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Blick in die Geschichte Nr. 129

vom 18. Dezember 2020

Carlsruher Blickpunkte

Recht und Gerechtigkeit

von Manfred Koch

Die Bebauung des Areals zwischen Herren-, Ritter-, Kriegs- und Blumenstraße öffnet im Zentrum der Stadt einen Blick auf ihre Baugeschichte der letzten 200 Jahre. Hier stehen an der Herrenstraße ein vom klassizistischen Baumeister Friedrich Weinbrenner geplantes Wohnhaus, dem folgen im Stil der Nachkriegsarchitektur gebaut ein Wach- und Kontrollgebäude von 1980 sowie ein von Erich Schelling geplantes, auf Stelzen stehendes Bürogebäude mit anschließendem Saalbau von 1960. Im Süden des Areals an der Kriegsstraße liegt der im Stil des Historismus errichtete Solitärbau des Erbgroßherzoglichen Palais des badischen Baumeisters Josef Durm mit dem dazugehörigen Küchenbau von 1897. An der Ecke Ritter- und Blumenstraße baute das Architekturbüro Curjel & Moser 1907 im Jugendstil das Haus des Evangelischen Oberkirchenrats. An der Blumen- und Herrenstraße beschließt ein langgestreckter Neubaukomplex der Architekten Dohle und Lohse von 2003 das Gebäudeensemble. Geplant ist auf dem Gelände derzeit ein weiterer Neubau für das Forum Recht.

Bodenskulptur von Rudolf Merz im Senatshof des Bundesgerichtshofs, Foto: Rechtshistorisches Museum Karlsruhe

In dem ausgedehnten Straßengeviert mit einer Parkanlage residiert in den renovierten, umgebauten und neu errichten Gebäuden - mit Ausnahme des Oberkirchenrats - seit 1950 der Bundesgerichtshof. Hier befindet sich die Herzkammer der ordentlichen Gerichtsbarkeit der Bundesrepublik Deutschland, hier werden in letzter Instanz Zivil- und Strafrechtsverfahren entschieden. Die getroffenen Grundsatzurteile sind zugleich in der Rechtspraxis wegweisend für die Auslegung und Anwendung des Rechts durch die unteren Gerichtsinstanzen und damit für die Weiterentwicklung der Rechtspflege.

Das misslungene Attentat der RAF von 1977 führte aus Sicherheitsgründen zum Bau des Wach- und Kontrollgebäudes und der hermetischen Abriegelung des Geländes. Deshalb ist auch die Bodenskulptur, auf die aufmerksam gemacht werden soll, nicht öffentlich zugänglich. Als Ergebnis des Kunst-am-Bau-Wettbewerbs für den neuen Senats- und Bibliotheksbau von 2003 liegt sie auf dem Pflaster des sogenannten Senatshofs. Der Künstler Rudolf Merz hat mit etwa 40 cm hohen Großbuchstaben aus schlackengestrahlter Bronze ein "poetisches Denkbild" geschaffen. Indem Merz den in Rechtsgeschichte und -philosophie seit Jahrhunderten diskutierten Satz "LEX INJUSTA NON EST LEX" in Kreisform mit fünf Metern Durchmesser anordnet und dabei das zweite LEX entfällt, macht er den Satz auf zweierlei Weise lesbar. Einmal lautet er: "Ein ungerechtes Gesetz gibt es nicht", d. h. jedes Gesetz ist per se gerecht. Mit dem zweimal gelesenen LEX heißt es: "Ein ungerechtes Gesetz ist kein Gesetz", d.h. Gerechtigkeit ist die Voraussetzung für jedes Gesetz. Damit ist die wesentliche Frage nach dem Verhältnis von Recht und Gerechtigkeit gestellt.

"Das Spannungsfeld zwischen Recht und Gerechtigkeit immer wieder neu und aktuell zur Diskussion" stellen will auch das neue, in Karlsruhe entstehende Forum Recht, denn die Anerkennung der Gerechtigkeit von Rechtssetzungen ist eine existentielle Voraussetzung jeder zivilisierten, demokratischen Gesellschaft.

Dr. Manfred Koch, Herausgeber/Redaktion "Blick in die Geschichte"

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