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Blick in die Geschichte Nr. 120

vom 21. September 2018

Ort deutscher Rechtsgeschichte

Das Bundesverfassungsgericht im Prinz-Max-Palais

von Detlev Fischer

Die meisten Nutzer der Kulturinstitutionen Stadtmuseum, Jugendbibliothek und Literaturmuseum in der Karlstraße 10 machen sich sicher keine Gedanken darüber, dass sie ein Haus betreten, das in der deutschen Rechtsgeschichte einen besonderen Rang einnimmt. Hier residierte von 1951 bis 1969 das Verfassungsgericht der Bundesrepublik.

Das Prinz-Max-Palais in der Karlstraße 10 im Jahr 1951, erster Sitz des Bundesverfassungsgerichts

Zur Baugeschichte des Palais

Das 1881-1884 als Villa Schmieder von Josef Durm (1837-1919) erstellte aufwendige Stadtpalais wurde Ende des 19. Jahrhunderts von Prinz Max von Baden (1867-1929) erworben und diente diesem als Karlsruher Wohnsitz. Prinz Max war infolge der Kinderlosigkeit des Großherzogs Friedrichs II. (1857-1928) badischer Thronfolger. Am 23. Oktober 1918 wurde er zum Reichskanzler berufen und bildete die erste und letzte parlamentarisch gestützte Reichsregierung der Kaiserzeit. Ende Oktober traten die Verfassungsreformen in Kraft, die wichtigste war die Bindung der Regierung an den Reichstag. Am 9. November 1918 verkündete Prinz Max, ohne die formelle Abdankungserklärung Kaiser Wilhelms II. (1859-1941) abzuwarten, eigenmächtig den Thronverzicht des Kaisers und übertrug das Reichskanzleramt auf Friedrich Ebert (1871-1925). Nach dem Tod von Prinz Max, der seinen Hauptwohnsitz in Schloss Salem genommen hatte, wurde der Bau von verschiedenen Unternehmen genutzt. 1929 erwarb die Industrie- und Handelskammer Karlsruhe das Palais und nahm dort ihren Sitz. Bei einem Luftangriff erlitt das Haus 1944 schwere Brandschäden. Die Außenmauern und tragenden Innenwände blieben jedoch weitgehend erhalten, so dass es nach dem Wiederaufbau als repräsentativer Sitz dem Bundesverfassungsgericht zur Verfügung gestellt werden konnte.

Errichtung des Bundesverfassungsgerichts

Knapp ein Jahr nach der Eröffnung des Bundesgerichtshofs in Karlsruhe nahm das Bundesverfassungsgericht im September 1951 seine Arbeit auf. Den Vorstellungen der Bundesregierung, das Bundesverfassungsgericht am Sitz des Bundesgerichtshofs zu errichten, verschloss sich der Bundestag nicht und verwarf Anträge der Opposition, das Gericht in Berlin anzusiedeln. Für die Entscheidung, das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe zu errichten, führte die Begründung des Regierungsentwurfs insbesondere organisatorische und finanzielle Erwägungen an und erwähnte in diesem Zusammenhang ausdrücklich "die Mitbenutzung der Sitzungssäle, der Bücherei, der Druckerei und der Kasse." Dazu ist es bekanntlich nicht gekommen. Eine Gesamtbibliothek wurde nicht näher ins Auge gefasst; spätere Erhebungen haben auch gezeigt, dass die Bestände der beiden Bibliotheken ganz unterschiedlich angelegt sind.

Am 28. September 1951 fand die feierliche Eröffnung des neuen Gerichtshofs im Karlsruher Schauspielhaus statt. Die obersten Repräsentanten des neuen Staates - unter ihnen Bundespräsident Theodor Heuss (1884-1963), Bundeskanzler Konrad Adenauer (1876-1967) mit seinem Kabinett, die meisten Ministerpräsidenten sowie weitere Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens - fanden sich in Karlsruhe ein. Der zum Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts berufene ehemalige preußische Finanzminister und Bundestagsabgeordnete Hermann Höpker Aschoff (1883-1954) hob in seiner Ansprache die Aufgabe des Gerichts als Hüter der Verfassung hervor. Das Bundesverfassungsgericht selbst war den Vorgaben des Grundgesetzes entsprechend durch Gesetz vom 12. März 1951 errichtet worden. Da die Richterwahlen verspätet abgehalten wurden, konnte das Gericht erst am 8. September seine Tätigkeit aufnehmen. Es bestand von Anfang an aus zwei Senaten, die allerdings in den ersten Jahren mit jeweils zwölf Richtern besetzt waren. 1956 wurde die Senatsbesetzung auf zehn und 1963 auf acht Mitglieder herabgesetzt.

Ein Drittel der Richterschaft musste, wie auch heute noch, aus den Obersten Bundesgerichten kommen; damit sollte das berufsrichterliche Element gestärkt werden. Mit Ausnahme des aus Freiburg stammenden Bundesverfassungsrichters Julius Federer (1911-1984) hatte keiner der übrigen Richter eine verfassungsrichterliche "Vorbefassung". Viele Mitglieder der Erstbesetzung hatten auch keine richterliche Erfahrung.

Anfangsjahre des Bundesverfassungsgerichts

Bereits einen Tag nach dem Zusammentreten des Bundesverfassungsgerichts hatte der Zweite Senat unter Vorsitz des Vizepräsidenten Rudolf Katz (1895-1961) im Verfassungsrechtsstreit betreffend das Bundesgesetz über die Neugliederung in den Ländern Baden, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern auf Antrag der Badischen Landesregierung im Rahmen einer einstweiligen Anordnung die auf 16. September 1951 angesetzte Abstimmung aufgehoben und die Festsetzung eines neuen Abstimmungstages der Entscheidung im Hauptverfahren vorbehalten. Die aufwendige mündliche Verhandlung fand am 2., 3. und 4. Oktober mit zahlreichen Verfahrensbeteiligten statt, das Urteil wurde am 23. Oktober verkündet. Da im Senat Stimmengleichheit herrschte, wurde die Klage des Landes (Süd-)Baden als unbegründet zurückgewiesen.

Verlesung des Urteils zur Badenfrage am 23. Oktober 1951 durch den Vorsitzenden Richter Julius Katz

1956 entschied allerdings der gleiche Senat auf Antrag des Heimatbundes Badnerland, der das satzungsgemäße Ziel einer Wiederherstellung des Freistaats Baden in den Grenzen von 1933 verfolgte, der Abstimmungsmodus von 1951 sei rechtswidrig. Die danach maßgebliche Mehrheit in drei der vier Abstimmungsbezirke führe zur Majorisierung des Willens der badischen Bevölkerung und stehe nicht im Einklang mit dem Grundgesetz. Mit dem Urteil vom 30. Mai 1956 wurde angeordnet, dass das vom Heimatbund beim Bundesinnenministerium beantragte und zunächst abgelehnte Volksbegehren auf dem Gebiet des früheren Freistaats Baden durchzuführen sei. Eine besondere Fristsetzung, bis wann die Abstimmung abzuhalten ist, erschien dem Senat allerdings entbehrlich. Dies führte bekanntlich dazu, dass das Begehren erst 1970 anberaumt wurde und nunmehr die normative Kraft des Faktischen zu Gunsten des Südweststaates entschied.

Die Verhandlungen des Ersten Senats in den gegen die Sozialistische Reichspartei (1952) und gegen die Kommunistische Partei Deutschlands (1954-1955) gerichteten Parteiverbotsverfahren, die jeweils zur Auflösung der Parteien unter Einzug ihres Vermögens zu gemeinnützigen Zwecken führten und den Grundsatz der wehrhaften Demokratie eindrucksvoll unter Beweis gestellt haben, erforderten zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen für das Gericht. Zeitweise musste die Karlstraße zwischen Amalien- und Stephanienstraße gänzlich gesperrt werde.

Auch andere wegweisende Entscheidungen ergingen bereits in den ersten Jahren des Bestehens des Gerichts. Hierzu zählt der Beschluss des Plenums - also der Gesamtheit der Richter beider Senate - vom 8. Dezember 1952 im Verfahren über ein von Bundespräsident Heuss erbetenes Rechtsgutachten zur Verfassungsmäßigkeit des Vertrags über die Gründung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft. In diesem Beschluss wurde festgelegt, dass die im Rechtsgutachten niedergelegte Rechtsansicht für beide Senate mit bindender Wirkung ergeht. Mit der Status-Denkschrift vom 27. Juni 1952 - maßgeblich von dem Göttinger Staatsrechtslehrer Gerhard Leibholz (1901-1982), der von 1951 bis 1971 dem Verfassungsgericht angehörte, konzipiert - wies das Gericht auf seinen verfassungsrechtlichen Status als Verfassungsorgan hin; es setzte diesen in der Folgezeit auch gegen den Widerstand von Bundesjustizminister und Bundeskanzler durch.

Von grundlegender Bedeutung für die öffentliche Auseinandersetzung in der jungen Bundesrepublik war schließlich das Lüth-Urteil aus dem Jahr 1958, mit dem das Grundrecht der Meinungsfreiheit auch in der Rechtsbeziehung zwischen Bürgern untereinander Geltung erhielt.

Neue Nutzung des Palais

Bis zum Jahr 1969, als der Neubau am Schlossplatz schließlich fertiggestellt war, verrichtete das Bundesverfassungsgericht unter beengten Bedingungen des nicht weiter ausbaufähigen Prinz- Max-Palais seine Arbeit. Das denkmalgeschützte Gebäude ging nach dem Auszug des Gerichts aus dem Besitz der Industrie- und Handelskammer in den der Stadt Karlsruhe über. Zunächst noch von der Pädagogischen Hochschule genutzt, wurde es 1978-1981 für die Zwecke eines Kulturzentrums der Stadt im Inneren völlig umgestaltet.

Der Beitrag ist ein leicht redigierter Text aus: Detlev Fischer: Rechtshistorische Rundgänge durch Karlsruhe, Residenz des Rechts, 3. erweitere Auflage Karlsruhe 2017 (= Schriftenreihe des Rechtshistorischen Museum Karlsruhe, hrsgg. von Detlev Fischer und Marcus Obert, Heft 10).

Dr. Detlev Fischer, Richter am Bundesgerichtshof i. R., Karlsruhe

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