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Blick in die Geschichte Nr. 119

vom 15. Juni 2018

Dr. Johanna Maas

Eine Holocaust-Überlebende aus Karlsruhe

von Brigitte und Gerhard Brändle

Biografische Versatzstücke zum Leben von Johanna Zelie Maas in Karlsruhe sind bekannt: ihre Diskriminierung ab 1933 und letztlich das Berufsverbot als Ärztin. Informationen über ihre Gymnasiums-Zeit in Karlsruhe und ihre Tätigkeit als Ärztin fehlen und nach dem erzwungenen Weggang aus Karlsruhe 1939 gibt es nur noch Hinweise auf ihre Aufenthaltsorte: Frankfurt, Theresienstadt, Schweiz und USA. Erst Recherchen in Berlin und New York erlauben es, die Biografie von Johanna Maas nun zu präzisieren.

Weiblich, jüdisch, sozialistisch

Johanna Maas, am 14. August 1885 geboren, wächst in einer jüdischen Akademiker-Familie in Frankfurt auf, der Vater Maximilian ist Bankier und Privatgelehrter, die Mutter Henriette eine geborene Oppenheimer-Prins. Der 1880 geborene Bruder Paul wird Altphilologe und Byzantinist, von den vier Schwestern ist Näheres nur über Estella bekannt: Geboren 1882, arbeitet sie als medizinisch-technische Assistentin an der Universitätsklinik für Augenkrankheiten in Berlin. Johanna Maas geht in Frankfurt und Freiburg zur Schule, von 1899 bis zum Abitur 1902 besucht sie das humanistische Mädchengymnasium in Karlsruhe in der Sophienstr. 14, dem heutigen Fichte-Gymnasium. Anschließend wird sie Gasthörerin an der Uni München und dann 1903 zum Chemie-Studium zugelassen. 1909 legt sie ihre Doktorarbeit über Molybdän, ein lebensnotwendiges Spurenelement, vor. Da sie als Chemikerin keine Anstellung findet, sei es als Frau oder als Jüdin oder als jüdische Frau, entschließt sie sich zu einem weiteren Studium und legt 1919 das Staatsexamen für Medizin an der Universität München ab. Ab 1922 arbeitet sie in München als Assistenz-Ärztin, ab 1925 als niedergelassene Ärztin, im selben Jahr veröffentlicht sie eine Untersuchung über Gelbfieber. 1926 ist sie in Karlsruhe in der Kriegsstr. 224 als niedergelassene Ärztin gemeldet, ab 1930 in der Klosestr. 36. 1928 wird sie Mitglied im Verein Sozialistischer Ärzte (VSÄ), ab 1929 zuständig für die Kassenführung. Bekannte Mitglieder des VSÄ sind Alfred Döblin, Magnus Hirschfeld, Karl Kollwitz und Friedrich Wolf, in Karlsruhe sind u.a. Eduard Kahn und Max Löb Mitglieder des VSÄ, die aufgrund des Antisemitismus 1935 ihre Heimat verlassen müssen. 1931 hält Johanna Maas bei der Arbeitsgemeinschaft des Internationalen Vereins für Individualpsychologie einen Vortrag mit dem Titel "Yoga im Licht der Psychotherapie". Nach der Machtübergabe an Hitler und vor dem drohenden Verbot lautet der letzte Appell des VSÄ im Februar 1933: "Schließt euch zusammen zum gemeinsamen Abwehrkampf! Delegierte aller sozialistischen Parteien tretet unverzüglich zusammen! Proletarier aller Richtungen vereinigt euch!"

Die promovierte Chemikerin und Ärztin Dr. Johanna Maas, rechts Informationen des Vereins Sozialistischer Ärzte, aus: Der sozialistische Arzt, Mai 1930

Als "Nichtarierin" zur "Krankenbehandlerin" herabgestuft

Ob sie als "Nichtarierin" in die Schusslinie der Nazis gerät oder als Gegnerin des Nationalsozialismus zu den Personen gehört, "die nach ihrer bisherigen politischen Betätigung nicht die Gewähr dafür bieten, dass sie jederzeit rückhaltlos für den nationalen Staat eintreten", wissen wir nicht, jedenfalls verliert sie 1933 ihre Kassenzulassung und damit die meisten ihrer Patienten. Der Verein Sozialistischer Ärzte wird verboten und sie muss - wie alle "Nichtarierinnen" - aus dem "Deutschen Akademikerinnen-Bund" austreten. Ihr bleiben das Engagement in der zionistischen Ortsgruppe und die Mitgliedschaft im Synagogenrat in Karlsruhe 1934 bis 1937. 1938 zieht sie in die Vorholzstr. 32. Im selben Jahr verbieten ihr die Nazis die Berufsbezeichnung "Arzt", sie darf sich nur noch "Krankenbehandler" nennen und ist nur noch "zur ärztlichen Behandlung ausschließlich von Juden berechtigt". Ihre Schwester Estella war 1933 entlassen worden, lebt zeitweise in England und kehrt wieder nach Berlin zurück. Ihr Bruder Paul Maas war schon 1934 zwangsemeritiert worden, nach der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 sperren die Nazis ihn in Königsberg über eine Woche ins Polizeigefängnis. Er kann Ende August 1939 über Hamburg und Hoek van Holland den rettenden Hafen von Harwich erreichen.

Im März 1939 sucht Johanna Maas über ein internationales Frauennetzwerk, die "British Federation of University Women", einen Arbeitsplatz in einem Altersheim in Großbritannien, um sich nicht von ihrer hochbetagten Mutter trennen zu müssen. Im September 1939 zieht sie, deren Praxis brachliegt, aufgrund der Erkrankung ihrer Mutter Henriette nach Frankfurt. Dort wird die Mutter im Jüdischen Krankenhaus behandelt und stirbt Anfang 1940. Erst im März 1940 erhält Johanna Maas an eben diesem Krankenhaus eine Anstellung als Assistenzärztin.

Nr. 678 auf der Deportationsliste ins KZ Theresienstadt

Am 15. September 1942 deportieren die Nazis aus Frankfurt 1.365 Personen, Johanna Maas hat die Nr. 678 auf der Liste des Transports, der einen Tag später im Konzentrationslager Theresienstadt ankommt. Ihre "Adresse" dort wird die Badhausgasse 19. Sie arbeitet sofort als Ärztin und ihr wird bald die ärztliche Aufsicht über die Hälfte des Lagers übertragen. Dr. Siegmund Hadda, vorher Chefarzt der chirurgischen Abteilung des Israelitischen Krankenhauses in Breslau, schreibt: "Frau Dr. med. Johanna Maas ist mir durch meinen zweijährigen Aufenthalt im Lager Theresienstadt bekannt. … Ich hatte Gelegenheit, Frau Dr. Maas als Arzt und Mensch genau kennen zu lernen … [sie] verfügte über ein großes ärztliches Wissen und Können und über reiche praktische Erfahrungen. … Darüber hinaus zeichnet sich Frau Fr. Maas durch große Tatkraft und Arbeitsfreudigkeit sowie durch energisches Eintreten für das, was sie als richtig erkannt hat, aus. … Wegen ihrer hohen menschlichen Qualitäten wurde Frau Dr. Maas von Patienten und Kollegen in gleichem Maße hochgeschätzt."

Es muss offen bleiben, ob Johanna Maas von der Flucht ihrer älteren Schwester Estella in den Tod erfährt. Estella Maas hatte einen Tag vor der Deportation von über 1.300 Juden aus Frankfurt am 15. September 1942 ein Testament verfasst. Als sie selbst am 14. Dezember 1942 aus ihrer Wohnung abgeholt und zum Transportzug gebracht wird, nimmt sie sich mit Gift das Leben.

Hotel Post in Bad Wildbad/Schwarzwald

Während des laufenden Massenmordes an den Juden in den Lagern im Osten trifft sich im Oktober 1944 der Reichsführer-SS Heinrich Himmler, Hauptverantwortlicher für die Deportation und Vernichtung der europäischen Juden, in Wien mit dem früheren Schweizer Bundespräsidenten Jean-Marie Musy zu einem "Geschäft", um Juden im Tausch gegen Lastwagen und Geldleistungen über die Schweiz in die USA ausreisen zu lassen. Musy handelt nicht aus eigenem Antrieb, sondern im Auftrag der jüdisch-orthodoxen Familie Sternbuch aus St. Gallen, die ihm ein Auto kauft und die Spesen für die Fahrten bezahlt. Frau Sternbuch war schon 1938 mit Polizeikommandant Paul Grüninger beteiligt an der illegalen Einreise von Juden in die Schweiz. Am 15. Januar 1945 um 22 Uhr - so im Tagebuch von Himmler - findet in Wildbad im Schwarzwald im Hotel Post ein streng geheimes abschließendes Gespräch zwischen Himmler und Musy statt, bei dem Himmler den Deal bestätigt, die "Freistellung" von Juden zusagt und Obersturmbannführer Franz Göring mit der Durchführung beauftragte. Daraufhin kommt es am 5. Februar 1945 zur Abfahrt eines Zuges mit 1.226 Personen in 17 Schnellzugwagen vom Konzentrationslager Theresienstadt Richtung Schweiz, Johanna Maas ist die Nr. 34 auf der Liste. Schon vor dem Eintreffen des Transports am 6. Februar in Konstanz müssen die Passagiere - wohl wegen der beabsichtigten Propaganda-Wirkung des Transports in der Schweizer und internationalen Presse - die Judensterne von der Kleidung entfernen, sie werden mit Proviant versorgt und die Frauen erhalten Puder und Lippenstifte.

Am nächsten Tag rollt der Zug über die Grenze nach Kreuzlingen in die Schweiz und weiter nach St. Gallen. Die Fremdenpolizei will in Absprache mit den Alliierten die Flüchtlinge sofort in das Lager Philippeville in Algerien als Durchgangsstation auf dem Weg nach Palästina weiterschicken, ohne die Betroffenen zu informieren oder auch nur anzuhören. Erst Proteste aus dem europäischen Ausland und die Intervention von Hilfswerken stoppen den Skandal. Die aus Theresienstadt Geretteten kommen dann von St. Gallen nach Montreux in verschiedene Aufnahmeeinrichtungen. Johanna Maas ist im Lager im Hotel Belmont bei Montreux untergebracht, wieder ist sie als Lagerärztin tätig: "Auch hier hat sie sich, wie nicht anders zu erwarten war, in jeder Hinsicht bestens bewährt" - so Dr. Hadda, ebenfalls vormals im Konzentrationslager Theresienstadt.

Erinnerung an Johanna Maas - in New York

Johanna Maas bemüht sich - entsprechend ihrer Orientierung in den 1930-er Jahren an der zionistischen Bewegung - um die Ausreise nach Palästina. Bis zur Überfahrt in die USA am 30. April 1947 steht sie unter der Kontrolle der Polizeiabteilung des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartementes. In den USA am 16. Mai 1947 angekommen, muss sie noch einmal ein medizinisches Examen ablegen. Ab Juli 1948 ist sie sieben Jahre für den Staat New York tätig und verantwortlich für 200 geistig gestörte Mädchen, neben der Berufstätigkeit absolviert sie Fortbildungen in Altersmedizin. Schon selbst im Ruhestand, arbeitet sie dann als Ärztin in einem Altersheim, erst Mitte der 1950er Jahre erhält sie Wiedergutmachung in Form einer Rente. Sie stirbt am 26. Februar 1979 im Alter von 93 Jahren in New York.

In Erinnerung an sie wird jedes Jahr an der Rensselaer-Universität in New York an Studierende der Chemie der "Johanna Maas Award" verliehen. Den Preis stiftete Sonja Krause, eine emeritierte Chemieprofessorin, die in enger Verbindung mit Johanna Maas stand und weitläufig mit ihr verwandt war.

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