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Blick in die Geschichte Nr. 114

vom 17. März 2017

Pionier des Arbeitersports

Die Freie Spiel- und Sportvereinigung Karlsruhe und Hans Schulenburg

von Gernot Horn

Bis zum Verbot durch die Nazis 1933 war der Arbeiter Turn-Sport-Bund (ATUS) eine der bedeutendsten Sportorganisation im deutschsprachigen Raum. Ursprünglich 1893 als Gegenpol zu der immer mehr nationalistisch ausgerichteten Deutschen Turnerschaft (DT) als "Arbeiterturnerbund" in Gera gegründet, begann in der Zeit der Weimarer Republik die Blütezeit des ATUS. Früh schlossen sich auch in Karlsruhe Arbeiter, die sich in den sogenannten bürgerlichen Vereinen der DT nicht zuhause fühlten, zu einem Verein, nämlich zur "Freien Turnerschaft Karlsruhe" (FT) zusammen. Die Gründung des Vereins erfolgte am 24. April 1898 in der damaligen Karlsruher Gaststätte "Blume". Trotz großer Vorbehalte seitens der Behörden und Untersagung jeglicher Jugendarbeit sowie der mehr oder weniger feindseligen Haltung der bürgerlichen Turnvereine nahm die FT eine positive Entwicklung. Schon beim zehnjährigen Jubiläum 1908 konnte eine informative Festschrift aufgelegt werden.

Gründung und Entwicklung der Freien Turnerschaft bis 1933

Der Erste Weltkrieg bedeutete, wie bei allen Vereinen, auch für die FT einen tiefen Einschnitt. Der Turnbetrieb kam nahezu zum Erliegen. Durch die veränderten politischen Rahmenbedingungen nach 1918 nahm nicht nur die Dachorganisation ATUS eine rasante Entwicklung, auch auf örtlicher Ebene entfalteten sich die Mitgliedsvereine in zahlenmäßiger und sportfachlicher Hinsicht. Die FT erwarb 1919 ihre noch heute genutzte Sportanlage an der ehemaligen Linkenheimer Landstraße. Dank der ausgeprägten Opferbereitschaft der Mitglieder konnte1926 das Richtfest und am 21. Mai 1927 die Fertigstellung des Vereinsheims, das heute noch in den Grundzügen besteht, gefeiert werden.

Die ideale Sportanlage begünstigte das rasch anwachsende Sportangebot der FT. Zwar war die Turnabteilung nach wie vor die tragende Säule des Vereins, aber alsbald wurden Abteilungen für Fußball, Handball, Leichtathletik und Wintersport gegründet, mit dem damaligen Wassersportverein Karlsruhe, der ebenfalls dem ATUS angehörte, wurden freundschaftliche Verbindungen gepflegt. In einer Ära, in der sich der Verein mitgliedermäßig immer besser entwickelte - für den Turnbetrieb wurden in verschiedenen Karlsruher Stadtteilen Untergruppen gebildet - und in sportlicher Hinsicht eine Vielzahl von Erfolgen zu registrieren waren, fiel das Verbot des Vereins im Frühjahr 1933 und die Beschlagnahme der Platzanlage durch die Nazis. Die Familie von Hanne Landgraf (geb. Siebert), nachmalige Ehrenbürgerin der Stadt Karlsruhe und Landtagsabgeordnete, wohnte seinerzeit im Vereinsheim, da ihr Vater Karl Siebert die Kantine des Vereins betrieb. In einem Bericht hat sie anschaulich geschildert, wie die rüpelhaften SA-Horden sich des Sportplatzes einschließlich aller Baulichkeiten bemächtigten und die Familie Siebert aus der Wohnung drängten. Von jetzt auf nachher hatte der Verein aufgehört zu existieren.

Hans Schulenburg: Mitglied der Freien Turnerschaft und NS-Verfolgter

Auch für Hans Schulenburg, seit frühester Jugend Mitglied der FT, in vielerlei Hinsicht als aktiver Turner und Turnwart mehrerer Turngruppen im Verein engagiert, bedeutete das Vereinsverbot eine Zäsur. Sein Vater war der bekannte Gewerkschaftsfunktionär und Karlsruher SPD-Vorsitzende Gustav Schulenburg, der den NS-Schergen 1933 zunächst nach Frankreich entkommen konnte, nach der Besetzung Frankreichs jedoch 1940 inhaftiert und nach längeren

Gefängnisaufenthalten 1944 im KZ-Dachau umgekommen ist. Hans Schulenburg wurde am 16. Januar 1909 in Straßburg, sein Vater war dort seinerzeit bei der Gewerkschaft angestellt, geboren. Nach Kriegsende verzog die Familie Schulenburg nach Karlsruhe. Nach der Volksschule absolvierte Hans Schulenburg 1923-1926 eine Lehre als Werkzeugmacher. Bereits während der Lehrzeit besuchte er die 1. Arbeiterolympiade 1925 in Frankfurt. Nach seiner Lehrzeit ging er, wie vielfach damals üblich, als Geselle auf Wanderschaft. Dadurch war er Teilnehmer des 1. Österreichischen Arbeiter- Turn- und Sportfestes 1926 in Wien. Ebenso war er Besucher der Einweihungsfeier für die ATUS-Bundesschule in Leipzig im Spätjahr 1926. Beim II. Bundesfest des ATUS 1929 in Nürnberg war Hans Schulenburg mit einer Turngruppe der FT aktiver Teilnehmer. Bei der trotz wirtschaftlicher Probleme erfolgreichen 2. Arbeiterolympiade 1931 in Wien war der engagierte FT-Turnwart ebenfalls dabei und gewann nachhaltige Eindrücke.

Die Flucht und die Gegnerschaft seines Vaters zum Nazi-Regime führten 1933 zur Arbeitslosigkeit von Hans Schulenburg. Er wurde inhaftiert und seine Wohnung mehrfach von der Gestapo durchsucht. 1935 wurde er trotz politischer Unzuverlässigkeit an einen Rüstungsbetrieb nach Westheim (Kreis Schwäbisch Hall) delegiert. Dort verhalf er zusammen mit seiner Frau den inaktiven Turnverein wieder zu beleben. Nach Kriegsende kehrte Hans Schulenburg mit seiner Familie nach Karlsruhe zurück.

Wiedergründung der Freien Turnerschaft nach 1945

Unmittelbar nach seiner Rückkehr suchte er den Kontakt zu den noch lebenden FT-Mitgliedern. Er gehörte zur Kommission, die dafür sorgte, dass am 18. Dezember 1945 im Gasthaus "Weißer Berg" der ehemalige Verein "Freie Turnerschaft Karlsruhe" wieder gegründet wurde. Da seitens der Besatzungsbehörden gegen die Verwendung der Bezeichnung "Turnen" Bedenken erhoben, gaben die etwa 100 anwesenden Gründungsmitglieder dem neu gegründeten Verein den Namen "Freie Spiel- und Sportvereinigung Karlsruhe (FSSV)". Vorsitzender wurde zunächst Robert Geisser, ehe ihn von 1947-1952 der bereits erwähnte Karl Siebert ablöste. Mit Erfolg erwirkte die FSSV-Vorstandschaft bei den Amerikanern die rasche Rückgabe des Sportplatzes und des mittlerweile ramponierten Vereinsheimes. Die Geltendmachung der erlittenen allgemeinen Vermögensschäden zog sich indes bis Mitte der 1950er Jahre hin.

Bereits am 17. März 1946 konnte die FSSV im Konzerthaus eine gut aufgenommene Turn- und Sportschau veranstalten. Ein weiterer Meilenstein in der Nachkriegszeit war die Einweihung der neu ausgebauten Sportanlage am 14.-16. Juni 1947 mit der nunmehrigen Bezeichnung "Parkringstadion". In allen Sportabteilungen herrschte bald wieder ein reger Übungs- und Wettkampfbetrieb. Die Hand- und Fußballspieler wurden rasch in die Wettbewerbe der Fachverbände integriert, ebenso die Leichtathleten, die Turner und Faustballspieler. Der ehemalige Wassersportverein Karlsruhe schloss sich dem Verein an und begründete die Schwimmabteilung der FSSV. Höhepunkte für die von Hans Schulenburg geleitete Turnabteilung war die Teilnahme an den Badischen Landesturnfesten sowie später auch an Deutschen Turnfesten. Es entstand eine Wandergruppe und auch die verbliebenen Wintersportler wurden wieder aktiv.

Mit überregionalen sportlichen Erfolgen glänzten vor allen Dingen die Leichtathleten und Schwimmer des Vereins. Sukzessive wurde das Parkringstadion einschließlich des Vereinsheimes mit den Sanitär- und Umkleideräumen erweitert und modernisiert, sodass die FSSV-Anlage von Fachverbänden als Wettkampfstätte begehrt war. Außergewöhnliche Verdienste beim Ausbau des Parkringstadions erwarb sich Rolf Landgraf, Ehemann von Hanne Landgraf, der von 1962-1981 als Vereinsvorsitzender amtierte. Die 1971 gegründete Tennisabteilung fand von Anbeginn regen Zuspruch und vervollständigte das vielseitige sportliche Angebot.

Hans und Hilde Schulenburg 1994 an ihrem 85. und 80. Geburtstag; es gratuliert Bürgermeister und Sportdezernent Norbert Vöhringer

Hans Schulenburg gründete zusammen mit seiner Frau Hilde 1974 die FSSV-Seniorenabteilung, in der durch die vielfältigen geselligen und kulturellen Aktivitäten zahlreiche ältere Vereinsmitglieder eine "seelische Heimat" fanden. Hans Schulenburg nutzte überdies die Vereinszeitung als Autor für historische Beiträge und hielt so bis zum seinem Tod am 2. September 2003 die Erinnerung an die wechselvolle Vereinsgeschichte wach. In sportfachlicher Hinsicht konnte der Verein derweil seine ursprüngliche Vielfalt nicht erhalten. Er hat sich jedoch seine Bedeutung in der Karlsruher Sportlandschaft bewahrt und darf sich mit Recht und voller Stolz als Pionier und Hüter der Traditionen des einstigen Arbeitersports betrachten.

Gernot Horn, Geschäftsführer des Badischen Turnerbundes (1970 - 2000), vielfacher Deutscher Ringtennismeister, Karlsruhe

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