Kislau und die Schilderung des Kriegsendes 1945 in Karlsruhe publiziert werden.

Im Gemeinderat wurde parallel dazu mehrfach eine Aufarbeitung der NS-Zeit gewünscht. Auch deshalb beschloss der Gemeinderat 1984 das Stadtarchiv personell so auszustatten, dass eine professionelle Archiv- und Stadtgeschichtsarbeit geleistet werden konnte. Damit war wie erstmals 1885 erneut das Fundament gelegt für eine kontinuierliche und professionelle Stadtgeschichtsschreibung, die als Aufgabe auch in der neuen Archivsatzung von 1990 festgeschrieben wurde. Das Stadtarchiv, seit 1990, dem Jahr des 275. Stadtjubiläums, wieder in einem eigenen Domizil, entwickelte sich schnell zur zentralen Schaltstelle stadtgeschichtlicher Aktivitäten.

Ansicht des Stadtarchivs in der Markgrafenstraße 29 nach der Aufstockung 2013

Die stadthistorischen Publikationen erscheinen inzwischen in vier unterschiedlichen Reihen:
Veröffentlichungen des Karlsruher Stadtarchivs (seit 1965)
Forschungen und Quellen zur Stadtgeschichte (seit 1992)
Häuser- und Baugeschichte (seit 2000)
Karlsruher Köpfe (seit 2012)

57 Publikationen sind in diesen Reihen seit 1987 erschienen. Zudem waren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Stadtarchivs zum Teil maßgeblich an etwa 50 Veröffentlichungen außerhalb der Reihen beteiligt. Zu den Publikationen, in denen zum Teil auch aktuelle Themen in historischer Perspektive dargestellt wurden, zählen, um nur wenige zu nennen, die zweibändige Geschichte der Karlsruher Juden, das Standardwerk über Brunnen, Denkmäler und Freiplastiken, zum 275. Stadtjubiläum die erste Bestandsübersicht des Archivs und eine Geschichte des Alltags in der Stadt, die Karlsruher Chronik, die Geschichte der Karlsruher Frauen, die einbändige neue Stadtgeschichte von 1998, die Geschichte der Integration und Migration sowie die zum Ersten Weltkrieg. Mitgewirkt haben an den Publikationen Autoren und Autorinnen des Stadtarchivs, Angehörige anderer Karlsruher Institutionen, Studierende mit ihren Abschlussarbeiten und Fachkräfte als Werkvertragsmitarbeiter.

Das Bestreben, historisches Fachwissen in der Stadt für die Stadtgeschichtsschreibung nutzbar zu machen und die aktive Mitwirkung zu fördern, spiegelt sich sowohl im "Blick in die Geschichte" wie im Leitprojekt der Karlsruher Erinnerungskultur, dem Gedenkbuch für die Karlsruher Juden. Mit den bisher fünf Sammelbänden des Blick haben dessen etwa 200 Autoren und Autorinnen - darunter auch Privatpersonen mit ihren Spezialkenntnissen und Schüler mit den Ergebnissen ihrer Beiträge für Geschichtswettbewerbe - ein facettenreiches stadthistorisches Kompendium geschaffen. Das Gedenkbuch dokumentiert die durch bürgerschaftliches Engagement und betreut vom Stadtarchiv entstandenen Biografien von während der NS-Zeit ermordeten Karlsruher Juden. Eigene Forschungsarbeit für die Stadtgeschichte leisten auch die fünf ortsteilbezogenen Geschichtsvereine bzw. -werkstätten, bei deren Publikationen auf Wunsch das Stadtarchiv zum Teil maßgeblich beteiligt war.

Stadtgeschichtsschreibung im 300. Jubiläumsjahr

Imagepflege und Identitätsstiftung sind erklärte Ziele auch des 300. Karlsruher Stadtgeburtstags. Es sollen die Stärken und Besonderheiten der Stadt den erhofften Gästen aus aller Welt präsentiert, durch vielfache Partizipationsangebote die Bürgergesellschaft mobilisiert und so der Stadtgeburtstag ein Festival für und von Bürgern und Bürgerinnen werden. Erkennbar ist in manchen der bislang bekannten Programmpunkte eine Bezugnahme auf die Stadtgeschichte. Es mag gleichwohl manchen als Manko erscheinen, dass das Stadtjubiläum ohne die Publikation einer repräsentativen fortgeschriebenen Stadtgeschichte geplant wurde. Das lässt sich aber auch so verstehen, dass die seit Mitte der 1980er Jahre kontinuierlich und sehr ertragreich betriebene Stadtgeschichtsschreibung einen breitgefächerten Fundus an stadthistorischem Wissen geschaffen hat, auf den sowohl die Verantwortlichen für einzelne Programmpunkte wie auch die Medien für ihre Beiträge zum Stadtjubiläum zurückgreifen können.

Erträge für die Stadtgeschichtsschreibung wird es im Jahr des Stadtjubiläums dennoch geben mit den Katalogen zu den Ausstellungen über den Stadtgründer Markgraf Karl Wilhelm, über die Markgräfin Karoline Luise und den Baumeister Friedrich Weinbrenner. Wird damit das höfische Karlsruhe präsentiert, so setzt die Neuauflage der Publikation des Stadtarchivs über die residenzstädtische Bevölkerung im 18. Jahrhundert dazu einen Kontrapunkt. Bereits erschienen sind zudem zwei gewichtige Publikationen: Arthur Valdenaires Beschreibung der Kunstdenkmäler Karlsruhes, der Karlsruher Stadtatlas, ein Streifzug durch 300 Jahre Stadtgeschichte mit Karten und Bildern sowie die DVD "Karlsruhe. Der Film. Die Geschichte" mit bisher unbekanntem Filmmaterial.

Im Herbst werden dann die ersten Artikel des Digitalen Stadtlexikons im Internet freigeschaltet. Damit wird die Stadtgeschichtsschreibung kontinuierlich fortgeführt und setzt zugleich mit der ausschließlichen Veröffentlichung im Internet einen neuen Akzent in der digitalen Präsentation der Ergebnisse (hier zu den digitalen Angeboten). Die städtische Geschichtsarbeit erfüllt so auch unter veränderten Bedingungen und mit neuen Mitteln nachhaltig ihren vor 130 Jahren formulierten Auftrag, "den historischen Beziehungen dieses Gemeinwesens einige Aufmerksamkeit" zu schenken.

Dr. Manfred Koch, Herausgeber/Redaktion "Blick in die Geschichte"

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