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Blick in die Geschichte Nr. 107

vom 19. Juni 2015

Bewundert, gesucht, erschossen

Stationen im Leben von Thomas Weisbecker

von Johannes Büge

Thomas Weisbecker wurde am 24. Februar 1949 in Freiburg im Breisgau als Sohn von Ludwig und Rotraud Weisbecker geboren. Er besuchte 1959-1962 in Karlsruhe das Bismarck-Gymnasium und wechselte dann an die Gelehrtenschule in Kiel. In Kiel gab es zahlreiche Konflikte, da Thomas Weisbecker durch sein Äußeres auffiel und die Konfrontation mit der Lehrerschaft im Rahmen von Diskussionen nicht scheute. Bereits dort wurde der Konflikt zwischen den Generationen deutlich, die ältere Generation mit einer Vergangenheit im Nationalsozialismus, die Jüngeren aus der Nachkriegszeit, die begannen, die Handlungen und Ansichten ihrer Eltern kritisch zu hinterfragen. In den Diskussionen wurde Weisbecker von den Lehrern oft nicht ernst genommen. Diese versuchten auch teilweise, ihre Überlegenheit durch reine Autorität zu demonstrieren. Nach einem Manuskript der Mutter äußerte sich ein Lehrer aus Kiel bei einer Studienreise folgendermaßen: "Das ist doch wirklich gut, dass der T. nicht dabei ist. Es war ja wirklich eine Zumutung für mich, die Dreiviertelstunde während des Unterrichts ständig gegen meinen Brechreiz ankämpfen zu müssen, wenn der vor mir saß." Die Art von Thomas Weisbecker, mit Lehrern umzugehen und sich politisch zu engagieren führte schließlich dazu, dass er, um einem offiziellen Schulverweis zu entgehen, im April 1967 freiwillig nach Karlsruhe wechselte und dort das Abitur bestand.

Thomas Weisbecker 1949 - 1972

Politisches Engagement in Karlsruhe

Auch in Karlsruhe machte er durch sein Äußeres auf sich aufmerksam, indem er sich optisch mit den Gegnern des Vietnamkrieges solidarisierte. Ein ehemaliger Lehrer berichtete, dass Weisbecker sich unauffällig verhalten hätte, als er noch in einer reinen Jungenklasse gewesen war und sich erst bemerkbar gemacht hätte, als er in eine gemischte Klasse kam. In dieser Klasse diskutierte er sehr aktiv mit Lehrern und Mitschülern, und es bildete sich ein fester Freundeskreis, der sich in Teilen auch in Berlin hielt. In Karlsruhe war Weisbecker schon Mitglied des SDS (Sozialistischer Deutscher Studentenbund), der APO (Außerparlamentarische Opposition), des Republikanischen Clubs und des AUSS (Aktionszentrum unabhängiger sozialistischer Schüler). Er störte massiv eine NPD-Veranstaltung durch Buttersäure und organisierte verschiedene Demonstrationen. Seine Mitschüler beschrieben ihn als charismatisch, gut erzogen, zuvorkommend und als guten Redner.

Radikalisierung in Berlin

Nach dem Abitur in Karlsruhe am 30. Juni 1968 reiste Weisbecker nach Berlin, um nicht in die Bundeswehr eingezogen zu werden. Dort wurde er Mitglied in verschiedenen Gruppierungen, die sich von denen, die er in Karlsruhe besuchte, grundlegend unterschieden. In Berlin war er Mitglied im Zentralrat der umherschweifenden Haschrebellen und im Berliner Blues. Diese Organisationen propagierten Anarchismus und Drogenkonsum im Gegensatz zu den sozialistisch ausgerichteten Gruppen, die Weisbecker in seiner Schulzeit besuchte. In Berlin hatte Weisbecker weiterhin Kontakt zu Susanne Plambeck, die er in Karlsruhe kennen gelernt hatte. Auch Georg von Rauch, der an der Gelehrtenschule in Kiel gewesen war, dort jedoch noch keinen Kontakt mit Weisbecker hatte, zählte zu seinem direkten Umfeld, ebenso wie Michael "Bommi" Baumann, ein Mitglied der Bewegung 2. Juni. Das Leben von Weisbecker wurde in Berlin von Drogenkonsum und dem Umherziehen zwischen verschiedenen Kommunen (Wieland-Kommune, Kommune I.) geprägt. Dass Weisbecker sich in illegalen Kreisen bewegte, zeigt auch die Beteiligung an einem versuchten Attentat auf den US-Präsidenten Nixon, das nur durch einen technischen Defekt fehlschlug. Dieses Attentat war von der RAF geplant, in der er Mitglied war.

Ein besonderes Ereignis in Berlin stellte zweifellos das "Verwechslungs-go-out" dar, das sich während eines Prozesses wegen des Überfalls auf den Quick-Reporter Horst Rieck ereignete. In der Berliner Wieland-Kommune war der Quick-Artikel "Ganz Deutschland muss brennen" als Kritik an linksmotivierten Brand- und Sprengstoffanschlägen aufgefasst worden. Daraufhin drang eine Gruppe, bestehend aus Georg von Rauch, Michael "Bommi" Baumann, Anne Kathrin Bruhn, Thomas Weisbecker und dessen Freundin Susanne Plambeck, am 6. Juni 1970 in die Wohnung von Horst Rieck ein, der sich allein zu Hause befand. Rieck wurde gefesselt und im Getümmel durch eine Flasche im Gesicht verletzt. Unter dem Vorwand, sich waschen zu wollen, ließ er die Polizei, die von Nachbarn alarmiert worden war, in die Wohnung, wo die Täter überwältigt wurden. In dem Prozess vor dem Gericht in Moabit wurden die Angeklagten von Hans-Christian Ströbele, Mitglied des heutigen Deutschen Bundestages, und Klaus Eschen vertreten. Sie waren mit Horst Mahler die Gründer des "Sozialistischen Anwaltskollektivs". Als am 8. Juli für Weisbecker und Baumann Haftverschonung gewährt wurde, kam es zu dem "Verwechslungs-go-out". Statt Weisbecker sprang der ähnlich aussehende Georg von Rauch auf und verließ den Gerichtssaal. Rauch hatte wegen eines anderen Verfahrens keine Haftverschonung erhalten. Als Weisbecker in die Zelle gebracht werden sollte, fiel der Tausch auf, und man musste ihn frei lassen. Zur Ursache der Verwechslung meinte der Anwalt Klaus Eschen: "Das war ein Moment der Übersicherung, jeder verließ sich auf das Sicherungsmoment des anderen, sodass kein Verfahren wegen Gefangenenbefreiung eingeleitet wurde und die beiden draußen waren." Auch vor Gericht traten die Angeklagten provokant auf und erschwerten den Ablauf, beispielsweise durch die Verweigerung von Unterschriften.

Erschossen in Augsburg

Am Tag darauf erging erneut Haftbefehl gegen Weisbecker. Der war jedoch bereits abgetaucht und wurde nun von der Polizei gesucht, die ihn am 14. Februar 1972 in Augsburg aufspürte und observierte. Am 2. März wurde Thomas Weisbecker in Augsburg von einem Polizisten erschossen. Der genaue Hergang seines Todes ist bis heute nicht vollständig geklärt, die Zeugenaussagen widersprechen sich. Gesichert ist, dass zwei Polizisten Weisbecker auf der Straße anhielten und kontrollieren wollten. Was dann geschah, kann nicht mehr genau nachvollzogen werden. Aus der Sicht der Polizei griff Weisbecker in seine Jacke, obwohl er aufgefordert worden war, dies nicht zu tun. Ein Polizist riss daraufhin die Waffe hoch und schoss in Notwehr. Laut Zeitungsberichten habe Weisbecker eine Waffe der Marke FN Herstal bei sich gehabt, es sagte aber nur ein Zeuge aus, diese gesehen zu haben. Auch die Anzahl der Schüsse, die abgegeben wurden, variiert in den Zeugenaussagen. Die meisten wollen nur einen gehört haben. Laut Obduktionsbericht verstarb Thomas Weisbecker im Krankenhaus durch einen Schuss ins Herz. Für Unruhe sorgte auch, dass der Polizist, der Weisbecker erschoss, wenige Wochen zuvor eine Schulung im "kampfmäßigen Schießen" erhalten hatte. Ein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Augsburg, das die Mutter Weisbeckers durch eine Strafanzeige wegen vorsätzlicher Tötung ausgelöst hatte, wurde eingestellt.

Reaktionen auf Weißbeckers Tod

Die Reaktionen auf Weisbeckers Tod fielen vielfältig aus. Es erschienen viele Flugblätter, die seinen Tod thematisierten. Dabei ist eine Heroisierung festzustellen. Am 3. März 1972, einen Tag nach dem Tod, wurde ein Sprengstoffanschlag auf das Landeskriminalamt in West-Berlin verübt, der als direkte Antwort auf den Tod von Thomas Weisbecker, aber auch seiner Freunde Petra Schelm und Georg von Rauch, zu verstehen war. Die Bewegung 2. Juni verübte im Mai des Jahres einen weiteren Anschlag auf die juristische Fakultät in West-Berlin, weil sie den Umgang mit dem Todesschützen Weisbeckers nicht akzeptieren wollte. Sieben Tage später, am 12. Mai 1972, verübte das "RAF-Kommando Thomas Weisbecker" einen Anschlag auf die Polizeidirektion in Augsburg. Seit 1973 gibt es in Berlin-Kreuzberg das Tommy-Weisbecker-Haus, das selbstorganisiertes Leben und Wohnen für Jugendliche und junge Erwachsene ermöglicht. Es ist ebenfalls Teil der aus heutiger Sicht nur schwer nachvollziehbaren postmortalen Heroisierung des Professorensohns und erschossenen RAF-Terroristen.

Johannes Büge

Der Autor studiert Geschichte in Heidelberg.

 

Der Text basiert auf dem Beitrag einer Arbeitsgruppe des Bismarck-Gymnasiums zum Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten und der Körber-Stiftung 2013 "Vertraute Fremde - Nachbarn in der Geschichte": Maximilian Biller, Johannes Büge, Helen Holldorb, Nicole Spörle, Katrin Thome (Tutor: Tobias Markowitsch): Vom Banknachbarn zum Terroristen - Thomas Weisbecker. Die komplette Arbeit ist im Stadtarchiv (8/StS 25/143) einsehbar.

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