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Blick in die Geschichte Nr. 117

vom 8. Dezember 2017

Einbürgerungen: Der Fall Jakob Brand

Zuerst Österreicher, dann Pole und am Ende staatenlos!

von René Gilbert

In der Endphase der Weimarer Republik konzentrierte sich der politische Streit in Karlsruher auf die Auseinandersetzung zwischen Nationalsozialisten und den anderen politischen Parteien. Am 17. Dezember 1931 kam es zwischen Vertretern der NSDAP und der SPD zu einem verbalen Schlagabtausch im Karlsruher Stadtrat, der bezeichnend ist für das, was von den Nationalsozialisten in der Zeit ihrer späteren Diktatur an politischer Agitation sowohl gegenüber den demokratischen Parteien als auch gegenüber jüdischen Bürgern betrieben wurde.

Jakob Brand (1875-1958)

Der Streit im Karlsruher Stadtrat

An jenem Tag behandelte der Stadtrat das Einbürgerungsgesuch des 56-jährigen Kaufmanns Jakob Brand. Brand, Vater des bekannten Theaterschauspielers Hermann Brand, wurde 1875 in dem nordgalizischen Dorf Rozwadów geboren und lebte seit 1900 in Karlsruhe, zunächst als österreichischer, ab 1918 als polnischer Staatsbürger. Er arbeitete zu Beginn als Hausierer für Textilwaren und eröffnete 1907 ein eigenes Textilgeschäft. Nach dem Ersten Weltkrieg gründete Brand einen Laden für Kurz-, Weiß- und Manufakturwaren, den er 1926 wieder aufgab, um fortan in seiner Wohnung ein Wäschegeschäft zu betreiben.

Briefkopf des Wäschegeschäfts Jakob Brand

Für die SPD-Fraktion erklärte Stadtrat Friedrich Töpper die Zustimmung zur Einbürgerung Brands, anschließend formulierte Stadtrat Peter Riedner die ablehnende Haltung der NSDAP-Fraktion. Über die nicht wörtlich überlieferten Ausführungen Riedners berichtete die badische NS-Zeitung "Der Führer" wenige Tage später folgendermaßen: "Die Nationalsozialisten haben im Stadtrat gegen die Einbürgerung des Herrn B. gestimmt, weil sie 1. aus grundsätzlichen Überlegungen gegen eine jede Einbürgerung von Ostjuden sind." Zur Legitimierung dieser rassistischen Begründung wurde ein zweiter Grund nachgeschoben, der freilich auf die Diskreditierung Brands abzielte, indem dessen fünf Jahre zurückliegendes Strafverfahren wegen eines Steuervergehens angeführt wurde. In der Tat war Brand im November 1926 "wegen Umsatz- u. Einkommenssteuer-Gefährdung" zu einer Geldstrafe von 2.000 Reichsmark verurteilt worden. Durch einen Erlass des Reichsfinanzministeriums wurde die Geldstrafe 1930 auf 1.089,25 RM reduziert.

Diese Argumentation führte zunächst nicht zum beabsichtigten Erfolg der Nationalsozialisten, da in der folgenden Abstimmung der Antrag Brands auf Einbürgerung mit Stichentscheid des Oberbürgermeisters angenommen wurde. Allerdings verfügte die Stadt in dieser Frage über keine Entscheidungsbefugnis, sondern konnte lediglich eine Empfehlung für das Bezirksamt aussprechen. Wegen dieses sehr knappen Abstimmungsergebnisses entstand nun bei den Nazis Unruhe, die in ein Wortgefecht zwischen ihren Vertretern und dem SPD-Stadtrat Töpper führte. Die Stadtverwaltung rekonstruierte den Hergang wie folgt: Als bei den Nationalsozialisten besagte Unruhe entstand, kommentierte Töpper dies mit dem Satz "Regen Sie sich doch nicht auf, Ihr Führer Hitler ist ja auch Österreicher!", worauf NS-Stadtrat Oskar Stäbel Töpper mit den Worten drohte: "Das müssen sie büßen!" Nach dieser persönlichen Attacke sprang Töpper höchst erregt auf und ging mit weiteren Genossen auf die Sitzseite der Nationalsozialisten zu, wo er in scharfem Ton darauf hinwies, dass er als Soldat im Ersten Weltkrieg verwundet worden sei, während Stadtrat Stäbel zu dieser Zeit noch als Lümmel auf der Schulbank in Rastatt gesessen habe und er sich daher von einem solch jungen Menschen, der zudem seine vaterländische Pflicht noch nicht erfüllt habe, nicht beleidigen lasse.

Am folgenden Tag beschwerte sich die NSDAP-Fraktion beim Oberbürgermeister bezüglich der Aussagen Töppers über Adolf Hitler: "Wie schon des Öfteren glaubte Herr Stadtrat Töpper […] ohne jeden erkennbaren Anlass die Person unseres Führers Hitler in Verbindung und damit in Vergleich bringen zu sollen mit irgend einem aus dem Osten eingewanderten Juden. Wir erachten diese Gegenüberstellung für eine gewollte Beleidigung unseres Führers und eine beabsichtigte Diffamierung der N.S.D.A.P. Wir erklären, dass wir zu den schärfsten Abwehrmitteln greifen müssen bei der Wiederholung ähnlicher Äusserungen, wenn nicht von Seiten des Vorsitzenden des Stadtrates Massregeln zum Schutze der Angegriffenen getroffen werden wollen."

Als schließlich der badische Landeskommissär sich in den Fall einschaltete und die Stadtverwaltung um eine Stellungsnahme zur Frage der Einleitung eines Dienststrafverfahrens bat, ordnete diese eine Untersuchung an, für die sie die Hauptbeteiligten zu Einzelgesprächen ins Rathaus bestellte. Da sowohl Töpper als auch Stäbel sich einsichtig zeigten, gelangte die Stadtverwaltung zu der Ansicht, von einem förmlichen Dienststrafverfahren gegen beide Beteiligte absehen zu können.

Am 23. Januar 1932 legte die Stadtverwaltung dem Landeskommissär ein Schreiben vor, in dem sie den Grund des Streits sachlich zu klären versuchte: "Der Hinweis des Stadtrates Töpper auf die frühere österreichsche Staatsangehörigkeit Hitlers war ganz offensichtlich harmlos gemeint, Stadtrat Stäbel hat ihn aber missverstanden. Dieses Missverständnis ist wohl darauf zurückzuführen, dass die Debatte sich um eine aus Galizien stammende Persönlichkeit drehte und Stadtrat Stäbel im ersten Augenblick nach den Worten des Herrn Töpper meinte, es sollte ein Vergleich zwischen dem Führer seiner Partei und einem aus Galizien eingewanderten jüdischen Bürger gezogen werden. Der Zuruf des Stadtrates Stäbel ist der Ausfluss einer plötzlich infolge dieses Missverständnisses entstandenen Erregung; er könnte für sich allein betrachtet natürlich als Drohung bewertet werden. Im weiteren Verlauf der Dinge ist aber kein Wort gefallen, das wirklich auf die Absicht einer Drohung schließen liess." Damit war die Angelegenheit sowohl für die Stadtverwaltung als auch für beide Stadträte in dienstdisziplinarischer Hinsicht abgeschlossen.

Bereits knapp drei Wochen zuvor hatte das Badische Bezirksamt über die Einbürgerung Jakob Brands entschieden. Die Behörde war zu der Auffassung gelangt, das Gesuch mit folgender Begründung abzulehnen: "Ihrem Antrag um Einbürgerung in Baden kann nicht entsprochen werden, da Sie vorbestraft sind, so daß die Voraussetzungen des […] des Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes […] nicht erfüllt sind."

Jakob Brands weiterer Lebensweg

Trotz dieser ernüchternden Nachricht lebte und arbeitete Brand weiterhin in Karlsruhe. Nachdem seine drei Söhne in den ersten Jahren der NS-Diktatur emigriert waren, verließ Brand zusammen mit seiner Frau Deutschland im September 1939 und rettete sich zu seinem Sohn Hermann in die Schweiz. Bereits in der "Reichskristallnacht" vom 9./10. November 1938 hatten die Nazis die Brandsche Wohnung verwüstet und einen Großteil des Hausrats zerstört.

In den 1950er-Jahren kämpfte Brand beim Landesamt für Wiedergutmachung in Karlsruhe um Erstattung seines durch die Nationalsozialisten erlittenen Schadens sowie um Wiedergutmachung des an seiner Familie begangenen menschlichen Unrechts. Im ersten Fall entschied das Landesamt auf einen Entschädigungsanspruch von 5.871,02 DM bzw. pauschal 5.000 DM. Im zweiten Fall erhielt Brand für seinen Sohn Max Markus, der 1940 im KZ Sachsenhausen unter ungeklärten Umständen ums Leben gekommen war, eine Elternrente von 117 DM.

1956 stellte der mittlerweile 81-jährige einen zusätzlichen Antrag auf Altersrente. In seinen beiden letzten Lebensjahren erhielt Brand eine Rente von rund 300 DM. Jakob Brand, der sich seit Anfang der 1950er-Jahre in schriftlichen Dokumenten als "staatenlos" bezeichnete, starb am 8. Oktober 1958 im Alter von 83 Jahren in Luzern.

René Gilbert, Historiker, Karlsruhe

Eine ausführliche Fallschilderung wird in der Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 165 (2017) erscheinen.

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