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Blick in die Geschichte Nr. 118

vom 16. März 2018

Arisierung in Karlsruhe

Das Möbelhaus der Familie Kahn

von Marco Wottge

Antisemitismus in der Weimarer Republik

Beim Flanieren durch die Straßen der Karlsruher Innenstadt wird offensichtlich, dass nur noch wenige Bauten von der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg zeugen. Auch das Haus in der Waldstraße 22, in dessen Ladenlokal sich heute ein Teehaus befindet, präsentiert sich in einem modernen Antlitz und verbirgt damit die Spuren seiner Vergangenheit. Einer Vergangenheit, die zum größten Enteignungsprozesses in der Stadtgeschichte gehörte: Die Geschichte der "Arisierung" in der Zeit des Nationalsozialismus.

Bis 1933 befand sich in der Waldstraße 22 das Stammhaus der Firma Möbel-Kahn. Das Möbelhaus der jüdischen Familie Kahn gehörte zu den größten Unternehmen dieser Art in Karlsruhe und entwickelte sich gut in der Weimarer Republik. Dazu trug unter anderem das Teilzahlungsgeschäft bei, welches es einkommensschwachen Kunden ermöglichte, Möbel zu erwerben. Das Verkaufslager umfasste ständig ca. 200 Zimmer und Küchen. Der Jahresumsatz betrug etwa 1.000.000 RM. 1930/31 übernahm das Möbelhaus Marx Kahn die Möbelhandlung Baum & Co in der Erbprinzenstraße 30.

Infolge des Aufstiegs der NSDAP in Baden verstärkte sich auch der Antisemitismus gegenüber jüdischen Geschäftsleuten. Bereits Anfang der 30er Jahre veröffentlichte der Führer, das Sprachrohr der NSDAP in Karlsruhe und Baden, mehrfach antisemitische Schmähungen gegen Marx Kahn, dem Inhaber des Möbelhauses Kahn. Unter anderem warf der Führer dem "reiche[n] Jude[n]", "dessen aus Galizien importierte Kulanz bereits zum Himmel zu stinken beginnt", vor, eine "Schmutzkonkurrenz übelster Sorte gegenüber dem christlichen Geschäftsmann" zu führen. Die antisemitische Kampagne blieb nicht ohne Wirkung. Als Ferdinand Kahn zusammen mit seinen Söhnen Herbert und Werner am 6. August 1932 den Betrieb seines Vaters übernahm und die Möbelfirma Fortuna GmbH gründete, ging der Umsatz bereits zurück. Zudem stellten Schuldner Anfang 1933 ihre Zahlungen ein, so dass ein erheblicher Teil der Außenstände nicht mehr eingebracht werden konnte.

Ferdinand Kahn: In Nazideutschland entrechtet, ausgeplündert, deportiert, in Récébédou umgekommen

Diskriminierung im Nationalsozialismus

Zu den wirtschaftlichen Schwierigkeiten infolge der antisemitischen Hetze gesellte sich nach der sogenannten Machtübernahme eine rechtliche Diskriminierung, die schließlich den Untergang der Firma besiegelte. Im März 1933 sprach das Amtsgericht gegen Herbert Kahn eine sechswöchige Gefängnisstrafe sowie eine Geldstrafe von 1.000 RM aus. Werner Kahn wurde wegen Betrugs zu vier Wochen verurteilt und Ferdinand Kahn musste wegen unlauteren Wettbewerbs 500 RM Strafe zahlen. Weiterhin ordnete das Gericht erstmals die Veröffentlichung des Urteils in einer Karlsruher Zeitung an. Die rechtliche Diskriminierung verstärkte somit nicht nur die wirtschaftlichen Schwierigkeiten, sondern förderte gleichfalls die soziale Ausgrenzung.

Doch damit nicht genug: Am 16. März 1933 erteilte der Generalstaatsanwalt in Karlsruhe Weisung, im Prozess gegen die Inhaber der "berüchtigten Möbelfirma Kahn" Berufung einzulegen. Das Ziel waren höhere Freiheitsstrafen gegen die Angeklagten. Die Urteile spiegelten die neuen Machtverhältnisse wider: Herbert Kahn erhielt nun eine Gefängnisstrafe von 5 Monaten und Werner Kahn wurde zu drei Monaten Gefängnis verurteilt. Des Weiteren entzog das Polizeipräsidium den Brüdern die Handelserlaubnis innerhalb des Deutschen Reiches und die Veröffentlichung des Urteils wurde auf zwei Karlsruher Zeitungen ausgeweitet. Noch bevor das Urteil am 27. Juni 1933 veröffentlicht wurde, lösten die Brüder die Möbelhaus Fortuna GmbH auf und traten in Liquidation. Sozial geächtet und seiner beruflichen Zukunft beraubt, flüchteten Herbert und Werner Kahn nach Frankreich. Um seine Mutter Lina Kahn zu pflegen, kehrte Werner Kahn im Oktober 1934 nach Karlsruhe zurück. Hier angekommen wurde er sofort verhaftet und verbrachte eine kurze Haft im KZ Kislau.

Veröffentlichung des Urteils gegen Herbert Kahn in der NS-Zeitung "Der Führer" vom 27. Juni 1933

Viele jüdische Bürger - so auch Ferdinand Kahn - verblieben im Deutschen Reich, weil sie hofften, dass sich die Zustände wieder normalisieren würden. Die Realität stand dieser Hoffnung entgegen: Ob im Kulturleben, in öffentlichen Einrichtungen, in Gaststätten, "deutschen" Geschäften oder Verkehrsmitteln - überall setzte sich die Ausgrenzung jüdischer Bürger fort. Die Nürnberger Rassengesetze von 1935 markierten den vorläufigen Höhepunkt dieser Entwicklung, indem sie Juden zu Mitbürgern minderen Rechts deklassierten und die Beziehung zwischen jüdischen und nicht-jüdischen Bürgern kriminalisierten. Juden verschwanden fast vollständig aus dem Alltagsleben der nicht-jüdischen Bevölkerung, wodurch auch das Einfühlungsvermögen mit den Betroffenen sank.

Parallel zur sozialen Isolation schritt die wirtschaftliche Ausschaltung voran: Der Boykott gegenüber jüdischen Firmen, Berufsverbote und die sinkende Zahlungsmoral "arischer" Schuldner bedrohten viele jüdische Gewerbetreibende in ihrer Existenz. Insbesondere die Stadtverwaltung, das Polizeipräsidium Karlsruhe und die IHK Karlsruhe behinderten jüdische Gewerbetreibende nach Möglichkeiten. Weil Werner Kahn der Handel im Inland verboten war, suchte er durch Auslandsgeschäfte seinen Lebensunterhalt zu sichern und beantragte beim Polizeipräsidium den dafür nötigen Auslandspass. Die IHK Karlsruhe und der Polizeipräsident lehnten das Gesuch ab, da es den Interessen deutscher Firmen widersprach - lediglich für die Auswanderung wäre ihm der Auslandspass genehmigt worden.

Arisierung und finanzielle Enteignung ab 1938

Die Gewaltexzesse in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 offenbarten den jüdischen Mitbürgern nicht nur, in welchem schutz- und rechtlosen Raum sie lebten, sondern besiegelten gleichfalls die endgültige Ausschaltung jüdischer Bürger aus dem Wirtschaftsleben, bis zum 1. Januar 1939 jüdische Einzelhandelsverkaufsstellen, Versandgeschäfte, Bestellkontoren und Handwerksbetriebe ihren Betrieb einstellten. Parallel zur wirtschaftlichen Ausschaltung kam es nach der Reichspogromnacht zu ersten kollektiven Enteignungsmaßnahme gegenüber jüdischen Bürgern: die sogenannte Sühneleistung - später als Judenvermögensabgabe bezeichnet. 25% ihres gesamten Vermögens mussten Juden deutscher Staatsangehörigkeit und staatenlose Juden in fünf Raten abgeben. Ferdinand Kahn überwies an Judenvermögensabgabe insgesamt 54.000 RM an die Oberfinanzkasse. Für Werner Kahn betrug die Abgabe hingegen "lediglich" 3.750 RM - sein Vermögen war infolge des inländischen Handelsverbots und wirtschaftlicher Beschränkungen bereits bedeutend zurückgegangen.

Nicht selten nutzten Unternehmer und Privatleute die Zwangslage ihrer jüdischen Mitbürger aus, um sich an ihrem Eigentum zu bereichern. Der Grundstücksverwalter Hess, Inhaber eines Treuhandbüros, drohte Ferdinand Kahn mit der Einlieferung ins Konzentrationslager, sollte er nicht seine Grundstücke verkaufen. Als Ariseur des ehemaligen Geschäftsgrundstücks Waldstr. 22 trat die Brauerei Schrempp-Printz auf. Sie kaufte das Hausgrundstück mit einem Steuerwert von 85.000 RM für 60.000 RM und überwies die Hälfte des Kaufpreises auf ein Sperrkonto, über das Ferdinand Kahn nur mit Genehmigung der Devisenstelle verfügen konnte. Die Finanzverwaltung verhinderte mithilfe der Sperrkonten, dass jüdische Bürger ihr Vermögen für eigene Zwecke verwendeten. Effektiv erhielt Ferdinand Kahn für sein Hausgrundstück somit nur 30.000 RM. Doch auch sein verbliebenes Vermögen konnte Ferdinand Kahn nicht vor dem NS-Regime retten: Der Erwerb von Schmuck, Wertpapieren, Grundstücken etc. war jüdischen Bürgern ab 1938 verboten und ein Transfer des Vermögens ins Ausland unrentabel. Für den Kapitaltransfer verlangte die Deutsche Golddiskontbank ein Disagio, welches 1934 zum Teil schon bei 65% lag und bis 1939 auf 96% anstieg.

Angesichts des stetig wachsenden Verfolgungsdrucks blieb vielen jüdischen Bürgern nur noch ein Ausweg: die Emigration. Diese hatte jedoch einen weiteren Vermögensverlust zur Folge. Die Reichsfluchtsteuer, welche ursprünglich die Kapitalflucht verhindern sollte, entwickelte sich unter dem NS-Regime zu einem Enteignungsinstrument - ein Viertel des steuerpflichtigen Vermögens mussten Emigranten abgeben. Als Werner Kahn 1939 seine Ausreise betrieb, zog das Finanzamt Karlsruhe 3.825 RM an Reichsfluchtsteuer von ihm ein. Werner Kahn, zum Zeitpunkt seiner Auswanderung 28 Jahre jung, verblieb die Hoffnung im Ausland ein neues Leben ohne Diskriminierung und Verfolgung aufbauen zu können. Diese Entscheidung rettete Werner Kahn vor der Vernichtung durch das NS-Regime.

Sein Vater, Ferdinand Kahn, blieb in Karlsruhe. Er war 1939 bereits 64 Jahre alt und glaubte womöglich nicht mehr an einen Neuanfang im Ausland. Der Verfügungsgewalt über sein Vermögen beraubt, musste Ferdinand Kahn die weiteren Enteignungsmaßnahmen des NS-Regimes über sich ergehen lassen. Unter anderem mussten Juden bis Ende März 1939 bis auf wenige Ausnahmen alle Gegenstände aus Gold, Platin oder Silber sowie Perlen an die vom Reich eingerichteten öffentlichen Ankaufsstellen abgeben. Ferdinand Kahn lieferte bei der Pfandleihanstalt in der ehemaligen Schwanenstraße Familienschmuck im Wert von über 100.000 RM ab. In der Regel vergüteten die Pfandleihanstalten weniger als den Materialwert der abgelieferten Gegenstände. Obwohl sich eine Quittung nicht erhalten hat, wird sowohl der immaterielle wie auch der materielle Schaden enorm gewesen sein.

Nach dem finanziellen Tod sollte der physische Tod folgen: Am 22. Oktober 1940 deportierte das NS-Regime alle jüdischen Bürger in Baden und der Pfalz nach Südfrankreich. Die Betroffenen mussten innerhalb von zwei Stunden abmarschbereit sein und durften pro Person lediglich einen Koffer und 100 RM Bargeld mitnehmen. Explizit ausgeschlossen von der Mitnahme waren Sparbücher, Wertpapiere und ähnliche Vermögenswerten. Die Schlüssel seiner Wohnung übergab Ferdinand Kahn einem Gestapobeamten. Während Ferdinand Kahn in einem französischen Lager inhaftiert war, "verwerteten" die NS-Behörden die zurückgelassenen Vermögenswerte. Vorhandenes Bargeld, Bank- und Sparguthaben wurden eingezogen, Hypotheken, Wertpapiere und Aktien in Sperrdepots überführt, der Hausrat in der Regel versteigert. Den Wert der Wohnungseinrichtung der Eheleute Kahn mitsamt zahlreichen Kunstwerken bezifferte Werner Kahn nach dem Krieg auf mindestens 200.000 RM. Wer und zu welchem Preis die Gegenstände erwarb, ist nicht überliefert. Belegt sind hingegen die Auflösungen der Konten Ferdinand Kahns im Februar 1943 und die Überweisung der angesparten 39.993,98 RM an die Oberfinanzkasse Karlsruhe. Dieser letzte Schritt der Enteignung fand nicht mehr zu Lebzeiten Ferdinand Kahns statt - er starb bereits am 3. Mai 1941 im südfranzösischen Lager Récébédou.

Die Geschichte des Möbelhauses Kahn verdeutlicht zweierlei: Zum einen offenbart sie den ganzheitlichen Charakter des Arisierungsprozesses, dem neben einer wirtschaftlichen auch eine rechtliche und soziale Perspektive innewohnt. Und zum anderen belegt sie beispielhaft, dass die Geschichte der "Arisierung" nicht wie vielfach angenommen 1938 beginnt, sondern bis in die frühen 30er Jahre zurückreicht und auch nach dem Tod der Betroffenen weiterging.

Marco Wottge, Historiker, Karlsruhe

Die vom Autor verfasste Dissertation zu dem Thema erschien unter dem Titel "Arisierung in der Zeit des Nationalsozialismus in Karlsruhe" 2020 in der vom Stadtarchiv Karlsruhe herausgegebenen Reihe "Forschungen und Quellen zur Stadtgeschichte".

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