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Blick in die Geschichte Nr. 128

vom 25. September 2020

Kunsterwerbungen in der NS-Zeit

Provenienzforschung an der Städtischen Galerie

von Claudia Pohl

Spätestens mit dem Fall Gurlitt, dem spektakulären "Schwabinger Kunstfund" im November 2013, geriet schlagartig ein Forschungsbereich in den Blickpunkt der Öffentlichkeit, der Archive, Museen und Sammlungen seit Jahrzehnten gleichermaßen beschäftigt, die Provenienzforschung. Diese fragt nach den vorherigen Besitzverhältnissen eines Sammlungsobjektes, die im Idealfall möglichst lückenlos nachweisbar sein sollten. Das heißt, sie ist zeit- und kostenintensiv und kann naturgemäß nicht immer gelingen.

Mit finanzieller Unterstützung des Deutschen Zentrum Kulturverluste (DZK) konnte die Provenienzforschung an der Städtischen Galerie Karlsruhe 2017/18 hinsichtlich Erwerbungen zur Zeit des Nationalsozialismus intensiviert werden. Zuvor wenig bekannt war über die handelnden Personen und die Sammlungsgeschichte der Stadt. Im Laufe der Recherche kristallisierte sich heraus, dass für den seit 1938 amtierenden Oberbürgermeister Dr. Oskar Hüssy - der Ankauf von Kunst war Chefsache - und seinen Untergebenen Joseph Laubach im Stadtarchiv zwei tradierte Kriterien städtischer Kunstpolitik handlungsbestimmend waren: Für verstorbene Künstler galt bei Erwerbungen ein biografischer Bezug als ausschlaggebend und für lebende Künstler zählte der Faktor Künstlerförderung.

Zwei Beispiele städtischer Ankaufspolitik um 1942

Stimmungslandschaft von Franz Reder-Broili, Ankauf 1942 bei einem Frankfurter Kunsthändler

Auf den ersten Blick fällt die Stimmungslandschaft von Franz Reder-Broili, die am 16. Juni 1942 bei Wilhelm Ettle in Frankfurt am Main gekauft wurde, aus dem Rahmen der damaligen Sammlungskonzeption. Franz Reder-Broili (1854-1918) war ein Landschaftsmaler in München, der keine Berührungspunkte mit Karlsruhe hat. Stilistisch lässt sich sein undatiertes Gemälde mit der Dachauer Landschaftsmalerei in Verbindung bringen. Bereits im überarbeiteten Inventar der Städtischen Sammlungen (ab 1960) wurde das Bild mit Julius (Christian) Rehder (1861-1955) in Verbindung gebracht, ein Landschaftsmaler, der von 1913 bis 1926 in Ettlingen lebte und von dem bereits 1927 das Gemälde "Albtal bei Marxzell" erworben worden war. Eine Verwechslung der Künstler liegt nahe, zumal im Auktionskatalog des Kunsthauses Ettle der Künstlername nicht korrekt geschrieben war.

Damit ist jedoch die Provenienz der "Stimmungslandschaft" noch nicht erklärt. Nun kommt Wilhelm Ettle (1879-1958) ins Spiel, ein Name, bei dem alle Provenienzforscher sofort hellhörig werden. Bei ihm erwarb die Stadt Karlsruhe zwischen 1941 bis 1944 allein 19 Werke. Wilhelm Ettle arbeitete seit 1939 bei der Begutachtung beschlagnahmter jüdischer Kunstsammlungen im Raum Hessen eng mit der Gestapo zusammen, er war Sachverständiger der Reichskulturkammer, der Industrie- und Handelskammer in Frankfurt am Main und der Devisenstelle in Hessen. Somit stehen alle Erwerbungen, die bei Ettle getätigt wurden, unter Generalverdacht.

In der Liste der Einlieferer für Versteigerungen des Kunsthauses Ettle fanden sich zwei hier relevante Abkürzungen: Sch. B. (Auktionskatalog 1942) und Schloßbes. v. B. (Auktionskatalog 1943). Über Online-Recherchen in einer Datenbank der Amerikanischen Militärverwaltung ließen sich diese Abkürzungen mit Schloss Büdesheim in Verbindung bringen, Wohnsitz von Marie Sommerhoff, geb. von Buttlar. Eine Bestätigung für die Annahme, dass das gesuchte Bild aus dem Besitz der Familie von Buttlar stammen könnte, fand sich im Zentralinstitut für Kunstgeschichte in München, wo annotierte Auktionskataloge der Galerie Hugo Helbing liegen. Dort stellte sich heraus, dass bereits 1933 ein Geschäftskontakt zwischen der Familie von Buttlar und Hugo Helbing bestand.

Und welche Verbindung gibt es nun zwischen Hugo Helbing und Wilhelm Ettle? Dem renommierten jüdischen Galeristen Hugo Helbing wurde 1935 die Mitgliedschaft in der Reichskulturkammer der bildenden Künste entzogen, womit er seine Versteigerungserlaubnis verlor und sein Unternehmen "arisieren" musste. Nach 1935 wurde die Niederlassung in Frankfurt a. M. zunächst von Arthur Kauffmann weiter geführt, bevor der Bestand 1939 von Wilhelm Ettle übernommen wurde. Arthur Kauffmann konnte nach London emigrieren, Hugo Helbing wurde in der Reichspogromnacht am 9. November 1938 in seiner Münchner Wohnung 75-jährig erschlagen, sein Sohn 1942 oder 1943 in Auschwitz ermordet. Fazit: Das Bild "Stimmungslandschaft" von Franz Reder-Broili stammt mit hoher Wahrscheinlichkeit aus dem Besitz der Familie von Buttlar und kann damit als "unbelastet" betrachtet werden.

Winterlandschaft von Willem L. van Dijk, Ankauf 1942

Das Gemälde Winterlandschaft. Alt Rotterdam von Willem L. van Dijk (1915-1990) wurde laut Inventar von Oberbürgermeister Dr. Oskar Hüssy am 1. August 1942 für 2.000 Reichsmark in der Ausstellung "Niederländische Malerei der Gegenwart" für die Stadt Karlsruhe erworben. Veranstalter der Schau im Sommer 1942 war die Staatliche Kunsthalle und die Landeshauptstadt Karlsruhe in Zusammenarbeit mit der Abteilung Kultur des Reichskommissars für die Niederlande und dem niederländischen Ministerium für Volksaufklärung und Künste. Karlsruhe war nach Freiburg die zweite Station dieser Wanderausstellung, deren Ausgangspunkt Den Haag in den Niederlanden war, dort veranstaltet von der Niederländisch-Deutschen Kulturgemeinschaft in Zusammenarbeit mit der Abteilung Kultur des Reichskommissariats und dem Departement für Volksaufklärung und Künste.

Zur Vorbereitung der Schau im besetzten Holland war als Ausstellungsleiter Dr. Joachim Bergfeld (1906-1988) zuständig, Generalkommissar zur besonderen Verwendung, Hauptabteilung Volksaufklärung und Propaganda mit Sitz in Den Haag. Nach Kriegsende bis 1973 leitete er die Richard-Wagner-Gedenkstätte in Bayreuth. Als Schirmherr des Unternehmens fungierte Dr. Arthur Seyß-Inquart (1892-1946), Reichskommissar für die besetzten Niederlande, der als Hauptkriegsverbrecher im Nürnberger Militärgerichtsprozess verurteilt und hingerichtet wurde. Damit war die Veranstaltung ein hoch politisches Unternehmen.

Willem L. van Dijk war mit drei Bildern auf der Verkaufsausstellung vertreten. Dass der Maler, der Ende der 1940er Jahre nach Brasilien auswanderte und sich in Petropolis niederließ, in unseren Breiten noch weitere Spuren hinterließ, verdanken wir Dr. Wolfram Spitzner, Mitbegründer der Museumsgesellschaft Ettlingen e.V. Der Apotheker Wolfram Spitzner, Erfinder der Erkältungssalbe Pinimenthol, unterhielt mit seiner erfolgreichen Arzneimittelfabrik, die er 1949 in Ettlingen gegründet hatte, eine Filiale in Brasilien, wo er Willem van Dijk unter nicht mehr zu klärenden Umständen begegnete. Spitzner organisierte und finanzierte 1976 und 1979 zwei Ausstellungen mit Katalogen des Niederländers in Ettlingen.

In den Katalogen der Museumsgesellschaft Ettlingen findet sich der Hinweis auf Sammlungen mit Bildern des Malers, darunter für Deutschland das Osthaus Museum Hagen. Auf Nachfrage wurde der Besitz eines Gemäldes des Niederländers bestätigt, das laut Inventar ebenfalls auf einer vergleichbaren Ausstellung, der II. Niederländischen Kunstausstellung 1942/43 in Hagen, erworben wurde. Es bleibt die Frage, warum Willem L. van Dijk die Information weitergab, dass Hagen ein Bild von ihm besitzt, während der Erwerb eines Bildes von ihm im nahe gelegenen Karlsruhe keine Erwähnung in Spitzners Texten findet. Die Tatsache, dass das Stadtarchiv Karlsruhe ein Porträtfoto des Künstlers aus dem Atelier Schmeiser besitzt, ist ein Beleg für den Aufenthalt Willem L. van Dijks in der Stadt Karlsruhe am 3. Juli 1943, vermutlich um sein Honorar zu erhalten, womit auch dieser Erwerb als unbedenklich anzusehen ist.

Dr. Claudia Pohl, Städtische Galerie Karlsruhe

Ein ausführlicher Beitrag der Autorin zum Thema ist in der vom Stadtarchiv herausgegebenen Aufsatzsammlung "Bewegte Zeiten. Beiträge zur Karlsruher Geschichte" aus dem Jahr 2022 abgedruckt.

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