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Blick in die Geschichte Nr. 115

vom 30. Juni 2017

Carlsruher Blickpunkt

Das Kulturdenkmal Jüdischer Friedhof in Grötzingen

von Manfred Koch

Beim Spaziergang in Grötzingen zwischen den Ein- und Zweifamilienhäusern im Gewann Junge Hälden fällt ein Schwenk der Straße Am Liepoldsacker auf. Von Süden kommend stößt man auf einen Spielplatz und dahinter ein kleines von Hecken umsäumtes und von alten Bäumen beschirmtes Grundstück. Tritt man näher, entdeckt man durch ein verschlossenes, eisernes Gittertor Grabsteine mit hebräischen Schriftzeichen. Daneben informiert eine Hinweistafel, dass dies einst der Friedhof der jüdischen Gemeinde von Grötzingen war.

Friedhof der jüdischen Gemeinde von Grötzingen

Seit 1895 planten die Grötzinger Juden die Anlage eines eigenen Friedhofs. Sie wollten für den Besuch der Gräber ihrer Angehörigen nicht mehr den weiten Weg nach Obergrombach machen, wo diese bislang auf dem jüdischen Verbandsfriedhof bestattet wurden. 1903 konnten sie dann ein weit vor dem Dorf gelegenes Grundstück dafür erwerben. Damals lebten in dem Ort an der Pfinz über 70 Menschen jüdischen Glaubens. Die Dokumentation der Grabinschriften, die das Landesarchiv Baden-Württemberg im Internet zugänglich gemacht hat, verzeichnet als ältesten Grabstein den der Sara Palm, die am 30. Dezember 1905, einem Sabbat, im Alter von 55 Jahren verstorben ist. Die erste Bestattung fand also 1906 statt. Zuletzt beerdigt wurde hier die am 20. April 1935 mit 27 Jahren bei einem Arbeitsunfall verstorbene Maria Traub. Damals lebten noch etwa 20 Juden im Dorf.

Insgesamt fanden in den 30 Jahren 16 Tote hier ihre letzte Ruhestätte. Darunter Hans Julius Nathan, der 1916 nur vier Monate alt wurde, worauf der kleine Grabstein hinweist. Die Inschriften auf den 13 Grabsteinen, die dem jüdischen Kultus entsprechend nach Osten ausgerichtet sind, weisen zudem drei Doppelgräber aus: Die Geschwister Fanny und Bernhard Traub, die beide 1913 im Alter von 74 und 81 Jahren gestorben sind, und die Ehepaare Raphael und Rosa Fröhlich sowie Joseph und Helene Palm. Paargräber, bei denen der später Verstorbene ein eigenes Grab neben dem seines Gatten erhielt, gelten auf jüdischen Friedhöfen als unüblich, Das Besondere in Grötzingen ist zudem, dass nicht jedes Grab wie vorgegeben einen eigenen Grabstein bekommen hat. Der Name des bzw. der zweiten Verstorbenen wurde nachträglich auf den vorhandenen Stein eingemeißelt. Die Namen der Toten - Palm, Traub, Fröhlich, Sinauer, Veith - tauchen über lange Zeit in der Geschichte der Grötzinger Juden auf.

Fünf Jahre nach der letzten Beerdigung erlitten am 22. Oktober 1940 auch zehn noch in Grötzingen lebende Juden die Deportation in das Lager Gurs in Südfrankreich. Der während der Reichspogromnacht 1938 nicht zerstörte Friedhof wurde danach geschlossen und das Gelände 1943 von der Gemeinde gekauft. Den nicht mit Gräbern belegten Teil nutzte man für die Landwirtschaft. Die Grabstätten blieben erhalten, da im Kaufvertrag bestimmt war, dass die für die Gräber übliche Schonfrist einzuhalten sei. Ein weiter Grund dafür war wohl die Absicht des "Reichsinstituts für die Geschichte des neuen Deutschland", ein Verzeichnis der Grabsteininschriften auf allen Judenfriedhöfen zur "genealogischen Erforschung des Judentums und seiner Verbreitung im deutschen Volkskörper" zu erstellen.

Nach dem Ende der NS-Diktatur ging der jüdische Friedhof in Grötzingen im Rahmen der Restitution jüdischen Eigentums, da es nun keine jüdische Gemeinde im Ort mehr gab, schließlich in den Besitz des Oberrats der Israeliten Badens über. Zur Pflege der nicht mehr genutzten Friedhöfe kam es 1957 zu einer Absprache zwischen dem Bund, den Ländern und Vertretern jüdischer Organisationen. Unter Beachtung des jüdischen Kultus, wonach die Totenruhe unantastbar ist, sollen diese Friedhöfe seitdem als in die Landschaft eingefügte Gesamtheit dauerhaft erhalten bleiben. Die Kosten für die Pflege teilen sich Bund und Länder, die Pflegearbeiten obliegen den Kommunen. Der kleine, nur 108 Quadratmeter große und vollständig mit Steinplatten belegte Grötzinger Friedhof ist einer der jüngsten der 145 jüdischen Friedhöfe in Baden-Württemberg. Er gilt nach dem Denkmalschutzgesetz von 1984 aus heimatgeschichtlichen Gründen als Kulturdenkmal.

Dr. Manfred Koch, Herausgeber/Redaktion "Blick in die Geschichte"

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