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Blick in die Geschichte Nr. 108

vom 25. September 2015

Gemeinsamer Handball von Menschen mit und ohne Handicap

Die Turnados der Turnerschaft Durlach als Schrittmacher des inklusiven Sports

von Mathias Tröndle

Handball gilt als körperbetontes, hartes und schnelles Spiel. Es verlangt von den Akteuren jede Menge technischer Fertigkeiten, das Erfassen von Pass- und Laufwegen der Mitspieler und das Verstehen eines komplizierten Regelwerks. Und ausgerechnet Handball, vor dessen  Anforderungen Schüler seit Generationen im Sportunterricht das Handtuch werfen, wurde in der gesamten Republik zum Schrittmacher auf dem Weg der Inklusion von Menschen mit geistiger und mehrfacher Behinderung im Sport.  Als erster Sportverband unterzeichnete der Deutsche Handballbund (DHB) im Dezember 2014 einen Kooperationsvertrag mit Special Olympics Deutschland, dem nationalen Verband der weltweiten Organisation für Athleten aller Sportarten mit geistiger Einschränkung.  Danach fördert der DHB das gemeinsame Spiel von Sportlern mit und ohne Behinderung in seinen Landesverbänden und unterstützt jährlich ein inklusives Handballturnier.

Projekt mit bundesweitem Vorbildcharakter

Die Premiere dieser Kooperation ging im Mai 2015 in Karlsruhe über die Bühne, als der DHB als Partner des bundesweiten inklusiven Handballturniers der Turnerschaft Durlach "Heimspiel IV" auftrat. Aus gutem Grund: Die Turnerschaft Durlach (TSD) gibt dieser Entwicklung wesentliche Impulse: Zum einen mit ihrer integrativen Handballgruppe "Durlach Turnados", in der Trainer und Betreuer des Vereins mit Menschen mit Handicap das Passen, Werfen und Abwehrverhalten trainieren. Zum anderen mit ihrer inklusiven Mannschaft aus Spielern mit und ohne Handicap, die als TSD 5 seit der Saison 2014/2015 am regulären Wettkampfbetrieb des Handballkreises Karlsruhe teilnimmt.

Für die Arbeit mit den "Durlach Turnados" hatte der damalige Bundespräsident Christian Wulff  der Turnerschaft Durlach bereits im Februar 2011 in Berlin einen Goldenen Stern des Sports verliehen. Die Wertschätzung des ersten Manns im Staat galt einem Projekt, das damals nicht einmal zwei Jahre alt war, aber bereits in der kurzen Zeit seines Bestehens den Sport für Menschen mit geistiger Behinderung im süddeutschen Raum auf völlig neue Beine gestellt hatte. Es sollte den Sport für Menschen mit Handicap, der sich zuvor ausschließlich in Einrichtungen der Lebenshilfe, in einigen wenigen, aber in sich geschlossenen Abteilungen in Vereinen oder in Verbänden des Behindertensports abgespielt hatte, in den "normalen" Alltag des Sportbetriebs holen. Zur Umsetzung hatte die TSD ein breites Netzwerk aus Partnern und Unterstützern gewinnen können. Dazu gehörten neben Ortsvorsteherin Alexandra Ries, Ortschaftsrat und Stadtamt Durlach der damalige Erste Bürgermeister und heutige Präsident von  Special Olympics Baden-Württemberg Harald Denecken, die Lebenshilfe Karlsruhe, der Verein Humanitäre Botschaft, der Badische Handballverband (BHV) und regionale Unternehmen.

Spiele in Karlsruhe gaben Initialzündung

Die Initialzündung dafür hatten die Nationalen Spiele von Special Olympics (SO) 2008 in Karlsruhe gegeben. Die Turnerschaft Durlach nahm das Feuer auf, das die 3.200 Athleten aus der gesamten Republik damals mit ihrer Begeisterung am Sport und ihrer Lebensfreude in der Bevölkerung entfachten, und beschloss, die Fackel weiterzutragen. Nicht zuletzt deswegen, weil der Verein bei den Spielen hautnahe Erfahrungen mit Sportlern mit Handicap sammelte. Die TSD war Quartiergeberin von  80 SO-Athleten und Betreuern, die in der Sporthalle des Vereins übernachteten. Die Herzlichkeit der persönlichen Begegnungen, das Mitfiebern bei Spielen der Handballer von Concordia Delitzsch, die zu den TSD-Gästen gehörten, und das Staunen über deren Wurfgewalt und Mannschaftsgeist zeigte bei Verantwortlichen des Vereins deutlich Wirkung.

Der Bazillus des integrativen Handballs hatte den Verein ergriffen. Wie auch Ortsvorsteherin Alexandra Ries, die zur ersten Verbündeten des Vorhabens wurde. Und auch die Hagsfelder Werkstätten (HWK), in denen 1.200 Beschäftigte mit geistiger und mehrfacher Behinderung oder seelischer Erkrankung arbeiten, waren von Beginn an mit im Boot. HWK-Hauptgeschäftsführer Norbert van Eickels erkannte in dem Projekt die große Chance für sportlich interessierte Beschäftige, sich außerhalb des geschützten Raums der Werkstätten nicht nur körperlich fit zu halten, sondern durch Handball im Verein auch ein Stück weiter in die Gesellschaft hinein zu rücken.

Auftakt: Die Durlach Turnados griffen am 21. März 2009 erstmals gemeinsam zum Ball; beim Auftakttraining gab es von Ortsvorsteherin Alexandra Ries (Mitte) T-Shirts

So rief die HWK denn auch die sportlich Interessierten in ihren Werkstätten und Wohnheimen zum Startschuss für die Durlach Turnados auf. Der fiel am 8. März 2009 beim Aktionstag "Handball live und pur" in der Durlacher Weiherhofhalle. An die 60 HWK-Beschäftigte verfolgten dabei das Landesliga-Derby TS Durlach gegen TG Neureut. In der Halbzeitpause stellte sich den künftigen Mitgliedern der "Durlach Turnados" zehn sportlich und sozialpädagogisch geschulte Trainer und Betreuer um den früheren Coach des TSD-Landesligateams Mark Ruppert vor. Mit ihnen hatte der Verein ein Kompetenzteam gefunden, das bereit war, die ambitionierte Aufgabe auf völlig ehrenamtlicher Basis zu schultern.

Begegnung ohne Scheuklappen

Etwa 25 Männer und Frauen mit Handicap im Alter zwischen 18 und 50 Jahren griffen schließlich beim Auftakttraining am 21. März 2009 in der TSD-Sporthalle auf der Unteren Hub zum ersten Mal zum Ball. Auf wissenschaftliche Arbeiten oder Konzepte zum inklusiven Handball konnten die Gründer nicht zurückgreifen, praktische Erfahrungen gab es im süddeutschen Raum keine. "Da machten wir mit unseren neuen Mitspielern, die zuvor null Ahnung vom Handball hatten, einfach ein ganz normales Jugendtraining", erinnert sich Ruppert, der bis 2014 die längst vom Projekt zur regulären Handball Gruppe des Vereins gewordenen Turnados leitete. "Wir haben anfangs oft gehört, ich kann das nicht, ich bin behindert. Wir haben aber gesagt, das gilt nicht als Ausrede - und es hat geklappt", ergänzt Sebastian Tröndle, der von Ruppert zusammen mit der hauptberuflich beim BHV für Trainerausbildung, Schul- und Kinderhandball zuständigen Ulla Angermann die Turnado-Leitung übernahm. Das Erfolgsrezept liege darin, "Menschen mit Handicap ohne Scheuklappen und mit Respekt zu begegnen und so ihre Fähigkeiten gemeinsam weiter zu entwickeln", nennt Sozialpädagoge und Handballtrainer Tröndle die einprägsame  Kurzformel der eigentlich recht einfachen Philosophie des Durlacher Wegs.

Durlacher im Nationalteam erfolgreich

Und dieser Weg brachte in den vergangenen Jahren einige Erfolge. Die Durlach Turnados starteten bei den Nationalen Spielen von Special Olympics 2010 in Bremen, 2012 in München und 2014 in Düsseldorf mit jeweils zwei Teams im bundesweiten Handballturnier, und räumten dort Medaillen ab. Als erster Durlacher Spieler schaffte Uli Fischer den Sprung in die Nationalmannschaft von Special Olympics und wurde mit der bundesdeutschen Auswahl 2011 bei den Weltspielen in Athen Titelträger. Bei den Weltspielen 2015 in Los Angeles trugen mit Kai Polefka, Manuel Oberst und Tanja Stolzenburg gleich drei Durlacher  das Trikot des von Mark Ruppert gecoachten deutschen Teams. Dies erreichte hinter Russland, Schweden und Kenia den vierten Platz in einem mit 13 Teams besetzten Turnier. Und beeindruckte durch Einsatz, Spielstärke und Begeisterung.

Nationalspieler: Kai Polefka von den Durlach Turnados der TS Durlach, der hier einen Treffer gegen Kenia erzielt, gehörte bei den Weltspielen von Special Olympcis 2015 in Los Angeles zu den Stützen der deutschen Nationalmannschaft

Weitere Schritte zur Inklusion

Diese Form der ungefilterten Begeisterung  ist auch jeden Samstag deutlich zu spüren, wenn sich 25 bis 30 behinderte Handballer mit ihren Trainern, Betreuern und Mitspielern ohne Handicap in der TSD-Sporthalle zum Training treffen. Und auch außerhalb der Halle geht so Einiges. Die Turnados besuchen Partien des Bundesligisten Rhein-Neckar-Löwen und unterstützen die Herren- und Damenteams der Turnerschaft bei deren Heimspielen. Sie sind allesamt Mitglieder des Vereins, haben ihren festen Platz im sportlichen und gesellschaftlichen Leben, gehören als "tolle Truppe" inzwischen wie selbstverständlich zum Durlacher Stadtbild.

Ihre fernab der akademischen Diskussionen über Begriffe und Konzepte gänzlich unspektakuläre Rezeptur der Inklusion befolgte die Turnerschaft auch bei ihren nächsten inklusiven Schritten. Seit September 2012 gehört die vorherige HWK-Judogruppe als "Durlach Mattenfeger" dem Verein an, trainieren Zelluloid-Artisten mit Handicap in der Tischtennisabteilung. Und die inklusive Handball-Mannschaft TSD 5 aus Spielern mit und ohne Einschränkung, die sich aus den Durlach Turnados heraus entwickelte, geht jetzt in ihre zweite Saison im Spielbetrieb des Handballkreises. Eigentlich völlig normal.

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