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Blick in die Geschichte Nr. 110

vom 18. März 2016

Kunstdebatten der Zwanziger Jahre

Der Kunstfreund Ludwig Marum

von Monika Pohl

In Karlsruhe kennt man Ludwig Marum vor allem als Gegner und frühes Opfer des Nationalsozialismus, der im nordbadischen KZ Kislau bereits im März 1934 zu Tode kam. Bekannt ist auch sein politisches Engagement als prominenter Sozialdemokrat in den Jahren der Weimarer Republik, als er sich als führender Parlamentarier für den Ausbau der sozialen Demokratie einsetzte und sich als assimilierter Jude gegen Antisemitismus und für Toleranz aussprach. Kaum gesehen wird jedoch die bürgerliche Seite des Arbeiterführers, der über umfassende Bildung verfügte und sich in die zeitgenössischen Diskurse um das Wesen moderner Kunst und ein fortschrittliches Museumswesen einschaltete. Dies tat er sowohl auf der politischen Bühne als auch als Privatmann, der gerne in Künstlerkreisen verkehrte.

Von Wladimir Zabotin gestaltetes Plakat für eine Ausstellung der Gruppe Rih

Kulturpolitik in der Republik

Ein erstes Beispiel für den Einfluss Marums auf kunstpolitische Neuerungen in Baden stellt der Umbau der Karlsruher Kunstinstitutionen zu Beginn der Weimarer Republik dar. Die neue republikanische Regierung, in der Marum als Staatsrat wirkte, entschloss sich im Jahre 1920 die Kunstgewerbeschule und die traditionelle Kunstakademie, die 1854 von Großherzog Friedrich I. gegründet worden war, zur "Badischen Landeskunstschule" zusammenzulegen, womit man die freien und angewandten Künste zusammenführte und die bisherige Trennung zwischen den verschiedenen Kunstsparten überwand. Man griff auf die reformerischen Ideen, wie sie von Walter Gropius im Weimarer Bauhaus entwickelt worden waren, zurück und setzte sich damit im deutschen Südwesten an die Spitze eines modernen künstlerischen Ausbildungswesens. Die hiermit verbundenen Einsparmöglichkeiten in der Zusammenlegung des Verwaltungsapparats und der verschlankten Organisation des Lehrbetriebes entsprachen dem engen finanzpolitischen Rahmen der neuen Regierung, die angesichts der krisenhaften Nachkriegssituation im Grenzland Baden verantwortungsvoll mit ihren finanziellen Mitteln umgehen musste. Die Badische Landeskunstschule erwarb sich in den zwanziger Jahren einen exzellenten Ruf, von ihr gingen innovatorische Impulse im Bereich der Malerei, Graphik, Architektur und des Möbeldesigns aus. Ludwig Marum stand im freundschaftlichen Kontakt mit prominenten Professoren der Akademie, erwähnt seien hier der Maler Albert Haueisen, der Graphiker Gustav Wolf und der Innenarchitekt Fritz Spannagel.

Der Expressionismusstreit in Karlsruhe

Auch im badischen Landtag nutzte Marum seinen Einfluss zur Verteidigung moderner Kunstbestrebungen, als sich der zeitgenössische Expressionismus heftiger Angriffe erwehren musste. In Karlsruhe, wo bis Anfang der zwanziger Jahre ein konservativer Kunstgeschmack dominierte, entzündete sich ein heftiger Streit über die Qualität expressionistischer Kunst. Anlass für diese Debatte bot die Bildung einer jungen Künstlervereinigung, der Gruppe "Rih", deren bekannteste Vertreter Rudolf Schlichter und Wladimir Zabotin waren. Ihre Werke widmeten sich gesellschaftskritischen Themen und verwendeten eine moderne Formensprache. Sie waren bewusst auf Provokation des Karlsruher Publikums angelegt, was Schlichter mit den Worten bekundete, er wolle "den Philistern das Genießen unmöglich machen". Die Karlsruher Galerie Moos zeigte im Jahr 1919 die Arbeiten der jungen Künstler, der prominente Kunsthistoriker Wilhelm Fraenger aus Heidelberg hielt begleitende Vorträge, in denen er um Verständnis für die neue Kunst des Expressionismus warb.

Der Maler Leo Kahn (2. v. l.) und Ludwig Marum (oben 3. v. r.) auf einem Ball im Künstlerhaus 1922

Die Ausstellung fand ein widersprüchliches Echo, wobei die Kontrahenten mit scharfem Geschütz schossen. Die Verächter der Avantgarde, die angeführt wurden von den Malern August Gebhard und Adolf Bühler sowie dem Kunstkritiker Adam Röder, erhoben den Vorwurf des Dilettantismus, stellten die neueste Kunstrichtung in eine Reihe mit den malerischen Versuchen von Kindern und Geisteskranken.

Gegen diese Diffamierung formierte sich Widerstand in den Reihen der politisch und künstlerisch aufgeschlossenen Kreise in der badischen Landeshauptstadt, zu denen auch Marum gehörte. Im Badischen Landtag verteidigte er am 24. Juni 1920 die Expressionisten gegenüber ihren Gegnern aus der politischen Rechten mit den Worten: "Ich glaube, wir sollten auch gegenüber diesen ganz modernen Kunstbestrebungen etwas Ehrfurcht haben, denn wir wissen nicht, ob nicht das, was uns heute bizarr, verzerrt erscheint, morgen Allgemeingut in der Auffassung der Gebildeten ist." Auf den spießigen, von Prüderie gekennzeichnetem Vorwurf, moderne Kunst beinhalte zu viele Nacktdarstellungen, entgegnete Marum: "Gerade die moderne Kunst zeichnet sich ja dadurch aus, dass sie von dem Körperlichen abstrahiert und lediglich auf das Geistige, die Durchdringung des Körpers mit dem Geistigen abhebt. Das ist gerade der Begriff des Expressionismus!" Hier bewies Marum, der sich oft mit Rudolf Schlichter zum geselligen Zusammensein und Gedankenaustausch traf, genaue Kenntnis der theoretischen Grundlagen des Expressionismus.

Die Kontroverse um die Badische Kunsthalle

Ein weiteres Mal mischte sich Marum in eine aktuelle Kunstdebatte ein, als es um Neuerungen in der Badischen Kunsthalle ging. Dort hatte 1920 ein junger dynamischer Direktor, Willy Storck, sein neues Amt angetreten und leitete eine Wende im Museumswesen ein, indem er eine Neuordnung der Sammlung und eine moderne Präsentation der Kunstwerke veranlasste. Als Reformer ging es ihm darum, das Kunstmuseum allen Schichten der Bevölkerung zu öffnen, die Sammlung auf die badische Kunstentwicklung zu konzentrieren und eine Präsentation der Werke zu arrangieren, in der neue Möglichkeiten der Raumgestaltung, der Belichtung und Hängung genutzt wurden. Anstelle der Überfülle der wahllos präsentierten Kunstwerke trat nun eine sparsame, thematisch orientierte Auswahl, die in betrachterfreundlicher Höhe eine Werkschau auf künstlerisch hochwertigem Niveau bot. Storck betrieb zur Neuordnung der Sammlung eine aktive Ankaufpolitik, wobei er gleichzeitig Stücke veräußerte, die nichts beitrugen zum Verständnis der künstlerischen Entwicklung am Oberrhein.

Gegen die Neuerungen Storcks erhob sich seitens der Antimodernen ein Sturm der Entrüstung. In der Auseinandersetzung profilierten sich erneut die schon aus der Expressionismusdebatte bekannten Wortführer, die nun mit polemischen Attacken die Arbeit Storcks belasteten. Zu dem Vorwurf, Storck drücke den Rang der Kunsthalle auf den Status eines Bezirksmuseums herab, gesellte sich der Versuch der Kriminalisierung des Museumsleiters, indem man ihm eine rechtswidrige Ankaufspolitik ohne die nötige Zustimmung des Landtags vorwarf. Am 2. August 1921 debattierte das badische Parlament über dieses Thema. Es zeigte sich, dass die republiktreuen Parteien der Weimarer Koalition vorbehaltlos an der Seite Storcks standen, während die Deutschnationalen die rückwärtsgewandten Traditionalisten der Karlsruher Kunstszene unterstützten. Marum, der mit Storck eng befreundet war, unterstützte den Museumsleiter und betonte, dass in der Kunsthalle eine hochrangige Sammlung präsentiert werde, die keineswegs dem Niveau eines Bezirksmuseums entspreche. Er führte aus: "Wenn wir die Erwerbungen betrachten, die die Kunsthalle gemacht hat, müssen wir die Auffassung gewinnen, daß sie eine ganz außerordentliche Bereicherung des Kunstbesitzes des badischen Landes darstellen. Und zwar schließe ich da gar keinen Teil der Kunstschätze, die erworben worden sind, aus. Ich nenne da insbesondere die Bilder aus dem Gebiet der religiösen Malerei aus der Zeit des 15. Jahrhunderts. Ich nenne aber auch die Bilder ganz moderner Künstler, einerlei wie man sich zu ihrer so genannten Richtung stellt, die notwendig sind, um einen Überblick über das Kunstschaffen zu gewinnen, einerlei, ob man übereinstimmt mit der Kunstrichtung des Expressionismus oder Impressionismus oder sie ablehnt. Es ist notwendig, daß sie in einer Landeskunsthalle gezeigt werden."

Mit diesem Redebeitrag bestätigte Marum seinen Ruf als Kämpfer, der sich ebenso wie auf dem Gebiet der Politik auch in der Kunst für Fortschritt, Innovation und Toleranz einsetzte. Storck erkrankte nach wenigen Jahren in Karlsruhe an Tuberkulose, an der er 1927 starb. Seine Arbeit wurde in seinem Sinne von seiner Nachfolgerin Lilli Fischel fortgesetzt. Marum blieb interessierter Besucher der Kunsthalle und verkehrte häufig im Künstlerhaus im Palais Berckholtz nahe dem Karlstor, wo sich die lokalen Eliten aus Kunst, Politik und Wirtschaft trafen und die Bereitschaft zeigten, Menschen jüdischer Herkunft vorbehaltlos zu integrieren. Marum betätigte sich als Mäzen des jungen Künstlers Leo Kahn und als Sammler, der gerne Werke Karlsruher Künstler kaufte.

Gleichschaltung und Terror

Mit dem Jahre 1933 endete der Aufbruch in Kunst und Politik in die Moderne. Die Nationalsozialisten betrieben eine Kunstpolitik, die auch die Sammlung der Badischen Kunsthalle einer strikten Säuberung von Werken moderner Kunst unterwarf, sie stellten den Gegner der Avantgarde Adolf Bühler an die Spitze von Landeskunstschule und Kunsthalle, sie veranlassten die Absetzung der demokratisch legitimierten Regierung in Baden und verübten an Marum einen politischen Mord.

Um das Niveau an Fortschrittlichkeit, Offenheit und Toleranz, das in den Weimarer Jahren in Kunst und Politik geherrscht hatte, nach 1945 wieder zu erreichen, bedurfte es großer Anstrengungen, ehe eine demokratische politische Kultur aufgebaut war, in der Karlsruhe wieder den Namen einer weltoffenen Kunststadt tragen durfte.

Dr. Monika Pohl, Historikerin

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