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Blick in die Geschichte Nr. 117

vom 8. Dezember 2017

Spiegel des sozialen Wandels

Die Anwohner am Leopoldplatz

von Heidi Schweickert

Städtebaulich und architektonisch ist der Leopoldplatz gut dokumentiert in der Publikation des Stadtarchivs über die Karlsruher Stadtplätze. Was zu einem ganzheitlichen Bild fehlt, sind Informationen zu den Menschen, die hier gewohnt und gelebt haben. Wer waren sie und wie hat sich die Anwohnerschaft im Laufe der Zeit verändert? Wie reflektieren diese Veränderungen das jeweilige Zeitgeschehen? Auskunft geben die Adressbücher mit Namen und (bis 1996) Berufsangaben zu den Anwohnern.

Entstanden ist der Platz im Zuge der Karlsruher Stadterweiterung nach Westen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nachdem das städtische Schlachthaus in die Durlacher Allee verlegt worden war.

Vorher - Das städtische Schlachthaus aus Sicht der Belfortstraße auf die Einmündung in die Leopoldstraße

An seiner Stelle entstand als einheitliches Gebäudeensemble im Stil des Historismus eine neue Schule, ihr gegenüber vornehme Wohngebäude (Leopoldstraße 7-7 b) und dazwischen ein prachtvoller Platz: der Leopoldplatz.

Die Anwohner des neuen Leopoldplatzes zur Gründerzeit

Die Neugestaltung des Areals veränderte signifikant seine soziale Struktur: dort, wo zuvor Hafner, Kübler, Tünchner und Näherinnen wohnten, zog nach der Neubebauung das wohlhabende Karlsruher Großbürgertum ein. Gestank und Schlachterei wurden gegen großbürgerliche Eleganz und Ästhetik eingetauscht - nach heutigen Begriffen ein klassischer Fall von Gentrifizierung.

Nachher - Der Leopoldplatz mit Leopoldschule und Schuldienerhäuschen nach Fertigstellung 1889

In seiner Gründungsphase zählte der Leopoldplatz zu einer der ersten Adressen in Karlsruhe. Hier wohnte, wer Rang und Namen hatte, wer zur akademischen, politischen und kulturellen Elite gehörte: namhafte Architekten, wichtige Honoratioren, wohlhabende Bankiers, Richter, Professoren, bekannte Künstler und ranghohe Offiziere. Darunter so klangvolle Namen wie der Frhr. Karl v. Beaulieu-Marconnah, Alexander Rühe v. Lilienstern, Frhr. Busso v. Wehern-Hohenberg. Erfasst wurden Männer und Familienvorstände, verheiratete Frauen dagegen nur als anonyme Witwen unter dem Namen ihres dann verstorbenen Mannes (z.B. 1893 Eduard Eisen, Prof. Wwe).

Unter den ersten Bewohnern von Haus 7 war einer der renommiertesten Architekten seiner Zeit: Ludwig Levy (1854-1907), Professor an der Baugewerkeschule und bedeutendster Synagogenbauer im deutschen Südwesten. Ein Jahrzehnt lebte und wohnte er am Leopoldplatz, baute zahlreiche Synagogen, aber auch protestantische, katholische und profane Gebäude wie das Ministerialgebäude am heutigen Place de la République in Straßburg, die Heilanstalt Wiesloch oder das heutige Polizeipräsidium in Mannheim. Nur sein früher Tod hat verhindert, dass er weder die komplette Zerstörung seiner Synagogen noch das Ende seine Frau im KZ Theresienstadt miterleben musste.

Die Postkarte zeigt die Häuser Leopoldstraße 7 - 7b am Leopoldplatz um 1910

Ebenfalls zu den ersten Bewohnern von Haus 7 gehörte der Architekt Johannes Schroth (1859-1923), der sich durch den Bau von Kirchen, wie die Bonifatiuskirche in Karlsruhe oder die Liebfrauenkirche in Mannheim einen Namen machte. Während Levys Lebenswerk infolge des nationalsozialistischen Antisemitismus weitgehend zerstört wurde, hat Schroths Werk bis heute überdauert.

Zu den illustren Bewohnern der ersten Jahre gehörten auch Künstler wie der bekannte Maler und Professor Friedrich Kallmorgen und die Hofopernsängerin Christine Friedlein, die mit ihren autobiografischen "Erinnerungsblättern einer Hofopernsängerin" ein persönliches Licht auf das Leben am damaligen Hoftheater in Karlsruhe warf.

1905 wurde am Leopoldplatz das letzte Gebäude errichtet, das Wohn- und Atelierhaus 7c des Architekten und Professors Hermann Billing (1867-1946), der als bedeutender Vertreter des Jugendstils weit über die Grenzen von Karlsruhe bekannt wurde. Zusammen mit dem Architekten Wilhelm Vittali (1859-1920) führte er einige Jahre eine Bürogemeinschaft. Von Vittali stammen unter anderem der Karlsruher Bahnhofsvorplatz und die Stadtgarten-Anlage.

Zu den Anwohnern am Leopoldplatz zählten (von links): die Architekten Ludwig Levy und Hermann Billing sowie der Maler Friedrich Kallmorgen

Mit diesen namhaften Architekten begann am Leopoldplatz früh eine beeindruckende Tradition von dort ansässigen Architekten, die bis in die Gegenwart anhält: Durch alle Jahrzehnte lebten hier erfolgreiche Architekten - darunter und stellvertretend für weitere: das Architekturbüro Dr. Gruber & Gutmann, Lars Erhan Dragmanli, dem späteren Leiter des Karlsruher Hochbauamts, das Architekturbüro Klaus Möckel und Prof. Dr. Wolf Dietrich Weigert. Mit der Übernahme des Billing-Hauses Anfang 1990 durch Architekt Manfred Raus setzte sich die Tradition ungebrochen fort. Der Leopoldplatz war und blieb ein Hort für Architekten und Bauherren.

Veränderungen der Sozialstruktur bis zum Zweiten Weltkrieg

25 Jahre nach seiner Entstehung hatte sich der Leopoldplatz im Stadtbild etabliert und einer breiteren Bevölkerung geöffnet. Die Zusammensetzung der Anwohner veränderte sich langsam und fließend. Beleg dafür sind vor allem Bewohner mit einfacheren Berufen wie z.B. die Wäscherin Katherina Bauer oder der Stalldiener Gabriel Stober sowie die gewerbliche Nutzung von Wohnungen wie das Gewerbeaufsichtsamt in Haus 7. Zwar finden sich nach wie vor viele Honoratioren, aber die Anwohner wurden auch dank zunehmender Industrialisierung heterogener: 1903 bezieht der erste Ingenieur, Simon Ottenstein, Quartier, 1905 der erste Chemiker Dr. Wilhelm Seybold. Neue Berufe wie Fabrikkontrolleure und -inspekteure tauchen auf. Anwohner nehmen am Leopoldplatz ihren Ruhesitz und vereinzelt mischen lokale Künstler das Bild auf: die Hofopernsängerin Marie Rudy, der Kammermusiker Otto Hubl oder Hugo von Cancrin, jahrelang Redakteur der "Feierstunde", einer der ersten Fabrikzeitungen an der Württembergischen Metallwarenfabrik.

Während der Weimarer Republik wimmelte es am Leopoldplatz von Räten. Der politische Umbruch zeigt sich u.a. daran, dass es nach 1918 keine Hoflieferanten, keine Hofmusiker oder Hofopernsänger mehr gibt: Der Hof hatte ausgedient. Die Stellung der Frau wurde stärker, ihre Präsenz am Leopoldplatz nahm zu: 1928 Emmy Hubl als erste Diplom-Volkswirtin, Marta Steinbach 1934/35 als erste Direktorin. Auch sprachlich passte sich die Anwohnerschaft dem Wandel der Zeit an: Aus dem Kleidermacher wird ein Damenschneider, aus der Musiklehrerin eine Gesangspädagogin, aus Schuldienern Hausmeister.

Zur Zeit der NS-Machtergreifung 1933 lebten vor allem in Haus 7b jüdische Familien, teilweise in unmittelbarer Nachbarschaft mit Nazifunktionären wie dem SA-Führer Dr. Albrecht im Billing-Haus. So sind unter den Opfern des Naziregimes zahlreiche Anwohner aus Haus 7b: Familie Josef Weglein (seit 1916), Sigmund Löwenthal, Karl August und Karoline Behr, Familie Rosenfeld sowie Karl und Bella Hahn. Ironie des Schicksals, dass im gleichen Gebäude in der Nachkriegszeit die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes und Wiedergutmachungsdienststelle unter Leitung des Anwalts Dr. Leo Witrzens ihr Domizil hatte.

Sozialer Wandel in der Nachkriegszeit

50 Jahre nach seiner Entstehung und als Folge des Zweiten Weltkrieges bestand die Anwohnerschaft am Leopoldplatz aus vergleichsweise vielen Frauen: Witwen, Rentnerinnen, Pensionärinnen, oder einfach Frauen. Alleinstehende Frauen mit eigenem Namen, Verheiratete mit dem berufstätigen Mann und dem Zusatz "Frau". Frauen wurden identifizierbar, differenzierbar. Nach dem Tod von Hermann Billing wurde dessen Frau z.B. nicht mehr unter seinem Namen sondern als Marianne Billing, Witwe aufgeführt.

Die Belegungsdichte der Gebäude nahm in den 1960-er Jahren zu, die Häuser wurden von Hausverwaltungen administriert. Es war die Zeit der Angestellten, Sekretärinnen und Sachbearbeiter, aber auch der Arbeiter wie Dreher, Schlosser, Elektriker, Schneider und Schreiner, Taxifahrer und Fensterputzer. Steigend auch die Zahl der Diplom-Ingenieure und erfolgreichen Frauen wie Maria Karpf, seit 1965 Abteilungsleiterin. Mitte der 1960-er Jahre tauchen dann erste ausländische Bewohner auf. Studenten zog es hierher, Akademiker, vereinzelt Künstler und Schauspieler wie Martin Gelzer, Klaus Lembke oder den Bildhauer Daniel Lehr. Der Leopoldplatz wurde zu einem Kaleidoskop quer durch alle Bevölkerungsschichten.

Nach 100 Jahren waren die Gebäude zum Sanierungsfall geworden, wurden kernsaniert und in Eigentumswohnungen umgewandelt. Erneut veränderte sich die Anwohnerschaft und am Leopoldplatz lebten wieder mehrheitlich gutsituierte Akademiker - ein klassischer Fall von Gentrifizierung. So wie der Leopoldplatz äußerlich ein Zeugnis seiner Zeit darstellt, so spiegeln seine Anwohner den historischen Ablauf, den politischen und sozialen Wandel wieder.

Dipl.Inf.Wiss. Heidi Schweickert, freiberufliche Autorin und Historikerin, Karlsruhe

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