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Blick in die Geschichte Nr. 120

vom 21. September 2018

Sie nannten ihn Kalmück

Der badische Hofmaler Feodor Ivannoff

von Petra Reategui

Herkunft aus der Steppe

"Seine Kurfürstliche Durchlaucht haben sich gnädigst entschlossen, den Maler Feodor Iwanowitsch […] mit einer vom 23. April 1806 anfangenden Besoldung von fünfzehnhundert Gulden zum Kurfürstlichen Hofmaler zu bestallen." So steht es in einer "Dienerakte" im Generallandesarchiv Karlsruhe.

In die Wiege gelegt war dem um 1766 geborenen Künstler diese Ehre nicht. Feodor Iwanowitsch, der sich im Testament Ivannoff nannte und später in Behördenangelegenheiten und im Karlsruher Adressbuch "Iwanoff" geschrieben wird, kommt um 1766 als Sohn kalmückischer Nomaden westlich der Wolga zur Welt. Doch mit fünf Jahren wird er von Soldaten Katharinas II. seinen Eltern entrissen, nach St. Petersburg verschleppt und russisch-orthodox getauft; Geburtsname und Muttersprache geraten in Vergessenheit. Geiselnahmen vor allem von Kindern hochrangiger kalmückischer Khans sind in jener Zeit an der Tagesordnung, um das westmongolische Wandervolk gefügig zu machen. Außerdem gefällt es der Kaiserin, sich mit kalmückischen, türkischen und afrikanischen Pagenkindern zu umgeben. Als 1773 anlässlich der Hochzeit ihres Sohnes Paul mit Prinzessin Wilhelmine von Hessen-Darmstadt die Brautmutter, die sogenannte Große Landgräfin Karoline, im Winterpalais zu Besuch weilt, ist diese von den fremdländischen Kindern derart entzückt, dass die Kaiserin ihr bei der Abreise den kleinen Feodor schenkt. Doch kaum zurück in Darmstadt stirbt die Landgräfin.

Porträt des Kalmück genannten badischen Hofmalers Feodor Ivannoff

Der Weg zum Künstler

Fortan sorgt ihre Tochter Amalie für den Jungen. Sie nimmt ihn 1774 nach ihrer Heirat mit dem badischen Erbprinzen Karl Ludwig, dem Sohn von Markgraf Karl Friedrich, mit nach Karlsruhe. Feodor wächst in der "Obhut 'guter Leute'" auf, von denen wir nicht wissen, wer sie waren, und erhält Schulunterricht, unter anderem in dem vom Markgrafen geförderten Philanthropin im schweizerischen Graubünden, wo seine künstlerische Begabung erkannt wird. Wieder in Karlsruhe geht er zur Handzeichnungsschule, die von Hofmaler Joseph Melling und danach von Karl Friedrich Autenrieth geleitet wird, und ab 1785 in die neue Zeichenakademie des ersten Karlsruher Galeriedirektors Philipp Jakob Becker in der Akademiestraße. Einer seiner Klassenkameraden der ersten Jahre ist der gleichaltrige Friedrich Weinbrenner. Dass Feodor einmal bei einem Schulwettbewerb Bester wird, während Friedrich nur auf Platz neunzehn kommt, tut ihrer Freundschaft keinen Abbruch. Sie wird ein Leben lang anhalten.

1791 bricht Feodor mit Unterstützung der markgräflichen Familie zur Grand Tour nach Rom auf, um die Meister der Antike und Renaissance zu studieren. Schon bald gilt er als einer der bedeutendsten Figurenzeichner weit und breit. Trotzdem plagen ihn Geldsorgen, und der Einmarsch französischer Revolutionsgarden trübt das heitere Leben der deutsch-römischen Künstlergemeinschaft am Tiber. Vielleicht deshalb, vielleicht auch, weil ihn die Ursprünge des klassischen Altertums locken, reist Feodor Ende 1799 im Auftrag des griechenlandbegeisterten britischen Gesandten am Bosporus, Lord Elgin, mit einer Gruppe Architekturmaler und Gipsformer über Sizilien nach Athen. Ihm obliegt es, auf der Akropolis die Figuren am Parthenon und anderer Athener Gebäude abzuzeichnen; ungewollt wird er dabei Augenzeuge des Abrisses großer Teile des marmornen Figurenfrieses, die Lord Elgin 1801/02 nach London verschiffen lässt.

Die Zeit in Griechenland ist geprägt von Reibereien. Der Landschaftsmaler Giovanni Battista Lusieri, der die Truppe leitet, wirft dem "Calmuck" Faulheit und Trunksucht vor, Feodor seinerseits empört sich über dessen Beleidigungen und Kontrollsucht und bittet den meist abwesenden Lord Elgin in einem Brief um Entlassung aus seinem Vertrag. Dieser kommt der Bitte nicht nach, im Gegenteil, er schickt Feodor 1803 zum Radieren seiner rund einhundert Zeichnungen nach London. Doch dann gerät der Brite in französische Kriegsgefangenschaft, und Feodor wartet in England vergeblich auf seine Zeichnungen. 1805 reist er enttäuscht und unverrichteter Dinge zurück nach Karlsruhe - wo der Kurfürst ihn mit offenen Armen und dem Titel eines Hofmalers begrüßt.

Gemeinsam mit Friedrich Weinbrenner: Feodors Wirken in Karlsruhe

Auf Feodor Ivannoff warten nun neue Aufgaben: Er unterrichtet junge Künstler und liefert dem Hof Bilder sowie Entwürfe für Siegel, Medaillen oder für die bei feierlichen Anlässen beliebten Triumphbögen. Für den Wirt des "Badischen Hofs" im östlichen Teil des Vorderen Zirkel, des heutigen Schlossplatzes, malt er auf die Wand des neuen Tanzsaals ein großformatiges Bacchanal. Ein "Meisterstücke (sic) der Kunst", wie ein zeitgenössischer Kritiker urteilt. Feodor liebt dieses aus der griechischen Mythologie kommende Motiv; immer wieder zeichnet er den weinseligen Gott Bacchus mit Ariadne, umrahmt von Satyrn, tanzenden Jünglingen und Mädchen, Putten und Tieren. Das Wandbild im Gasthaus führt er in Grisaille aus, einer Maltechnik, die er perfekt beherrscht. Die grau in grauen Schattierungen vermitteln in verblüffender Weise die Illusion eines in Stein gehauenen Reliefs.

Besonders eng arbeitet Feodor mit Weinbrenner zusammen, der sich als künftiger Oberbaudirektor anschickt, der Residenzstadt ihr bis heute charakteristisches Aussehen zu geben. Am Eckrondell des von Weinbrenner 1814 errichteten neuen Gebäudes der Museumsgesellschaft, Ritter-, Ecke Lange Straße, heutige Kaiserstraße, bringt Feodor ebenfalls in Grisaille einen Figurenfries an, der - ganz klassisch - die Apotheose Homers zeigt.

Zwischen 1813 und 1823 entstehen die vier Tafeln der Evangelisten für die Orgelempore der neuen Evangelischen Stadtkirche am Markt. Für die untere Emporenbrüstung entwirft der Hofmaler gleichzeitig einen Jesuszyklus, der zunächst achtundzwanzig, später vierzehn, dafür aber doppelt so große Szenen aus dem Leben Jesu umfassen soll. Ein oder zwei Bilder hat der Künstler vermutlich noch selbst realisiert, danach führen die Maler Josef Sandhaas, Gotthold Hauer und vor allem Franz Joseph Zoll die Arbeit fort. Nach dem Tod aller Beteiligten vollendet Johann Heinrich Koopmann bis 1840 das Werk.

Ein Künstler zum Wiederentdecken

Feodor stirbt am 27. Januar 1832, wie in der Karlsruher Zeitung vom folgenden Tag mitgeteilt wird, "nach langwährendem Magenleiden" in seinem Atelierhaus in der Langen Straße 12. Auf dem Grundstück waren damals Bauverwaltung, Kavallerie und Arsenal untergebracht, heute befinden sich dort das Südwestdeutsche Archiv für Architektur und Ingenieurbau (saai) und weitere Gebäude des Karlsruher Instituts für Technologie. So berühmt der Künstler zu Lebzeiten war, so rasch gerät er jetzt in Vergessenheit. Kaum jemand kennt seine Zeichnungen vom Parthenonfries, die im British Museum in London liegen. Andere Arbeiten wie seine Radierungen der bronzenen "Paradiestür" des Baptisteriums San Giovanni in Florenz oder die "Kreuzabnahme" nach Michelangelo finden sich verstreut u.a. in Karlsruhe, Kopenhagen, Zürich, Mannheim, Wien und in Russland. Seine Wandmalereien aber sind alle durch Umbauarbeiten oder Kriegseinwirkungen zerstört worden. Nur von den Grisaillebildern in der Stadtkirche bewahrt das Fotoarchiv des Landesamts für Denkmalpflege Karlsruhe noch Fotografien vom Beginn des 20. Jahrhunderts. Sie zeugen von Feodors Nähe zur Antike. Darstellungen wie die "Heilungsszene" oder die "Anbetung der Heiligen drei Könige", auf der man den Künstler übrigens als freundlich blickenden Kamelführer mit einer Art Turban im Tross einer Karawane zu erkennen meint, erinnern an den Figurenfries auf dem Sarkophag des Hippolytos im sizilianischen Agrigent, den Feodor seinerzeit für Lord Elgin in bewundernswerter Präzision und Lebendigkeit abgezeichnet hat.

Die im Zweiten Weltkrieg zerstörte Wandmalerei "Anbetung der Heiligen drei Könige" schuf Feodor Ivannoff für die Evangelische Kirche

Als Hofkünstler malte Feodor auch in Öl, u.a. die Kinder von Großherzog Karl Friedrich aus dessen zweiter Ehe. Seine Stärke waren jedoch Zeichnungen und Radierungen zu Stoffen aus der griechischen Götterwelt sowie Portraits, die Zeitgenossen ob ihrer Genauigkeit in Erstaunen setzten. Legationsrat Georg Ernst Tatter bemerkte in einem Schreiben an einen Bekannten, dass das von ihm 1792 in Rom bestellte Selbstportrait des Kalmücken "treu, wie aus dem Spiegel gestolen" sei.

Geschmäcker ändern sich, und mit dem aufkeimenden deutschen Nationalpatriotismus verblasste die Bedeutung der Antike in der Kunst, andere Sujets kamen in Mode. Vielleicht fremdelte die post-aufklärerische, post-napoleonische Kunstwelt jetzt aber auch - oder immer noch? - mit dem asiatischen Gesicht des Verstorbenen, der trotz jahrzehntelanger Zugehörigkeit zur badischen Gesellschaft wohl stets Aufsehen erregt hatte. So mag es nicht verwundern, dass sich 1882 bei der Auflösung des Alten Friedhofs in der Kapellenstraße niemand mehr für Feodor Ivannoffs Grab interessierte; auf den neuen Hauptfriedhof wurde er nicht umgebettet. Nicht einmal eine Plakette erinnert in Karlsruhe an den badischen Hofmaler.

Petra Reategui, Journalistin und Schriftstellerin, Köln

Die Autorin ist Verfasserin der Romanbiografie "Hofmaler. Das gestohlene Leben des Feodor Ivannoff genannt Kalmück", Bad Saulgau 2017.

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