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Blick in die Geschichte Nr. 129

vom 18. Dezember 2020

Gleiche Rechte für alle?

Religiöse Minderheiten in Karlsruhe im 18. und 19. Jahrhundert

von Pascal Andresen

Als Markgraf Karl III. Wilhelm von Baden-Durlach (1709-1738) im Jahr 1715 eine Verlautbarung veröffentlichen ließ, las es sich für viele Menschen dieser Zeit wie ein Versprechen: Seine neue, im Bau befindliche Residenzstadt Karlsruhe sollte nicht allein ein Symbol seiner Macht sein, sondern auch Menschen aller Konfession zu einer neuen Heimat werden. Das Papier versprach umfassende Privilegien für alle Neubürger der Stadt; ganz egal, ob sie lutherischen, katholischen, reformierten Glaubens waren. Für die Zeit des frühen 18. Jahrhunderts kam dies einer Revolution gleich. Überall in Europa sahen sich konfessionelle Minderheiten regelmäßig und in vielen Belangen des täglichen Lebens noch Diskriminierungen ausgesetzt. Und so zogen bereits in den ersten Jahren nach der Gründung im Jahr 1715 eine große Zahl von Katholiken und Reformierten in das zum Zeitpunkt noch mehrheitlich lutherisch geprägte Karlsruhe. Auch eine jüdische Gemeinde bildete sich recht schnell, obwohl jüdische Zuwanderer ursprünglich gar nicht in den angesprochenen Privilegien berücksichtigt worden waren.

Idealplan Karlsruhes von 1721; unten v. r.: die reformierte, die lutherische und die nicht realisierte katholische Kirche, Foto: Stadtarchiv Karlsruhe

Toleranz wird zum Politikum

Schon bald sah sich der Markgraf jedoch auch mit sehr weltlichen Problemen konfrontiert. Dem Versprechen von religiöser und wirtschaftlicher Freiheit waren derart viele Zuwanderer gefolgt, dass sich dringende Fragen stellten: Wer soll für die Kosten ihrer Kirchbauten aufkommen? Wer soll die Gottesdienste abhalten? Und sind all diese "Fremdgläubigen" nicht gar eine Bedrohung für die Markgrafschaft, weil sie dem lutherischen Markgrafen im Zweifelsfall nicht treu ergeben wären? Fragen dieser Art, die aus heutiger Sicht überhaupt nicht problematisch wirken, trugen im 18. Jahrhundert eine große politische Sprengkraft in sich.

Es verwundert daher nicht, dass in den ersten 100 Jahren des Bestehens der Stadt Karlsruhe die Aushandlung der konfessionsbezogenen Grundrechte immer wieder zu einer Reizfrage der städtischen Politik wurde. Die religiösen Gemeinden belauerten sich untereinander und maßen ihre Rechte immer auch an den Rechten, die anderen Gemeinden zugestanden worden waren. Insbesondere die katholische Gemeinschaft sah sich über Jahrzehnte hinweg - nicht ganz zu Unrecht - benachteiligt. Während die reformierte Gemeinde mit der Kleinen Kirche in der heutigen Kaiserstraße früh ein ordentliches Gotteshaus besaß und ein geregeltes Gemeindeleben entfaltete, blieben den Katholiken eine eigene richtige Kirche, das Prozessionsrecht und überhaupt vollumfängliche Pfarrrechte bis 1804 vorenthalten. Dass katholische Gemeindevertreter 1772 in einem Beschwerdebrief schrieben, sie würden noch schlechter behandelt werden als die jüdische Gemeinde, zeigt das seinerzeit vorherrschende Maß an Frustration anschaulich auf; zumal die jüdische Gemeinde im selben Brief auch noch beschimpft wird.

Das jüdische Leben im frühen Karlsruhe gestaltete sich in der Tat bemerkenswert lebendig. Schon seit 1718 besaß die Gemeinde einen Rabbiner und 1740 waren bereits 12% der Karlsruher Stadtbevölkerung jüdischen Glaubens. Karlsruhe war aufgrund der politischen Umstände und weitgehender Zuzugsverbote in anderen südwestdeutschen Städten der Zeit ein attraktives Ziel für jüdische Migranten. Tatsächlich ließ vor allem der Markgraf und spätere Kurfürst Karl Friedrich (1738-1811) verkünden, dass die städtischen Juden nicht beschimpft werden dürften. Ihnen solle in Karlsruhe der gleiche Schutz und die gleichen Rechte zukommen wie allen anderen Untertanen.

In großen Teilen unangetastet blieben jedoch die weitreichenden Beschränkungen für Juden im wirtschaftlichen Leben. Bis weit in das 19. Jahrhundert hinein war Juden auch in Karlsruhe die Arbeit in den Handwerksberufen untersagt. Viele betätigten sich daher als Händler und Krämer. Einzig das Metzgerhandwerk durften Juden in beschränkter Hinsicht ausüben, um die Gemeinde mit koscherem Fleisch zu versorgen. Überschüssige Ware durfte in der Stadt an christliche Kundschaft verkauft werden. Es verwundert nicht, dass sich aus dieser Situation eine Konkurrenz zwischen jüdischen und christlichen Metzgern in der Stadt ergab. Hier zeigt sich, wie einseitig und eingeengt das bis heute präsente Bild des jüdischen Geldverleihers in der Frühen Neuzeit überhaupt ist. Letztlich blieb allerdings auch in Karlsruhe die wirtschaftliche Betätigung jüdischer Menschen ein ständiger Zankapfel innerhalb des städtischen Politikbetriebs.

Auffallend ist aber, dass die Minderheiten der Katholiken, Reformierten und Juden keinesfalls als feste Einheiten zusammenstanden, um geschlossen für ihre Rechte einzustehen. Besonders stark traten diese Differenzen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts innerhalb der jüdischen Gemeinde Karlsruhes auf. Das war weniger eine Besonderheit der Karlsruher Geschichte, sondern vielmehr ein Produkt der sogenannten "Judenemanzipation". Diese sorgte für eine schrittweise, aber langwierige Entwicklung hin zur Akzeptanz jüdischer Menschen als Teil der Gesellschaft. Gleichzeitig entstanden daraus aber Entfremdungsmomente und Unfrieden innerhalb der jüdischen Gemeinden. So geriet der selbst jüdischstämmige Unternehmer David Seligmann (1776-1850) mit der eigenen Gemeinde über fällige Abgaben zur Armenfürsorge derart in Streit, dass er die Gemeindemitglieder mehrfach beschimpfte und verächtlich machte. Vermutlich in den 1820er Jahren nahm er schließlich den katholischen Glauben an. Hier offenbart sich anschaulich, dass die gemeinsame Zugehörigkeit zu einer - oft genug auch verfolgten - Minderheit keinesfalls immer zu einer Solidarisierung beitrug. Verhärtete Fronten innerhalb einer Gemeinschaft waren auch im 18. Jahrhundert keine Besonderheit.

Umkämpfte Freiheiten in der Toleranzstadt

Für Karlsruhe ergibt sich damit ein vielschichtiges Bild: Das Bild von einer Stadt, die von einem Markgrafen mit großen Visionen und einer klaren Vorstellung von seiner neuen Residenzstadt entworfen wurde. Gleichzeitig zeigt sich, wie Karlsruhe für eine Vielzahl von Menschen zur neuen Heimat wurde, die wirtschaftlicher Not entkommen wollten oder eben auch von der versprochenen Glaubensfreiheit angezogen worden waren, mit denen für eine Ansiedlung in Karlsruhe geworben wurde.

Die Garantien auf freie Ausübung der Religion wurden jedoch wiederholt unterlaufen und Gegenstand von politischem Streit. Dies betraf einerseits besonders die katholische Gemeinde und ihren Kampf für geregelte Pfarrrechte. Überliefert ist jedoch auch, dass lutherische Beamte und Gemeindeoffizielle mehrfach die den Reformierten zugesprochenen Rechte missachteten, als sie konfessionell gemischte Eheschließungen offenbar unter Gewaltandrohung in der lutherischen Kirche abhalten lassen wollten. Auch kam es immer wieder zu Verstrickungen zwischen dem städtischen Wirtschaftsleben und der Konfessionspolitik wie der erwähnten Rivalität zwischen christlichen und jüdischen Metzgern. Und immer wieder eröffnen die historischen Quellen den Blick auf Einzelschicksale und teils gar auf Kuriositäten. Beispielhaft genannt sei hier die nächtliche Aktion eines Kapuzinermönches, der sich 1742 in das markgräfliche Schloss schlich, um dort einem erkrankten Hofbediensteten die Krankensalbung zu spenden. Dies war zum Zeitpunkt des Vorgangs eigentlich nur innerhalb des katholischen Gemeindehauses erlaubt gewesen.

Karlsruhe war und ist nicht allein aufgrund des berühmten Zirkels und seiner Straßenzüge eine bemerkenswerte Stadt. Auch die aktiv gesteuerte Bevölkerungspolitik der badischen Fürsten prägte das Stadtbild nachhaltig und teils noch bis zum heutigen Tage. Karlsruhe entstand nicht allein in Bezug auf die bauliche Struktur, sondern auch hinsichtlich der Ansiedlungs- sowie Religionspolitik als Planstadt und historische Besonderheit. Ein Erbe, das hier bis heute gepflegt wird.

Pascal Andresen M. A., Historiker

Ausführlich zum Thema informiert: Pascal Andresen: Leben am Rande im Zentrum der Macht? Religiöse Minderheiten in einer Plan- und Residenzstadt des 18. Jahrhunderts am Beispiel Karlsruhes, Karlsruhe 2020 (= Forschungen und Quellen zur Stadtgeschichte. Schriftenreihe des Stadtarchiv Karlsruhe, Band 19).

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