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Blick in die Geschichte Nr. 119

vom 15. Juni 2018

"Den Siegern ein kräftiges Hipp, Hipp, Hurrah!"

Erster deutscher Länderspiel-Sieg in Karlsruhe

von René Gilbert 

Am 4. April 1909 gewann die deutsche Fußballnationalmannschaft ihr erstes Länderspiel. Die Begegnung, die zweite auf deutschem Boden, fand in Karlsruhe im Stadion des Karlsruher Fußballvereins (KFV) bei der Telegraphenkaserne statt. Die Spielstätte wurde ausgewählt, weil sie mit knapp 10.000 Plätzen über genügend Zuschauerkapazitäten verfügte und zudem erst am 1. Oktober 1905 eingeweiht worden war. Die relativ neue und hochmoderne Anlage besaß aufgeschüttete Zuschauerränge, Umkleidekabinen mit Duschen sowie eine 1907 errichtete Zuschauertribüne. Nicht zuletzt war Karlsruhe zu dieser Zeit eine Fußballhochburg mit zwei Spitzenvereinen. Der FC Phönix, Deutscher Meister 1909, und der KFV, Deutscher Meister 1910, stellten eine Vielzahl von Nationalspielern.

Ansicht des Karlsruher Fußballstadions mit der 1907 errichteten Zuschauertribüne und vor dem Bau des neuen Vereinsheims 1909

Vorgeschichte

Die Geschichte der Länderspiele des Deutschen Fußball-Bunds (DFB) begann am 5. April 1908, als eine deutsche Auswahl in Basel gegen die Schweiz 3:5 unterlag. In diesem Rahmen hatten beide Fußballverbände vereinbart, alljährlich zwischen den Ländern "Fußball-Wettkämpfe" mit "repräsentativen Mannschaften" auszutragen. Beachtenswert dabei ist, dass die deutsche Nationalmannschaft bis 1926 keinen Reichstrainer hatte, der die besten Fußballer des Landes nominiert bzw. einen Kader zusammengestellt hätte, sondern, dass die Auswahl der Spieler immer nur von Spiel zu Spiel vorgenommen wurde. Dabei wurde folgendermaßen verfahren: Die DFB-Gremien "Bundesvorstand" und "Bundesspielausschuss" bestimmten gemeinsam, "welche Posten der deutschen Mannschaft von den einzelnen Verbänden zu besetzen wären". Die Ernennung der Spieler selbst wurde den betreffenden Verbänden überlassen. Dies bedeutete, dass die Auswahl weder von einer zentralen Stelle noch nach Leistungsgesichtspunkten vorgenommen wurde, sondern diejenigen Spieler spielen mussten, die von den einzelnen Landesverbänden aufgrund eines ihnen zugeteilten Schlüssels benannt wurden. Es ging vorrangig also nicht darum, die besten Spieler Deutschlands in einer Mannschaft zusammenzubringen. Vielmehr sollte jeder Landesverband entsprechend seiner Mitgliederzahl paritätisch vertreten sein. Jeder Landesverband musste eine bestimmte Art von Spielern (Torhüter, Verteidiger, usw.) abstellen, wodurch es zu der absurden Situation kommen konnte, dass beispielsweise der beste deutsche Mittelfeldspieler nicht zum Einsatz kam, weil sein Landesverband keinen Mittelfeldspieler zu stellen hatte.

Im Jahr 1908 wurden neben dem erwähnten Spiel in Basel zwei weitere Länderspiele ausgetragen: Am 20. April verlor Deutschland in Berlin gegen England mit 1:5 und am 7. Juni in Wien gegen Österreich mit 2:3. Im zweiten Jahr ihres Bestehens sah es zunächst so aus, als sollte der fußballerisch-technische Abstand zwischen der deutschen Nationalmannschaft und den anderen europäischen Teams größer werden. Am 13. März 1909 ging die deutsche Elf um Kapitän Josef Glaser gegen England in Oxford mit 0:9 unter. Es stand somit zu befürchten, dass auch im zweiten Aufeinandertreffen Deutschlands gegen die Schweiz letztere als klarer Sieger vom Platz gehen würde. Die Eidgenossen galten ohnehin als Favorit, da der DFB für die Begegnung am 4. April eine rein süddeutsche Mannschaft nominiert hatte, weil am selben Tag eine zweite Nationalmannschaft, bestehend aus Spielern aus Norddeutschland, in Budapest ein Länderspiel gegen Ungarn bestritt, das 3:3 endete. Diese regionale Konzentration war durchaus üblich in dieser Zeit.

Das Länderspiel

Das Karlsruher - je nach Zählung fünfte bzw. sechste - Länderspiel Deutschlands fand am 4. April 1909 im Stadion des KFV statt. Der Veranstalter hatte im Vorfeld mit großen Reklamebannern Werbung für den Ländervergleich gemacht. Eine Investition, die sich lohnte. Bereits in den frühen Nachmittagsstunden strömten die Menschen "zu Fuß, per Rad, mit der Droschke und im Automobil" zur Spielstätte. Zusätzlich brachten die Eisenbahn und die Albtalbahn "Scharen auswärtiger Sportsleute, so aus Mannheim, Frankfurt a.M., Wiesbaden, Stuttgart, Pforzheim, der Pfalz, Straßburg, Freiburg usw. Aus Pforzheim kamen allein 700 Personen an, während die Schweiz ebenfalls eine Anzahl Zuschauer entsandte." Die Karlsruher Straßenbahn hatte Sonderwagen bereitgestellt, die sämtlich überfüllt waren. Die Zahl der Zuschauer lag bei gut 5.000 (laut DFB bei 7.000). Auch von der nahe gelegenen Telegraphenkaserne sahen Soldaten an sämtlichen dem Spielfeld zugewandten Fenstern zu. Auf der Tribüne fanden sich Vertreter von Staat, Militär und Stadt ein. Als "Protektor" (Schirmherr) der Veranstaltung fungierte Prinz Max von Baden, bekennender Fußballfan und seit 1905 offizieller Protektor und Förderer des KFV. Wegen einer Erkältung, die er sich am Tag zuvor zugezogen hatte, hatte er seinen Besuch jedoch absagen müssen.

Prinz Max von Baden auf der Tribüne des KFV-Stadions am 24. März 1907 beim Spiel des KFV gegen eine Mannschaft der Universität Oxford

Die deutsche Nationalmannschaft spielte im 2-3-5-System, einer sehr offensiven und aus dem Rugby stammenden Spielweise, auch bekannt als "Schottische Furche". Das Team bestand aus Eberhardt Illmer (1888-1956, Straßburger FV) im Tor, Otto Nicodemus (1886-1966, SV Wiesbaden) und Robert Neumaier (1885-1959, FC Phönix Karlsruhe) in der Verteidigung, den linken und rechten Außenläufern Karl Burger (1883-1959, SpVgg. Fürth) und Arthur Hiller (1881-1941, 1. FC Pforzheim) sowie Spielführer und Mittelläufer Josef Glaser (1887-1969, Freiburger FC). Im Angriff sollten Emil Oberle (1889-1955, FC Phönix Karlsruhe) als Linksaußen, Hermann Schweickert (1885-1962, 1. FC Pforzheim) als Rechtsaußen, Eugen Kipp (1885-1931, Sportfreunde Stuttgart) und Fritz Förderer (1888-1952, KFV) als halbrechte und halblinke Stürmer sowie Otto Löble (1888-1967, Stuttgarter Kickers) als Mittelstürmer für Tore sorgen. Mit drei von elf Spielern stellten die Karlsruher Vereine damit die meisten Spieler aus einer Stadt. Schiedsrichter der Partie war Albert Sohn aus Frankfurt am Main.

Das Spiel, das von der ersten Minute durch heftigen Wind stark beeinträchtigt wurde, begann kurz nach 15:30 Uhr. In der Anfangsphase sahen die Zuschauer zwei gleich starke Mannschaften mit Tormöglichkeiten auf beiden Seiten. Im Verlauf der ersten Hälfte entwickelte sich jedoch eine deutsche Dominanz, die sich in zahlreichen Angriffen auf das gegnerische Tor zeigte, "aber der Schweizer Torwart hielt verschiedene Bombenschüsse ab." In der 38. oder 40. Spielminute (laut DFB in der 25. Spielminute) waren die Bemühungen schließlich von Erfolg gekrönt. Eugen Kipp brachte die deutsche Auswahl mit 1:0 in Führung.

In der zweiten Halbzeit konnte Deutschland an die Leistung der ersten 45 Minuten nicht anknüpfen. Insbesondere die Stürmer agierten zunehmend eigensinnig, verrannten sich in aussichtslosen Dribblings anstatt Kombinationsfußball zu zeigen, wodurch sie mehrere Möglichkeiten vergaben die Führung auszubauen. Zudem ließ die deutsche Mannschaft "durch eine geradezu frappierende Schußunsicherheit die allerbesten Chancen aus." Doch dank der hervorragenden deutschen Abwehr gelang es der Schweiz im gesamten weiteren Spielverlauf nicht, nennenswerte Torchancen herauszuarbeiten. Der von dem Spiel berichtende Reporter der Zeitung "Badischer Beobachter" zeigte sich vom ersten Sieg der deutschen Fußball-Nationalmannschaft dann auch derart begeistert, dass er seinen Artikel mit dem Jubel "Den Siegern, dem Deutschen Fußballbund, ein kräftiges Hipp, Hipp, Hurrah!" schloss.

Nach dem Spiel fand um 19:00 Uhr im Hotel-Restaurant "Friedrichshof" der Brauerei Sinner in der Karl-Friedrich-Straße 28 ein Festessen mit etwa 60 Gästen statt, an dem die beteiligten Spieler, Vertreter der Karlsruher Fußballvereine, des Deutschen und Schweizer Fußballbunds sowie der Karlsruher Stadtrat Leopold Kölsch als Vertreter der Stadt teilnahmen und kurze Ansprachen hielten, in denen sie die Leistung beider Mannschaften lobten. Für die musikalische Unterhaltung des Abends sorgte Eugen Kalnbach, Opernsänger am badischen Hoftheater.

Schlussbemerkung

Die Karlsruher Fußball-Länderspielhistorie begann aber nicht mit diesem ersten Sieg von 1909. Bereits 1899 hatte der Fußballpionier Walther Bensemann ein Spiel gegen eine englische Auswahl organisiert, das vor 5.000 Zuschauern auf dem Engländerplatz ausgetragen und mit 0:7 verloren wurde. Dieses Spiel wird als sogenanntes Ur-Länderspiel geführt, da es vor der Gründung eines nationalen Fußballverbandes stattfand. Dem Sieg von 1909 folgt in der offiziellen Länderspielstatistik eine Serie von sechs weiteren Spielen in Karlsruhe. Sie fanden alle erst nach dem Zweiten Weltkrieg in den Jahren 1955, 1962, 1965, 1967, 1971, 1993 in dem 1955 fertiggestellten Wildparkstadion statt. Sie endeten alle siegreich.

René Gilbert, Historiker, Karlsruhe

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