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Blick in die Geschichte Nr. 113

vom 16. Dezember 2016

Carlsruher Blickpunkte

Ein Gräberfeld für Zwangsarbeiter

von Jürgen Schuhladen-Krämer

Alljährlich am Totensonntag gedenkt die "Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten" (VVN-BdA) der "Opfer von Faschismus und Krieg". Dies findet im Karlsruher Hauptfriedhof statt auf einem Gräberfeld in einem separierten Teil des jüdischen Friedhofs. Bestattet sind hier 94 sowjetische (drei davon eventuell polnische) Zwangsarbeiter.

Gräberfeld für Zwangsarbeiter auf dem Karlsruher Hauptfriedhof 2016

Im Juli 1945 hatte ein Vertreter der Sowjetischen Militäradministration für die Aufstellung eines mittelgroßen Gedenkkreuzes mit einer kyrillischen Inschrift gesorgt, deren Text auf einer später angebrachte Tafel in deutscher Sprache zu lesen ist: "Ewiges Gedenken den sowjetischen Bürgern, den Opfern des Faschismus. Es sollen die Faschisten wissen, dass kein Akt ihres Verbrechens ungesühnt bleiben wird. 1941-1945".

Von der Sowjetischen Militäradministration aufgestelltes Gedenkkreuz für die hier bestatteten Zwangsarbeiter

1954 gestaltete die Stadt die 94 Gräber gemäß dem "Gesetz über die Erhaltung der Gräber der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft" von 1952 zu einem Ehrengräberfeld und stellte wie auf den anderen Kriegsopferfeldern rote Sandsteinkreuze auf. Ein Jahr später wurde eine Gedenktafel an der Friedhofsmauer mit der Inschrift "Hier ruhen Fliegeropfer russischer Nation 1939-1945" angebracht. Die meisten der hier Bestatteten waren ab 1942 aus den besetzten sowjetischen Gebieten ins Deutsche Reich verschleppt worden, wo sie am unteren Ende der NS-Rassenhierarchie unter den schlimmsten Bedingungen arbeiten mussten.

Irreführende Hinweistafel aus Buntsandstein am Eingang zu dem Gräberfeld, die 1954 angebracht wurde, im Jahr 2016

Mangels Quellen waren bislang keine Details zu den 94 Toten bekannt. Die Durchsicht neu zugänglicher Beerdigungslisten brachte jetzt allerdings überraschende Erkenntnisse. Entgegen der Gedenktafel an der Friedhofsmauer handelt es sich nämlich nicht um Opfer von Luftangriffen. Nur drei der 94 sind eindeutig als Tote bei Luftangriffen - das Aufsuchen von Luftschutzräumen war Zwangsarbeitskräften verboten - registriert. Zu zwei Dritteln der Begrabenen fehlt die Angabe einer Todesursache, ihr Sterbedatum liegt jedoch - bei zwei Ausnahmen - nicht an Tagen oder in deren Nähe für die Luftangriffe auf Karlsruhe verzeichnet sind. Für 20 der Toten ist hingegen registriert, dass sie im Arbeitserziehungslager Karlsruhe umgekommen sind. Als Todesursachen wurden explizit festgehalten: "Auf der Flucht erschossen", oder noch detaillierter "Kopfdurchschuss", wie z.B. bei dem 19-jährigen Iwan Bruskow aus der Nähe von Orel, oder "Kopfschuss, Rückenschuss" wie bei dem 26-jährigen Fedor Repjach, geboren nahe Kiew. Insgesamt zehn der Toten aus dem Arbeitserziehungslager wurden "auf der Flucht erschossen", bei den anderen zehn sind als Todesursache z. B. aufgeführt "Kreislaufinsuffizienz", so bei dem 22-jährigen Ignatz Tokarz aus Rakzawa oder "Herzinsuffizienz" bei Stefan Poljak aus Rzizdwjani, 31 Jahre alt. (Für eine Tabelle mit der Auswertung der Beerdigungslisten siehe hier 106 KB (PDF).)

Über das Arbeitserziehungslager in Karlsruhe war bisher nur seine Existenz vom Oktober 1942 bis Frühjahr 1944 in der Fautenbruchstraße/Ecke Mittelbruchstraße bekannt und dass die Häftlinge u.a. zu Arbeiten auf Bahnanlagen, beim Bunkerbau oder zu Aufräumarbeiten nach Luftangriffen eingesetzt wurden. Arbeitserziehungslager gab es in Deutschland seit 1939. Sie dienten zur Disziplinierung der seit 1938 massenhaft dienstverpflichteten jungen deutschen Männer im Bergbau und insbesondere beim Westwallbau. Mit dem Ausbau des Zwangsarbeitseinsatzes von Ausländern im Kriegsverlauf insbesondere seit 1941/42 wurden etwa 200 Arbeitserziehungslager fast ausschließlich für diese eingerichtet. In Baden gab es nur zwei solcher Lager: das in Karlsruhe und eines in Niederbühl bei Rastatt. Nur für drei der 20 Toten aus dem Karlsruher Lager gibt es Angaben zum Arbeitseinsatzort: Maggi in Singen, Daimler-Benz in Gaggenau und das Mauserwerk in Karlsruhe.

Diese Arbeitserziehungslager schlossen die Lücke der NS-Terrorinstitutionen zwischen Polizeigefängnis und KZ. Sie waren sozusagen KZ auf Zeit bei einer Verweildauer für die Insassen von in der Regel zwei bis drei Monaten. Sie dienten der Disziplinierung bei angeblicher "Bummelei", geringer Arbeitsleistung, Verlassen des Betriebslagers oder des Arbeitsplatzes, auch wegen Mundraub, Bettel oder Tauschhandel mit Spiel- und Bastelzeug gegen Lebensmittel. "Erzogen" wurde durch gesteigerte Schwerstarbeit und mit den KZ-Methoden von Schikanen und Quälen bis zum Terror und den "Todesschüssen" unter direkter Aufsicht des (Gestapo-)Lagerführers und der Mannschaft. Die 20 nun bekannten Todesfälle im Karlsruher Arbeitserziehungslager wurden alle zwischen Oktober 1942 und März 1943 registriert. Nicht auszuschließen ist, dass auch hier wie überall im Deutschen Reich bis zum Lagerende 1944 wegen der hohen Sterberate nicht mehr alle Toten "ordentlich" registriert wurden.

So wenig darüber hinaus zum Karlsruher Arbeitserziehungslager ersichtlich wird, so sicher ist, dass die Erinnerungstafel am Friedhofseingang für "Fliegeropfer" nicht den historischen Tatsachen entspricht.

Jürgen Schuhladen-Krämer M. A., Historiker Stadtarchiv Karlsruhe

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