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Blick in die Geschichte Nr. 115

vom 30. Juni 2017

Herta Field, geborene Vieser aus Karlsruhe

Aus behütetem Haus in Karlsruhe in stalinistische Kerker in Ungarn

von Brigitte und Gerhard Brändle 

Herta Vieser ist 1904 in Karlsruhe geboren, die Mutter Katherina stammt aus der Gemeinde Owen am Rande der Schwäbischen Alb, der Vater Karl Johann ist Sekretär bei der Markgräflichen Domänenverwaltung in Karlsruhe. Die Familie, zu der auch die jüngere Schwester Gertrude gehört, wohnt in der Bismarckstraße 79 in einer besseren Wohngegend in der Nähe zahlreicher Einrichtungen der Regierung. 1913 lässt sich der Vater pensionieren und die Familie zieht in die Schweiz nach Zürich. In der Nachbarschaft dort wohnt die Familie Field aus den USA. Drei Jahre besuchen Herta und der gleichaltrige Noel Field dieselbe Schule. Im Herbst 1920 beginnt Herta in Karlsruhe eine Ausbildung zur Fürsorgerin im Fröbel-Seminar, das sich im Schlösschen im Fasanengarten befindet, die sie im Frühjahr 1922 abschließt. Nach dem Tod des Vaters geht sie im Herbst 1922 in die USA, sie arbeitet ein Jahr in Elmhurst/New York als Kindermädchen und in einer Textilfabrik. Anschließend ist sie im Haushalt der Familie Field in Cambridge beschäftigt. Im Mai 1925 heiraten Herta und Noel.

Herta und Noel Field 1925
Das Fasanenschlösschen im Schlossgarten im Juni 2010

Gemeinsame Jahre vor dem Krieg in den USA und in Europa

Ob Herta in der Schweiz vom Pazifismus in der Familie Field, geprägt von den Quäkern, ob sie von Noels Aktivitäten 1921, der Gründung eines "Weltfriedensbundes der Jugend" etwas weiß, muss offenbleiben. Sicher kennt sie die Tätigkeit ihres Mannes in der "Jugend für den Frieden", gemeinsam protestieren sie mit ihren nicht-weißen Freunden gegen Apartheid und 1927 für die Freilassung von Sacco und Vanzetti. 1929, als die Weltwirtschaftskrise beginnt, nehmen sie teil an Demonstrationen von Arbeitslosen. In diese Zeit fällt ihre Hinwendung zur Kommunistischen Partei. Noel, inzwischen erfolgreicher Harvard-Absolvent , ist im US-Außenministerium zuständig für Abrüstungsfragen. Die Beiden leben nonkonformistisch in New York mit vielen Katzen, haben ein Motorboot, sind viel mit dem Zelt draußen und frönen der Freikörper-Kultur. Noel nimmt 1930 als Mitglied der US-Delegation an einer Abrüstungs-Konferenz in London teil. Herta verbindet die Reise nach Europa mit einem Besuch bei Mutter und Schwester, die inzwischen wieder in Karlsruhe leben, und trifft sich auch mit Freunden.

Die Flottenkonferenz 1935 in London, an der Noel, der auch Informant des sowjetischen Geheimdienstes war, beteiligt ist, nutzt Herta ebenfalls zu einer Visite in der alten Heimat. Zu Weihnachten macht sie einen Überraschungsbesuch bei ihrer Mutter in Karlsruhe und auch bei einer Freundin aus der Zeit im Fröbel-Seminar. 1936 wird Noel vom US-Außenministerium zum Völkerbund in Genf entsandt. Wieder in Europa, besucht Herta mehrfach ihre Mutter und Schwester in Karlsruhe. 1938 werden die Fields bei einer Reise nach Moskau Mitglieder der KP. Hertas Schwager Hermann Field und ihre Schwiegermutter Nina geb. Eschwege nutzen ihre Reisen aus der Schweiz als Boten für die internationale kommunistische Bewegung bzw. zur Unterstützung der Anti-Nazi-Kräfte im "Reich". Ende 1938 begleitet Herta ihren Mann bei einem Völkerbund-Mandat in Spanien, bei dem es um den Abzug der nichtspanischen Verteidiger der Republik nach Frankreich geht. Dabei lernen sie viele Spanienfreiwillige aus Deutschland kennen, bei deren Rettung vor dem Zugriff der Nazis sie später eine wichtige Rolle spielen werden.

Im Krieg: Herta und Noel Field organisieren in Marseille und Genf Fluchthilfe und Unterstützung der Résistance

1940 verliert Noel seine Stellung als US-Diplomat beim Völkerbund. Ab Frühjahr 1941 leiten Herta - inzwischen tätig für die illegale KP der Schweiz mit dem Decknamen "Senta Wolf" - und er eine Hilfsorganisation des Unitarian Service Committee (USC) in Marseille. Dieses Komitee unterstützt - anders als das Emergency Rescue Committee mit Varian Fry - vor allem Antifaschisten, die in Internierungslagern wie Gurs und Le Vernet oder in der Illegalität leben und denen die Auslieferung an die Nazis droht. Die Fields besorgen für sie Lebensmittel, Geld, neue Papiere und die medizinische Versorgung. Für die Kommunisten unter den Flüchtlingen - oft Spanienfreiwillige - ist dies existenziell, da sie aufgrund der Einwanderungsbeschränkungen nicht in die USA einreisen können.

Etliche gelangen mithilfe der Fields auf Umwegen nach Mexiko, unter ihnen auch Hans Marum aus Karlsruhe, seine Frau Sophie und die Kinder Ludwig und Andrée im März 1942. Herta Field sorgte im Juni 1941 dafür, dass die hochschwangere Sophie Marum aus dem Hotel Bompard, einem provisorischen Internierungslager für Frauen und Kinder, in ein Heim der Quäker bei Marseille verlegt und mit Baby-Erstausstattung versorgt wird - so die Mitteilung der dort geborenen Andrée Fischer-Marum. Herta Field ist auch beteiligt an der Einrichtung von Kindergärten für Tausende im Lager Rivesaltes eingesperrten Kinder. Noel Field ist zugleich Vertrauensmann des Joint Antifascist Refugee Committee, das mit Hilfe von Schriftstellern wie John Dos Passos, John Steinbeck, Ernest Hemingway und Howard Fast Geld für diese Flüchtlinge aufbringt.

Nach der Besetzung auch des südlichen Teils Frankreichs 1942 durch die Nazi-Wehrmacht müssen die Fields in die Schweiz fliehen. Von Genf aus betreiben sie als USC-Büro eine "bürgerlich getarnte Rote Hilfe" und ermöglichen so weiter Hunderten von Gefährdeten, unter ihnen viele Kommunisten, die Flucht aus Frankreich. Sie arbeiten mit der OSE (Oeuvre de Secours aux Enfants) zusammen, um jüdische Kinder, deren Eltern 1942 schon deportiert worden waren, in die Illegalität, in die Schweiz oder nach Übersee zu retten, unter ihnen auch die Brüder Arnold und Paul Niedermann aus Karlsruhe. Als Kuriere des französischen Widerstands arbeiten sie auf Vermittlung des USC mit dem US-Geheimdienst OSS in der Schweiz zusammen. Dieser versorgt Partisanen-Gruppen der Résistance mit Geld und Waffen und hat auch Verbindungen zum deutschen Widerstand, u.a. zu Mitverschwörern des 20. Juli 1944 in Bern. Während Noel als Kurier unterwegs ist, leitet Herta das Büro des USC in Genf.

Herta und Noel Field 1948 in Warschau

Fünf Jahre Trennung: Herta und Noel in den Kerkern der Stalinisten

Nach der Befreiung Europas weiten die Fields die Arbeit des USC in Frankreich durch Büros in Lyon, Chambéry, Marseille u.a. aus, ab Sommer 1945 auch in Polen. Mehrere Reisen für das USC führen in die USA, nach Mexiko und Deutschland. Im Sommer 1948 verbringen sie einige Tage bei Hertas Mutter in Karlsruhe. Im Mai 1949 reist Noel nach Prag. Herta und Noels Bruder Hermann sind beunruhigt, als sie wochenlang nichts von ihm hören. Hermann will im August von Warschau aus nach Prag, um seinen Bruder zu suchen. Er kommt jedoch nie dort an; er wird ohne Prozess in einem Kerker bei Warschau eingesperrt, er überlebt fünf Jahre ohne Tageslicht, vier davon in Isolationshaft. Herta wird aus der Schweiz nach Bratislava gelockt unter dem Vorwand, ihr Mann Noel sei dort nach einem Anschlag der CIA im Krankenhaus. Sie wird an den ungarischen Geheimdienst AVH ausgeliefert und in Budapest ebenfalls für fünf Jahre eingesperrt. Sie wird - wie Noel - "Zwangseinwirkungen" unterzogen, ein Euphemismus für Folter.

1950 macht sich die Adoptivtochter der Fields, Erica Glaser, auf die Suche. Sie wird durch einen Brief eines Bekannten nach Ostberlin gelockt und vom DDR-Geheimdienst, dem Ministerium für Staatssicherheit (MfS), verhaftet. In über einem Jahr Isolationshaft in Gefängnissen des MfS und der UdSSR in Berlin und Verhören u.a. durch Erich Mielke soll sie durch Schlafentzug, Kälte und Schläge zu dem "Geständnis" gebracht werden, sie sei eine US-Spionin. An Heiligabend 1952 verurteilt sie ein extralegales sowjetisches Militärgericht in Berlin ohne Einhaltung von Mindeststandards wie Verteidigung bzw. Berufungsmöglichkeit zum Tode. Nach einem halben Jahr in Moskau in der Todeszelle in Isolationshaft wird sie nach Stalins Tod zu 15 Jahren Zwangsarbeit "begnadigt" und ins Straflager bei Workuta nördlich des Polarkreises deportiert.

"Field-Affäre": "Trotzkist", "Westemigrant", "Zionist", "Westler", "Kosmopolit"…

Nach dem Kidnapping von Noel und Herta Field 1949 beginnt in den Staaten Osteuropas im Zuge des "Kaltes Krieges" ein Kreuzzug gegen angebliche US-Agenten bzw. Abweichler von der Parteilinie, gesteuert von Moskau. Noel Field wird von den jeweiligen Parteibüros zum Belastungszeugen gegen Menschen aufgebaut, die nicht kriecherisch jede Wendung der sich kommunistisch nennenden Parteien mitmach(t)en oder aus anderen Gründen beseitigt werden soll(t)en: Wer mit Noel Field Kontakt hatte, wird beschuldigt, Agent der "anglo-amerikanischen Verschwörung gegen den Kommunismus", des "Zionismus" oder sonstiger angeblicher Feinde der UdSSR zu sein. Hunderte von Kommunisten, die ab 1936 in Spanien und später in der Résistance gekämpft hatten und dann mithilfe der Fields und des USC gerettet wurden, geraten in die tödliche Schusslinie der Parteien. Die Konstruktion ist immer dieselbe: Aus den Kontakten von Field zum US-Geheimdienst OSS mit Allen Dulles, der nach dem Krieg antikommunistischer Chef der CIA ist, wird die nicht belegbare Unterstellung, Field sei US-Agent gewesen und hätte alle Menschen, mit denen er zu tun hatte, "umgedreht", also zu CIA-Agenten gemacht. Daraus resultiert der Vorwurf der "Kontaktschuld". Mit rechtsstaatlichen Verfahren mit Anklage, Staatsanwalt, Verteidigung, Zeugen, Berufung… hat das alles nichts zu tun.

In Geheimprozessen werden unter der Folter erpresste Aussagen von Field, die er bald widerrief, zum Instrument der Ankläger, ohne dass Noel oder Herta Field je angeklagt werden oder als Zeugen aussagen können. Besonders gefährdet sind Menschen mit jüdischem Familienhintergrund: Opfer der von Moskau gesteuerten Schau-Prozesse in den osteuropäischen Staaten, auch in der DDR, sind mehrheitlich Juden. Dass die DDR-Führung keine Todesurteile anordnete und keine Leichen produzierte, lag nicht an mangelnder Linientreue zu Moskau oder gar an Menschlichkeit, sondern daran, dass die Wellen der sogenannten "Field-Affäre" sie erst erreichten, als aus Moskau 1953 schon andere Signale kamen - Todesfälle oder "Selbstmorde" im Zug der Field-Affäre bleiben bis heute ungeklärt. Die auch in der DDR drohende Gefahr brachte Menschen, die als Spanienfreiwillige und dann "Westemigranten" fürchten mussten, ins Visier des MfS zu geraten, dazu, ihre Herkunft aus einer jüdischen Familie vorsichtshalber zu eliminieren bzw. ihren Namen bzw. ihre Biografie "anzupassen".

Freilassung 1954

Herta, Hermann und Noel Field werden 1954 freigelassen, halbherzig rehabilitiert und mit Geld entschädigt, Hintergrund ist das "Tauwetter" in der UdSSR nach dem Tode Stalins 1953. Hertas Adoptivtochter Erica ist noch ein weiteres Jahr eingesperrt und wird dann nach Westberlin abgeschoben. Statt einer Einreiseerlaubnis in die USA, um zu ihrer Familie zurückkehren zu können, erhält sie Vorladungen der CIA. Die Verhöre unter der Anschuldigung, sie sei "Sowjetagentin", dauern bis Anfang 1958. In den USA angekommen, wird sie sofort vor den "Ausschuss für unamerikanische Angelegenheiten" geladen, als "Kronzeugin" gegen das Sowjet-System vorgeführt und darf erst anschließend zu ihrer Familie. Herta Field aus Karlsruhe hat noch zweimal Kontakt zu ihrer Familie: Im Spätsommer 1955 besucht ihre Mutter Katherina sie in Ungarn. Erst 1976 kommt es zu einem letzten Treffen von Herta und ihrer Adoptivtochter Erica in Budapest, die die Tochter jedoch nicht mehr erkennt. Noel Field stirbt 1970, Herta Field geb. Vieser stirbt 1980. Ihr Urnengrab befindet sich auf dem Farkasreti-Friedhof in Budapest.

Urnengrab der Fields auf dem Farkasreti-Friedhof in Budapest

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