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Blick in die Geschichte Nr. 116

vom 15. September 2017

Carlsruher Blickpunkte

"Heimat ist Geschenk und Auftrag"

von Manfred Koch

Viel diskutiert war der Heimatbegriff in den Monaten während der Heimattage Baden-Württemberg 2017 in Karlsruhe. Die im Titel zitierte sehr prägnante Begriffserklärung ist jedoch weit älter. Sie findet sich auf dem Joseph-Groß-Platz in der Kirchfeldsiedlung an einer 1967 errichteten Denkmalanlage, die bei der Betrachtung leicht als Vertriebenenmahnmal zu erkennen ist. Wer nun aber versucht, mehr über diese Installation im Internet zu erfahren, findet dort keine Information. Weder im Verzeichnis der über 1.500 deutschen Vertriebenendenkmäler des Bundes der Vertriebenen noch in einer Wikipedia-Datei ist es aufgelistet. Fündig wird man erst in der 2012 erschienenen Chronik der Kirchfeldsiedlung von Herbert Karl.

Vertriebenenmahnmal auf dem Joseph-Groß-Platz in der Kirchfeldsiedlung

Der Bau der Kirchfeldsiedlung bei Neureut begann 1949. Dort schufen sich Flüchtlinge und Vertriebene eine neue Heimat und schon 1957 lebten hier etwa 4.000 Menschen. 1965 initiierte eine kleinere Gruppe der Siedlergemeinschaft die Errichtung eines Mahnmals "im Gedenken an alle Opfer des Krieges". Dieses sollte nicht in "Verbitterung und Hass verharren, sondern einen in die Zukunft weisenden tieferen Sinn haben". Im "Geiste von Versöhnung und Frieden" sei "eine friedlichere Zukunft" nur möglich, "wenn über alle Feindseligkeit hinweg nicht nur das eigene erlittene Leid eingeklagt, sondern auch das anderer ethnischer Gruppen anerkannt wird, um Hass und Krieg zu überwinden." Diese Begründung für die Denkmalsetzung steht einerseits im Einklang mit der Charta der Vertriebenen von 1950, in der auf Rache und Vergeltung für die Vertreibung ausdrücklich verzichtet wird. Auf das in der Charta postulierte und in den 1960er Jahren schon umstrittene "Recht auf Heimat" wird dagegen keinerlei Bezug genommen. In dem Anspruch auf Rückgabe der und Rückkehr in die alte Heimat sahen die Initiatoren des Denkmals wohl einen Widerspruch zu ihrem Anliegen.

Die Gemeinde Neureut unterstützte die Denkmalsetzung und sah darin "ein Symbol der Verwurzelung der Vertriebenen in ihrer neuen Heimat und ein verbindendes Element zwischen Alt- und Neubürgern". Unterstützung fanden die Initiatoren auch beim Staatssekretär des Innenministeriums von Baden-Württemberg, der die besondere Bedeutung des Neureuter Mahnmals darin sah, dass es nicht wie so viele andere auf einem Friedhof, sondern auf einem öffentlichen Platz verwirklicht werde.

Nahaufnahme des Vertriebenenmahnmals 2017

Nach einer breit angelegten und erfolgreichen Spendensammlung erhielt der Künstler Fritz Theilmann Anfang 1967 den Auftrag zur Gestaltung des Mahnmals. Die US-Army planierte das Gelände, die Gemeinde Neureut ließ den Platz anlegen. Am 24. September vor 50 Jahren wurde die Anlage eingeweiht. Sie besteht aus drei Elementen: Einer Stele, einer Figurengruppe und einem Brunnen. Die sich nach oben verjüngende Stele ist sieben Meter hoch, dreieckig mit leicht nach innen gewölbten Seiten und mit rotbraunem Klinker verkleidet. An der Vorderseite steht drei Meter hoch die Figurengruppe mit einer Mutter mit Kind im Tragetuch, einem Mädchen mit Puppe im Arm und einem Jungen, der sich duckend in lodernde Flammen zurückschaut. Sie symbolisiert das Leid der Vertreibung. Mit etwas Abstand davor befindet sich ein dreieckiger Brunnen mit kleiner Fontäne. In dem auf der Vorderseite der Stele angedeuteten Kreuzarm steht die Aufschrift "Frieden und Versoehnung", links ist zu lesen "Gedenke unserer Toten und Vermissten" und rechts "Heimat ist Geschenk und Auftrag 1967".

Das Mahnmal in der Kirchfeldsiedlung ist mit dem angedeuteten Kreuz und der Aufschrift links ein Ort des Totengedenkens. Es ist zudem mit der vor dem Feuer der Vernichtung fliehenden Figurengruppe und der vorderen Aufschrift ein Ort des zeitlosen Appells gegen Vertreibung und für den Frieden. Dies kann selbst dann gelten, wenn man den historischen Kontext bedenkt, wonach den Verantwortlichen 1967 mit der Figurengruppe das Leid der Vertreibung aus den deutschen Ostgebieten vor Augen stand, und wenn man den fehlenden Hinweis auf den ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs und den Zwangsdeportationen nach dessen Ende bemängelt. Und schließlich ist dieses Mahnmal mit der Aufstellung im öffentlichen Raum, mit dem Verzicht auf jegliches Zeichen des Anspruchs auf die alte Heimat und der Aufschrift "Heimat ist Geschenk und Auftrag" ein eindeutiges Bekenntnis zur Integration in die Aufnahmegesellschaft. In der Erinnerungstopographie im heutigen Karlsruher Stadtgebiet unterscheidet sich diese Mahnmal deutlich von den anderen Vertriebenendenkmälern mit seiner Mehrdimensionalität und seiner über den Anlass hinausweisenden Gestaltung.

Dr. Manfred Koch, Herausgeber/Redaktion "Blick in die Geschichte"

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