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Blick in die Geschichte Nr. 128

vom 25. September 2020

Blumentorstraße 4 in Durlach

Nachruf auf ein Haus in markanter Lage

von Peter Güß

Die Lage an der "äußeren Stadtmauer"

Niemand, der in den letzten Jahrzehnten von Osten kommend nach Durlach hineinfuhr, konnte dieses Haus übersehen. Denn man fuhr schnurstracks auf das Haus mit der Aufschrift "Farben-Scheuble" zu und bog erst im letzten Augenblick in einer 90-Grad-Kurve stadtwärts ab. An eben dieser bedeutsamen Stelle war man seit Jahrhunderten in die Stadt Durlach gelangt, genau genommen zunächst in die "Blumen-Vorstadt". Denn hier verlief die Stadtgrenze, die lange Zeit nicht nur eine gedachte Linie war, sondern eine Mauer. Da es sich nur um die sogenannte "äußere Stadtmauer" um die Blumen-Vorstadt handelte, ähnelte sie mit ca. 70cm Dicke etwa der äußeren Zwingermauer.

Eine genaue Beschreibung der historischen städtebaulichen Situation bietet eine Planzeichnung des Stadtbaumeisters Thomas Lefebvre von ca. 1680, also vor dem Stadtbrand von 1689. Die genannte Mauer verläuft vom westlichen Rand der heutigen Blumentorstraße 4 schnurgerade nach Norden Richtung Pfinz. Auf der Außenseite wird sie begleitet von einem schmalen öffentlichen Pfad, dem "Schießwiesenweg". Zur Straße hin springt sie beidseitig ein wenig in den Straßenbereich vor und lässt nur in der Mitte eine Lücke für einen Schlagbaum. Es wird wohl viele heute verwundern, dass sich ein beträchtliches Stück dieser "äußeren Stadtmauer" erhalten hat, die einst die Stadt vom Umland trennte.

Die städtebauliche Situation um den heutigen Hengstplatz um 1680, am rechten Bildrand vor der Stadtmauer das spätere Grundstück Blumentorstraße 4

Auf dem noch ungeteilten Grundstück von Nr. 2 und 4 stand vor 1689 genau in der Mitte das alte Schießhaus (= Schützenhaus), das dann im Krieg zerstört wurde. Im 18. Jahrhundert wurde ein neues, kleineres Schießhaus errichtet, jetzt aber etwas versetzt auf der östlichen Grundstückshälfte; die westliche Hälfte (Nr. 4) blieb vorerst städtisches Gartengelände.

Erbauer und Bewohner bis 1908: Familie Schmidt

In den 1830er-Jahren begann zeitgleich mit der Erschließung der Karlsburgstraße die Privatisierung und Wohnbebauung von Nr. 4 und 2. Die Bauinschrift "IGS 1835", bisher an der Scheune von Nr. 4, weist auf den Erbauer Johann Georg Schmidt sen. (1779 - 1839) hin, Spross einer Durlacher Schmiede-Familie. Das Nachbargrundstück Nr. 2 erwarb laut Feuerversicherungsbuch von 1842 sein Schwiegersohn, der Kettenschmied Wilhelm Grimm.

An der revolutionären Bewegung von 1848/49 scheint niemand von Nr. 4 beteiligt gewesen zu sein, ganz im Gegensatz zu den Nachbarn ringsum, die hier einen revolutionären Hotspot bildeten. Der Kettenschmied Wilhelm Grimm gehörte unter anderem dem revolutionären Stadtrat an und musste sich nachher vor Gericht verantworten. Jakob Weissinger, der Wirt des "Hirschen" (Nr.10), war von Anfang an einer der aktivsten Anführer der demokratischen Fraktion. Und auch Gustav Scholder, der Kannenwirt (Nr.12), musste sich 1849 wegen Unterstützung der Revolution vor Gericht verantworten. Als die preußische Armee nahte, errichteten die Verteidiger auf der Kreuzung vor Nr. 4 eine dreifach gestaffelte Barrikade. Sie kam am 25. Juni 1849 nicht zum Einsatz; umso heftiger wurde 200 Meter weiter an der Barrikade auf der Brücke bei der Obermühle gekämpft. Als Erinnerung daran wurden zwei Kanonenkugeln an der Schmidt'schen Scheune angebracht.

Nach dem Scheitern der Revolution wandte man sich auch in Durlach vorrangig der wirtschaftlichen Erholung zu. Das Haus Nr. 4 blieb vorerst in der Familie Schmidt, zunächst bei J. G. Schmidts Witwe, dann bei seinem Enkel Karl Heinrich Schmidt (1817 - 1874). Dieser betrieb hier seine Eisenhandlung, zugleich besaß er das Hammerwerk bei Söllingen mit seinen zahlreichen Nebenbetrieben. In ihm verkörpert sich der atemberaubend schnelle Übergang vom Handwerks- zum Industriebetrieb. Die nächsten 24 Jahre ist dann sein Sohn Emil Adolf Schmidt Eigentümer von Nr. 4.

Die Ära Kuttner bis 1939

Am 5. August 1898 steht im "Durlacher Wochenblatt": "Das Eisen- und Kohlengeschäft Emil A. Schmidt ist käuflich an den Kaufmann Otto Biesinger übergegangen und wird in unveränderter Weise unter der Firma "Emil A. Schmidt Nachf." fortgeführt." Biesinger verspricht "pünktliche, gewissenhafte, rasche und billigste" Bedienung. Damit endet hier nach vier Generationen die Ära Schmidt, während im Nachbarhaus Nr. 2 E. A. Schmidts Brüder Karl Robert und Otto noch bis 1909 eine Eisenhandlung betreiben.

Ab 1905 war der Kaufmann Waldemar Kuttner in Biesingers Unternehmen beschäftigt. 1908 konnte er Haus und Geschäft für 43.000 RM erwerben. Der jüdische Geschäftsmann war aus dem preußischen Groß-Strelitz in Oberschlesien nach Durlach gekommen. Er führte das Geschäft in den nächsten 30 Jahren, zeitweise zusammen mit seinem Bruder Emil Kuttner, lange Zeit mit gutem Erfolg.

Beide Brüder dienten im Ersten Weltkrieg an der Front, Waldemar zuletzt als Sergeant, Emil als Unteroffizier. Ihre Ehefrauen, Schwestern, führten derweil das Geschäft fort. Emil ging nach dem Krieg bis 1934 mit seiner Familie nach Pforzheim, um die dortige Filiale zu leiten; 1934 bis 1940 wohnte die Familie am Hengstplatz 7. Waldemar kaufte die großzügige Villa am Schlössleweg 2 und wohnte dort mit seiner Familie, das Geschäft jedoch leitete er von der Blumentorstraße Nr. 4 aus. Ein Grundbucheintrag von 1929 bietet eine gute Vorstellung von der gesamten Immobilie: "Ein zweistöckiges Wohnhaus mit gewölbtem Keller, angebautem Kontor und angebautem Magazin; einstöckiges Magazin; einstöckiger Schopf mit Stall und Magazinbau; zweistöckiger Schopf mit Stall und Kohlenremise; Schlosserwerkstatt."

In der Wirtschaftskrise 1929 erfolgte der Zusammenschluss mit dem Großhandelsunternehmen "Berg und Strauß" zur Firma "Berg und Strauß und Waldemar Kuttner", mit Emil und dem dritten Bruder Dagobert als Teilhabern. Die Blumentorstraße blieb der Hauptsitz der Firma, die bis ins Elsass, in die Pfalz und nach Leipzig lieferte. Dank ihrer devisenbringenden Geschäfte mit Frankreich und Luxemburg konnten die Brüder Kuttner auch nach 1933 noch größere Geschäfte tätigen.

Das Ende kam plötzlich und gründlich, es ist ausführlich dargestellt im digitalen "Gedenkbuch für die Karlsruher Juden". Im Rahmen des reichsweiten Pogroms wurden am 10. November 1938 die Geschäftsräume verwüstet und geplündert, Mobiliar zerschlagen und aus dem Fenster geworfen. Die Brüder Kuttner wurden für Wochen ins KZ Dachau verbracht. 1939 wurde die Firma aufgelöst, die restlichen Warenbestände mussten für ca. 7.000 RM veräußert werden. Das Haus wurde an den Malermeister Scheuble verkauft. Am 22. Oktober 1940 wurden die beiden Ehepaare Kuttner in das Lager nach Gurs deportiert, am 10. August 1942 in das Vernichtungslager Auschwitz.

80 Jahre Farben-Scheuble

Das Haus bedurfte gründlicher Renovierung, zumal es 1944 beträchtlichen Bombenschaden erlitt. Mit der Jewish Restitution Organization wurde 1953 eine Einigung über eine Nachzahlung erzielt. Diese und andere Informationen aus dem Familienarchiv stellte Klaus-Dieter Scheuble zur Verfügung.

Nach über 180 Jahren begann 2019 der Abriss des Hauses Blumentorstaße 4, in dem 80 Jahre lang die Firma Farben-Scheuble ansässig war

80 Jahre lang war "Farben-Scheuble" in der Blumentorstraße 4 mehreren Generationen von Durlachern eine wohlvertraute Adresse. 2019 wurde das Haus trotz einiger widersprechender Stimmen zugunsten eines Neubaus abgerissen. Das Stück "äußere Stadtmauer" jedoch, so wurde mir versichert, soll stehen bleiben.

Dr. Peter Güß, Historiker, StDir. i.R.

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