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Blick in die Geschichte Nr. 109

vom 4. Dezember 2015

Angekommen! Angenommen?

Einwanderung und Eingliederung in Karlsruhe

von Manfred Koch

Die Entwicklung der frühneuzeitlichen Gründung der Planstadt Karlsruhe lässt sich auch als eine Geschichte stetiger Zuwanderung erzählen, und damit zugleich als Geschichte anhaltend gelungener Integrationsleistung. Wenige Jahre vor der Stadtgründung durften sich auf heutiger Karlsruher Gemarkung schon Glaubensflüchtlinge niederlassen: 1699 gründeten Hugenotten Welschneureut und 1701 Waldenser Palmbach. Ab 1715 kamen dann die Neusiedler nach Karlsruhe, angelockt durch großzügige Privilegien wie Steuer- und Glaubensfreiheit, und in der Hoffnung auf bessere Verdienstmöglichkeiten. Die erste Generation der Stadtbewohner stammte nach einer Zählung von 1719 aus 14 verschiedenen Staaten, dazu zählten auch heutige deutsche Bundesländer wie Württemberg, Hessen und Bayern. Die etwa 2.000 Menschen kamen zu fast 50% aus über 100 km Entfernung, knapp 7% aus Frankreich, Österreich, Italien und der Schweiz und sie waren Protestanten, Katholiken und Juden.

Die Wachstumsschübe der noch jungen Stadt um 1800 und um 1900 speisten sich dann durch Erwerbsmigration überwiegend aus den neu gewonnen Landesteilen durch die Vereinigung der badischen Markgrafschaften 1771 sowie der Erhebung Badens zum Großherzogtum 1806 und aus dem Prozess der Hochindustrialisierung ab 1871. 1815 hatte Karlsruhe etwa 15.000 Einwohner und 1901 wurde es mit 100.000 Einwohnern zur Großstadt. Mit dieser massenhaften Binnenwanderung von Menschen ging aber der Anteil der gebürtigen Karlsruher deutlich zurück. Waren 1834 noch 59% aller Einwohner hier geborene "Einheimische", so stellten sie 1905 nur noch 33%, heute sind es etwa 37%. Eine homogene Stadtgesellschaft mit gemeinsamen Interessen und Lebensanschauungen, ein häufig beschworenes Ideal, das zeigen schon diese wenigen Daten, ist ebenso wie eine "ethnisch reine" Nation ein realitätsfernes ideologisches Konstrukt. Wanderungsprozesse unterschiedlichster Größe und Ursachen prägten und prägen bis heute die Menschheits-wie die Karlsruher Stadtgeschichte.

Weltkriegsflüchtlinge

Eindringlich vor Augen führt das der Blick auf das 20. Jahrhundert, das Jahrhundert von Flucht und Vertreibung. Schon die neuen Grenzziehungen durch die Siegermächte nach dem Ersten Weltkrieg entwurzelten in Europa 5 Millionen Menschen im Zeichen nationaler "Entmischung". Ein, wie die weitere Entwicklung gezeigt hat, vergeblicher Versuch neue kriegerische Konflikte zu verhindern. So gelangten von den 150.000 vertriebenen Elsass-Lothringern etwa 6.000 nach Karlsruhe, dazu kamen weitere 2.000 Auslandsdeutsche - zusammen knapp 6% der Einwohnerschaft. Deren Integration gelang nach Überwindung der Wohnungsnot auch durch die Bautätigkeit einer Baugenossenschaft vertriebener Elsass-Lothringer in Karlsruhe-Weiherfeld.

Ungleich größer war die Herausforderung der Aufnahme von Flüchtlingen in Karlsruhe nach dem Kriegsende 1945. Gut 12 Millionen Deutsche vorwiegend aus Ost- und Südosteuropa strömten als Flüchtlinge oder Vertriebene in das kriegszerstörte Restdeutschland. Zudem musste der Westen Deutschlands bis zum Bau der Berliner Mauer 1961 noch über 3 Millionen "Übersiedler" aus der SBZ/DDR aufnehmen.

So bevölkerten nach und nach 65.000 Neubürger und -bürgerinnen die Stadt, die 1946 175.000 und 1960 240.000 Menschen eine Heimat bot. Das waren 27% der Gesamtbevölkerung. Ihre Herkunftsgebiete lagen in ehemaligen deutschen Reichsgebieten östlich der Oder und Neiße, in Jugoslawien, Polen, Ungarn, Österreich, Rumänien und Russland.

Die Integration dieser auch kulturell unterschiedlich geprägten Menschen war ein schwieriger und nicht konfliktfreier Prozess, trafen in der Nachkriegszeit doch zwei "Elendsfronten" aufeinander. Der in großem Maße kriegszerstörte Wohnungsbestand führte notgedrungen zu auch zwangsweisen Einquartierungen von Flüchtlingsfamilien bei einheimischen Bewohnern intakter Wohnungen und auch zum Bezug von kaum zumutbaren Notunterkünften. Diegroße Wohndichte, die schlechte Nahrungsmittelversorgung und die knappen Arbeitsplätze bargen enormes Konfliktpotential. So gab es neben der nicht geringen Hilfsbereitschaft für die größere Not leidenden Neubürger auch eine "Ablehnungsfront" gegen diese. Ihre Integration gelang in den 1950er-Jahren dennoch, als im Zeichen des Wirtschaftswunders bis 1960 27.000 neue Wohnungen gebaut werden konnten und die Benachteiligung auf dem Arbeitsmarkt bis Mitte der 1950er-Jahre endete. Zum Wirtschaftswunder trugen die Neubürger durch Leistungs- und Aufstiegsorientierung und mit dem Aufbau eigener Unternehmen einen nicht geringen Teil bei.

Gastarbeiter und Gastarbeiterinnen

Der anhaltende Wirtschaftsaufschwung war dann die Ursache für den weiteren Zustrom von Arbeitsmigranten in den 1960er und 1970er Jahren. Zunächst in Italien, Spanien und Griechenland, dann auch in Jugoslawien und in der Türkei warb die deutsche Industrie Arbeitskräfte an. 1973 lebten in Deutschland etwa 2 Millionen Gastarbeiter und Gastarbeiterinnen, in Karlsruhe waren es etwa 17.500. Sie verrichteten zumeist als un- oder angelernte Kräfte schwere körperliche, schmutzige und auch gesundheitsgefährdende Arbeit. Damit schufen sie die Voraussetzung für den sozialen Aufstieg von Millionen deutscher Arbeitnehmer. Unübersehbar war, dass manche Gastarbeiter sich als Betreiber von Gaststätten, Pizzerien und Eisdielen oder als kleine Lebensmitteleinzelhändler selbstständig gemacht hatten und so das städtische Leben bereicherten.

Als aus Sicht der deutschen Arbeitgeber zu Beginn der 1970er-Jahre aus unterschiedlichen Gründen die gesamtwirtschaftlichen Kosten für die Gastarbeiter ihren Nutzen überstiegen, wurde 1973 ein Anwerbestopp verhängt. Somit vor die Alternative "Gehen oder Bleiben" gestellt, entschieden sich viele zum Bleiben. Europäische und nationale Regelungen ermöglichten und erleichterten diese Entscheidung.

Verbunden mit dem nun auf Dauer zielenden Aufenthalt war der Nachzug der Familien. So verpuffte das zentrale Anliegen des Anwerbestopps, die Zahl der Gastarbeiter zu verringern. 1981 lebten in Karlsruhe sogar etwas mehr Gastarbeiter mit ihren Familien als 1973. Nun bemühten sich mit den karitativen Organisationen auch die Kommunen verstärkt um die Integration der Zuwanderer und Zuwanderinnen.

Asylsuchende, Bürgerkriegsflüchtlinge und Spätaussiedler

Nach der Drosselung der Zuwanderung von Gastarbeitern durch den Anwerbestopp trat erst in den 1980er-Jahren wieder eine Wanderungsbewegung in den Blick der Öffentlichkeit. 1980 baten etwa 107.000 Menschen aus den Krisengebieten Türkei (Militärputsch) und ferner Osten in Deutschland um Asyl. Ihre Zahl konnte durch Verschärfungen des Asylrechts zwar wieder deutlich gesenkt werden, stieg aber mit dem Zerfall des Ostblocks und dem Bürgerkrieg in Jugoslawien im Jahr 1993 auf fast 440.000.

Ankunft von Bürgerkriegsflüchtlingen aus Bosnien am Hauptbahnhof 1992

Da in Karlsruhe auf Beschluss der Landesregierung die Zentrale Aufnahmestelle (ZASt) eingerichtet wurde, war die Stadt von der dauerhaften Aufnahme Asylsuchender und Bürgerkriegsflüchtlinge zunächst nicht betroffen. Aufgrund der zeitweisen Überbelegung der ZASt in Schloss Gottesaue und ab 1990 an der Durlacher Allee, des Arbeits- und Ausbildungsverbots für die Asylsuchenden nahmen sich karitative und neu geschaffene Einrichtungen wie das Menschenrechtszentrum der oft durch das Kriegsgeschehen in ihrer Heimat traumatisierten Menschen an.

Ende der 1980er-Jahre wurden Fremdenangst und -feindlichkeit wie soziale Zukunftsängste durch populistisch taktierende rechtsradikale und -konservative Parteien angeheizt. Die mediale Dramatisierung der Folgen steigender Zahlen von Asylsuchenden und die Kriminalisierung des generell unterstellten Asylmißbrauchs, führten nicht nur zu kurzfristigen Wahlerfolgen der Republikaner auch in Karlsruhe, sondern ebenso zu Gewaltexzessen gegen Asylunterkünfte. In Karlsruhe musste 1987 das Ausländerfest nach einer Bombendrohung abgebrochen werden und 1991 wurde auf die ZASt ein Brandanschlag verübt.

Plakat zum 1. Fest ausländischer Mitbürger am 5. Oktober 1985

Zahlreiche Initiativen und Gegendemonstrationen wie die Karlsruher Lichterkette 1992 mit 120.000 Teilnehmern, verdeutlichten den Willen zur Toleranz und zur Ablehnung von Gewalt durch die Mehrheit der Deutschen.

Eine weitere Wanderungsbewegung erreichte zu gleicher Zeit ebenfalls die Schwelle öffentlicher Aufmerksamkeit. Seit 1951 bis 1988 waren schon 1,6 Millionen Spätaussiedler aus osteuropäischen Staaten nach Deutschland gekommen. Dank ihrer gegenüber allen anderen Migrantengruppen deutlich bevorzugten Behandlung durch großzügige Eingliederungshilfen verlief ihre Integration weitgehend im Stillen. Als 1989-1995 dann fast 1,9 Millionen Spätaussiedler mit schlechteren Deutschkenntnissen und geringerer Qualifikation kamen, wurde deren Integration zu einer aus heutiger Sicht weitgehend bewältigten gesellschaftlichen Herausforderung. 2009 lebten 14.000 Spätaussiedler in Karlsruhe.

Karlsruher Leitlinien zur Integration

Die Integration größerer und sehr großer Gruppen von Zuwanderern und Zuwanderinnen ist in Karlsruhe, so lässt sich der kurze Blick in die Geschichte resümieren, zu allen Zeiten gelungen, auch wenn die Herausforderungen und Probleme der Stadt und ihrer Einwohnerschaft zuweilen viel abverlangten. Die Erfahrungen der Integrationsarbeit in der Stadt seit den 1970er-Jahren formulierte die Stadt nach längerer Vorbereitung 2008 in den Karlsruher Leitlinien zur Integration. Ihr Ziel ist es, der gleichberechtigten Teilhabe der Migranten in allen Lebensbereichen näher zu kommen. Integration wird verstanden als langfristiger, in mehreren Aktionsfeldern bewusst zu gestaltender Prozess, der im Zeichen gegenseitiger Akzeptanz und Toleranz von den Zuwanderern wie von der aufnehmenden Stadtgesellschaft zu leisten ist.

Dr. Manfred Koch, Herausgeber/Redaktion "Blick in die Geschichte"

Ausführlich zum Thema: Manfred Koch/Sabine Liebig (Hrsg.): Migration und Integration in Karlsruhe, Karlsruhe 2010 (Veröffentlichungen des Karlsruher Stadtarchivs, Band 31)

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