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Blick in die Geschichte Nr. 116

vom 15. September 2017

Nationalsozialistische Heerschau des Sports

Das Gaufest des Reichsbundes für Leibesübungen 1935 in Karlsruhe

von Niklas Chow

Der Massen- wie Leistungssport in Deutschland nach 1933 war geprägt von den weltanschaulichen Grundlagen des Nationalsozialismus mit Sozialdarwinismus und Rassismus unter den drei Hauptzielen: "Volksgesundheit", rassenpolitische Auslese und Wehrertüchtigung. Mit der Reichstagsbrandverordnung wurden die den Arbeiterparteien SPD und KPD nahestehenden Vereine aufgelöst und ihr Vermögen beschlagnahmt. In Karlsruhe unter anderen die Freien Turner (FSSV), der Arbeitsportverein Hagsfeld, der Athletiksportverein Daxlanden 1921. Während die Arbeitersportvereine und ihre Verbände zwangsaufgelöst und ihr Vermögen beschlagnahmt wurde, löste sich im Mai 1933 der Deutsche Reichsausschuss für Leibesübungen (DRA), die Dachorganisation der bürgerlichen Turn- und Sportverbände, selbst auf. Relativ spät im März 1934 wurde er durch den nach dem Führerprinzip geleiteten Deutschen Reichsbund für Leibesübungen (DRL) ersetzt. Zuvor war der Reichsführerring gebildet und die Führer der Verbände und der Kreisbeauftragten in den Gauen eingesetzt worden, wodurch der Sport fachlich und regional kontrolliert werden konnte. Die Leitung des DRL übernahm der SA-Gruppenführer (vergleichbar Generalleutnant) Hans von Tschammer und Osten als Reichssportkommissar seit 1933 und nunmehriger Reichssportführer.

Der Neuaufbau der "deutschen Leibesübungen" erfolgte in 23 Fachämtern. Alle Turn- und Sportvereine in Baden bildeten den Gau XIV im DRL. In jedem Ort hatte sich im Sinne der nationalsozialistischen Zentralisierung nach von Tschammers Anweisung vom Februar 1935 eine Ortsgruppe des DRL zu gründen. Die erfolgte umgehend in Karlsruhe, um, wie es hieß, gegenüber den örtlichen Behörden zu unterstützen und eine geschlossene Turn- und Sportgemeinde für Volk und Staat zur körperlichen Erziehung des Volkes, insbesondere der Jugend, zu bilden.

Zentrales Plakat-Motiv des Gaufestes, das auch den Umschlag des eigens herausgegebenen "Arbeits-Buches" zierte

Organisation einer groß angelegten Inszenierung

Ein Jahr nach der Bildung des DRL und ein Jahr vor den Olympischen Spielen in Berlin maßen die NS-Machthaber und -Sportfunktionäre den im Juli 1935 in mehreren Gauen erstmals abgehaltenen Gaufesten für Leibesübungen größte Bedeutung zu. Für Baden wurde das Gaufest auf den 21. bis 28. Juli terminiert. Die Vorbereitung war dem Fachamt 1, der "Deutschen Turnerschaft" (DT), als größtem Fachamt, übertragen worden. Hauptaustragungsort war als größte und modernste Anlage in Karlsruhe das Stadion der Hochschule, die Hochschulkampfbahn. Alle Turn- und Sportvereine Badens waren verpflichtet teilzunehmen, "denn von allen Veranstaltungen 1935 ist das Gaufest die wichtigste" und "Vereine, die nicht antreten gelten ab 1.8.35 als aufgelöst!" hieß es in einem Aufruf des DT-Gauführers.

Kunstmaler F. Dold entwarf das Plakat, das in einer Auflage von 20.000 Stück an öffentlichen Stellen und in Schaufenstern prangte. Zugleich war es das zentrale Motiv für die Siegerurkunden, Festabzeichen und -marken sowie alle Publikationen. Dargestellt ist ein junger, blonder Wettkämpfer in rotem Trägerhemd, festem Blick und gestähltem Köper, sieges- und selbstbewusst als kämpferischer Mann der Zukunft vor dem Hintergrund des Hochschulstadions, gefüllt mit einem Heer von deutschen Turnern. Darüber weht das Hakenkreuzbanner, "das Symbol einer neuen Zeit, das Symbol der großen Einigung und damit auch das Symbol des RfL[DRL]" darunter weht die traditionelle Fahne der Turnerschaft. Hakenkreuz und die vier F (frisch, fromm, fröhlich, frei) propagierten so eine angebliche Übereinstimmung der Ideen des Nationalsozialismus mit denen von "Turnvater Jahn".

Die NS-Zeitung "Der Führer" vereinnahmte die verschiedenen Turnfeste nach den Jahren des Ersten Weltkrieges, die "wie ein Aufbäumen der gesunden Kraft gegen die jämmerliche Hoffnungslosigkeit des geschwächten Volkstums" gleich als Vorläufer des großen Gaufestes der nationalsozialistischen Gegenwart. Das heutige Fest zeige den Gemeinschaftsgedanken der Turner und Sportler und den deutschen Einheitswillen im neu geschaffenen nationalsozialistischen Staat. Zugleich postuliere es damit die Überwindung des lange bestehenden Gegensatzes zwischen traditionellem Turnen und dem neueren Sport.

Verlauf des Gaufestes, ein Fest des Sports?

Bereits am Tag der Eröffnungsfeier des Gaufestes wurde in der NS-Zeitung "Der Führer" gemeldet, dass führende Karlsruher Geschäfte und Gaststätten Schilder mit der Aufschrift "Deutsches Geschäft" oder "Juden sind hier unerwünscht" platziert hatten. Und am 25. Juli hatte die Zeitung verkündet, dass von nun an die "Karlsruher Bäder judenfrei" seien, nachdem der Karlsruher Oberbürgermeister Juden das Betreten städtischer Badeanstalten verboten hatte.

Am Samstagnachmittag des 20. Juli ging dem Großereignis als sportlicher Auftakt ein Schießwettbewerb auf dem Schießstand der Schützengesellschaft 1721 voraus. Die Schießwettbewerbe nahmen einen prominenten Platz ein und dauerten die gesamte Woche an, da dem Schießsport nach Einführung der allgemeinen Wehrpflicht im März größte Bedeutung zukam.

Die Eröffnungsfeierlichkeit fand abends mit dem für die NS-Zeit typischen Fackelmarsch statt. In Sechserreihen marschierten die Sportler und Sportlerinnen vom Schmiederplatz durch die Kaiserstraße über den Marktplatz (Adolf-Hitler-Platz) zum Festplatz (ab 1937: Platz der SA). Der Aufmarsch in den geschmückten Straßen fand unter großer Zuschauerbeteiligung statt, so dass die Bevölkerung zu einem Teil der Veranstaltung wurde. Die einheitliche Sportlerkleidung, die Fahnen, der militärische Aufmarsch mit dem Singen "deutscher Lieder" als Massenspektakel war Teil der Erzeugung des gewünschten Gefühls der "Volksgemeinschaft". Die Reden beschränkten sich beim Auftakt auf die Begrüßungen durch die badischen Sportfunktionäre sowie dem verlesenen Grußwort des Reichssportführers. Nach einem gemeinsamen "Sieg Heil" auf den Führer folgten zum Abmarsch das Deutschland- und das Horst-Wessel-Lied.

Im offiziellen knapp 100-seitigen "Arbeits-Buch zum 1. Gaufest des Reichsbundes für Leibesübungen Gau 14 (Baden)" werden in den Geleitworten etwa vom Reichssportführer von Tschammer und Osten oder dem Beauftragten des Reichssportführers, Herbert Kraft, Ministerialrat im Kultusministerium und ab Ende 1935 offiziell Gauführer für Baden im DRL die gesteckten Ziele umrissen: "Die Formung der deutschen Menschen für die völkische Erneuerung der Nation." Die Leibesübungen sollten dazu dienen, "durch Kameradschaft und Opfer ein Geschlecht heranzubilden … welches seine Pflichten auch in ernsten und schweren Tagen" erfülle, es gehe um die "wehrhafte Volkswerdung".

Karlsruhe sah die Vorführung fast aller Turn- und Sportdisziplinen, damals Fachämter genannt. Einige wenige Sportkämpfe wurden wegen des in Karlsruhe fehlenden Fachamts samt Sportstätte andernorts ausgetragen. So am Auftakttag der Golfwettbewerb auf dem Golfplatz in Baden-Baden oder die Segelregatta am Bodensee in Konstanz.

Schauvorführung von Turnerinnen beim 1. Gaufest des Reichsbundes für Leibesübungen 1935

Die Öffentlichkeit hatte die Woche über neben den eigentlichen Wettkämpfen Gelegenheit, Schau- oder Geselligkeitsveranstaltungen aufzusuchen. Am 21. Juli fand im geschmückten Rheinstrandbad ein Strandfest mit "humoristischen 'Darbietungen" statt, am Montag und Dienstag gab es auf öffentlichen Plätzen Schauvorführungen von "gut durchtrainierten Turnern" der 17 Turnvereine in Groß-Karlsruhe, von Radlern und von Schwerathleten. Am Mittwoch fand die groß inszenierte Bannerübergabe an die Feststadt Karlsruhe auf dem Marktplatz statt, am Samstag war am gleichen Ort wieder Großkundgebung mit Aufmarsch der Turner und Sportler mit Reichsfahnen vor dem Rathausportal, Massenchor, mit Ministerpräsident Walter Köhler und Herbert Kraft, auf der abermals die Programmatik der NSDAP zum Sport propagiert wurde. Von Donnerstag bis Samstag bildeten die Darbietungen der Turnerschaft einige der Höhepunkte der Woche. Über 5.000 Turnerinnen und Turner zeigten am Freitag auf den Plätzen um das Hochschulstadion ihre Übungen an Barren, Reck und Pferd oder den Ringen oder absolvierten rhythmische Übungen. Samstags wurden ganztags die Mannschaftswettbewerbe im Vereinsturnen mit 11.000 Aktiven ausgetragen.

Der detailliert ausgearbeitete Aufstellungsplan für das Schauturnen am 28. Juli 1935 im Hochschulstadion

Bevor sonntagnachmittags am 28. Juli nach einem letzten Schauturnen und Eintreffen der Teilnehmer des rund um Karlsruhe über 150 Kilometer abgehaltenen Freiherr-von-Drais-Gedächtnisrennen die Siegerehrungen im Hochschulstadion vor etwa 30.000 Zuschauern stattfanden, war vormittags abermals ein Großaufmarsch in Szene gesetzt worden. Nahezu 20.000 Aktive starteten vom Durlacher- und Mühlburger Tor wieder in Sechserreihen mit Fahnen durch die Innenstadt und paradierten am Marktplatz vorbei an Hans von Tschammer und Osten, Herbert Kraft, Kultusminister Otto Wacker und Kreisleiter Willi Worch - allesamt in Uniform. Der Vorbeimarsch an der Tribüne wurde von schwarz uniformierten SS-Reitern zu Pferde angeführt, gefolgt von Ehrenstürmen der Partei, dahinter zwei Motivfestwagen mit Darstellung der Leibesübungen seit Turnvater Jahns Zeiten bis zur Gründung des DRL 1934. Von Tschammer und Osten hatte beim Abschluss den "neuen Geist" der nationalsozialistischen Idee beschworen, und dass sich Jeder "durch Leibesübungen dem Vaterland" zur Verfügung zu stellen habe.

Turnen und Sport war im "Dritten Reich" keine individuelle Beschäftigung zur Körperertüchtigung oder zur Freude oder zur Leistungserzielung von Einzelnen, sondern hatte sich dem Staat zu politischen und militärischen Zwecken unterzuordnen.

Niklas Chow, Schüler am Goethe-Gymnasium Karlsruhe

Gekürzter Beitrag aus dem Seminarkurs Nationalsozialismus in Karlsruhe, Schuljahr 2016/17 der Schülerakademie, betreut von Marion Bodemann, Hendrik Hiss und Tobias Markowitsch.

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