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Blick in die Geschichte Nr. 132

vom 17. September 2021

Karl-Marx-Straße in Karlsruhe?

Straßenbenennungen in Demokratie und Diktatur 1918-1945

von Ernst Otto Bräunche

Eine Karl-Marx-Straße in Karlsruhe? Wer sich fragt, ob dies nicht ein Irrtum ist, sollte im Karlsruher Adressbuch von 1930 blättern. Dort wird er tatsächlich auch auf eine Karl-Marx-Straße in der Oststadt stoßen, die allerdings noch nicht hergestellt war. 1927 hatte der Stadtrat in einer für die doch nach wie vor eher bürgerliche Stadt Karlsruhe bemerkenswerten Aktion die Benennung einer Reihe von Straßen im Osten der Stadt beschlossen. Benannt werden sollten sie u. a. nach "bekannten Republikanern und Volksmännern", darunter die dem linken Spektrum zuzurechnenden Politiker August Bebel, Ludwig Frank, Anton Geiß, Ferdinand Lasalle und Karl Marx, aber auch Liberale wie Rudolf von Bennigsen, Emil Fieser oder Eugen Richter sowie die Zentrumspolitiker Theodor Wacker und Ludwig Windhorst. Diese Aktion ist einzuordnen in das erkennbare Bemühen, in den 1920er Jahren die Erinnerung an Demokratie und Republik stärker in die Straßennamensgebung der Stadt einzubeziehen. Am 6. November 1924 hatte z. B. Stadtrat Adolf Kühn (Zentrum) noch bemängelt, "daß man an die Republik zu wenig Zugeständnisse mache. Man habe hier noch die alten Plätze und Straßen, die an die Monarchie erinnerten."

Ausschnitt aus dem Karlsruher Adressbuch von 1930

Von Adeligen und Wirtshäusern

Tatsächlich hatten bis dahin adelige Namensgeber und nur wenige Namensgeberinnen die Benennung der Straßen nach Personen dominiert. Die ersten Straßen der am 17. Juni 1715 gegründeten baden-durlachschen Residenz Karlsruhe, die neun für den Fächergrundriss der Stadt typischen und bis heute stadtbildprägenden Radialstraßen wurden nach Mitgliedern des mit der Stadtgründung ins Leben gerufenen Ordens der Treue genannt. So hieß die heutige Waldstraße zunächst Rotbergische Gasse nach Hofmarschall Leopold Melchior von Rotberg, dann Plantaische Gasse nach dem Kammerjunker Friedrich Mainhard Planta von Wildenberg und seit 1726 Uexküllsche Gasse nach Staatsrat Friedrich Emicho vom Uexküll.

Die heutige Herrenstraße wurde zunächst Löwenkranzgasse nach dem Oberstallmeister Philipp Jakob Löw von Löwenkranz, dann Jung-Dresen-Gasse nach Christof Wilhelm Drais von Sauerbronn, Kammerjunker und Hauptmann des baden-durlachschen Kreisregiments, zu Fuß genannt. Außerdem wurde Ludwig Friedrich Drais von Sauerbronn, Kammerjunker und Oberstlieutenant der Garde, Graf Johann Friedrich zu Leiningen-Dachsburg, Hofrat und Obervogt Johann von Günzer, Markgraf Christopf, der als erster den Orden der Treue erhalten hatte, der Stadtgründer Markgraf Karl Wilhelm von Baden-Durlach selbst und sein Sohn Prinz Friedrich von Baden durch Straßenbezeichnungen geehrt. Diese für Einheimische wie Ortsfremde sicher nicht einfach zu merkenden Straßennamen hielten sich deshalb nicht lang, denn es bürgerten sich bald die Straßennamen nach den in der jeweiligen Straße liegenden Wirtshäusern ein. Einzig die Herrenstraße erinnert noch kollektiv an die adeligen Herren. Bereits früh nahm also die Karlsruher Bevölkerung Einfluss auf die Straßenbenennung.

Republikanische Straßennamen 1918-1933

In der jungen nach der Revolution von 1918/19 entstandenen Weimarer Republik dauerte es bis 1925, bis erste "demokratische" Namensgeber in Karlsruhe zum Zuge kamen. In diesem Jahr wurden zu Ehren des verstorbenen ersten deutschen demokratischen Reichspräsidenten Friedrich Ebert und des von völkischen Rechtsradialen ermordeten Zentrumspolitiker Mathias Erzberger Straßen benannt. Die Ebertstraße war später noch einmal Gegenstand der Beratungen. Am 8. November 1928 beschloss der Stadtrat, sie vom Kühlen Krug um die bisherige Reichsstraße bis zum Hauptbahnhof zu verlängern, um eine der Bedeutung Eberts angemessene Straßenlänge zu erreichen. In Ebertstraße war zunächst nur die Walhallastraße in der Weststadt umbenannt worden, die in einem Gebiet lag, das sich schon früh zu einer nationalsozialistischen Hochburg entwickelt hatte. Deshalb wurden wenig überraschend die neuen Straßenschilder in einer Nacht- und Nebelaktion zunächst wieder herausgerissen.

Auch wegen der Kaiserstraße kam es am 20. Oktober 1927 zu einer durchaus heftigen Debatte, die Stadtrat Hermann Jung (SPD), Mitglied der Straßennamenkommission, mit der ironischen Bemerkung beendete, dass man sich für die Beibehaltung der Kaiserstraße entschlossen habe, weniger wegen des "guten" mittelalterlichen Kaisertums - so eine Argumentation der Befürworter der Beibehaltung des Namens - "als im Hinblick auf die Tatsache, dass sich in der Kaiserstraße einige Filialen von 'Kaisers Kaffeegeschäft' befänden."

In dieser Sitzung sah sich Bürgermeister Hermann Schneider auch zu einer Replik auf einen KPD-Vorschlag veranlasst, "nach der alten und auch in Karlsruhe bekannten Vorkämpferin der Arbeiterklasse, Klara Zetkin, eine Straße zu benennen. Wo man eine Karl-Marx-Straße und eine Lasallestraße habe, möge man auch nach dem hervorragenden Kämpfer Lenin eine Straße benennen." Schneider lehnte dies ab und bemerkte daraufhin, dass "eine Eingemeindung nach Rußland" ja noch nicht erfolgt sei.

Umbenennungen in der Zeit des Nationalsozialismus

Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme 1933 befassten sich die neuen Machthaber sogleich mit Straßenumbenennungen. Da die vorgesehenen "demokratischen" Straßen aber alle noch nicht hergestellt waren, wurden sie kurzerhand wieder aus dem Adressbuch gestrichen. Sofort umbenannt wurden in der ersten Sitzung des nach dem Ergebnis der Reichstagswahl vom 5. März umgebildeten Karlsruher Stadtrats am 9. Mai 1933 der Marktplatz, der nun "Adolf-Hitler-Platz" hieß. Die Durlacher Allee wurde zur "Robert-Wagner-Allee", der Waldring zum "Horst-Wessel-Ring", der Gottesauer Platz zum "Hermann-Göring-Platz" und die Erzbergerstraße zur "Dietrich-Eckart-Straße". Neu benannt wurde der "Paul-Billet-Platz" vor der kleinen Kirche an der Kaiserstraße nach dem 1931 bei Straßenkämpfen in Karlsruhe ums Leben gekommenen Hitlerjungen. Aus dem Stresemannplatz wurde wieder der Festplatz, aus der Ebertstraße wieder die Reichstraße. Der Albert-Leo Schlageter wurde durch eine Anlage auf dem alten Friedhof, den "Albert-Leo-Schlageter-Hain" geehrt. Schlageter war am 26. Mai 1923 während des Ruhrkampfes wegen Sabotageaktionen von einem französischen Kriegsgericht zum Tode verurteilt und hingerichtet worden. Er galt rechtsgerichteten Kreisen, darunter vor allem der NSDAP, bald als einer der "nationalen Helden".

Die neuen Machthaber hoben aber nicht nur eigene Parteigrößen hervor, sondern beseitigten zugleich die Namen verdienter demokratischer Parteipolitiker. Noch in demselben Jahr wurden auch die Eugen-Geck-Straße, die Albert-Braun-Straße und die August-Schwall-Straße umbenannt. Im Jahr 1935 folgte die bereits einmal 1914 angeregte Umbenennung des Engländerplatzes in Skagarrakplatz. Am 10. Dezember 1935 erhielt der Mendelssohnplatz einen neuen Namen und hieß nun Rüppurrer Torplatz. Der Festplatz schließlich wurde 1937 zum Platz der SA. Bestehen blieb 1933 allein die 1929 nach der Zentrumspolitikerin Maria Matheis benannte Straße, die als eine der ersten Frauen 1919 dem Karlsruher Stadtrat angehörte und der als erst zweiter nichtadeliger Frau die Ehrung durch eine Straßenbenennung zuteilgeworden war.

Nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges wurden nur noch wenige neue Straßennamen vergeben. Erst nach dem Tod des Reichsministers Fritz Todt und des SS-Obergruppenführer Reinhard Heydrich durften ausnahmsweise auch während des Krieges Straßen und Plätze benannt werden, so dass am 23. Dezember 1942 die Ettlinger Straße Todts Namen, die Westendstraße den Heydrichs erhielten.

Die letzte Straßenbenennung vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde am 25. Januar 1945 vorgenommen, da in Hagsfeld an einem noch nicht benannten Weg Behelfsheime entstanden waren. Die Willy-Dreyer-Straße sollte an einen Ruhrkämpfer erinnern, der 1923 wegen Sabotageakten gegen die französischen Besatzungstruppen deportiert worden war und auf der Gefängnisinsel St. Ré gestorben war. Was 1718 mit der Benennung nach adeligen Herren der badischen Markgrafschaft begonnen hatte, endete 1945 mit einem "nationalen" Helden.

Unmittelbar nach Kriegsende ordneten die Besatzungsmächte neben der Entfernung nationalsozialistischer Denkmale und Symbole auch die Umbenennung der von den Nationalsozialisten benannten bzw. umbenannten Straßen an. Zusätzlich wurden 1946 noch Straßen umbenannt, die mit dem Ersten Weltkrieg zusammenhingen, wie im Adressbuch von 1947 nachzulesen ist. Deutlicher als in den Umbruchzeiten nach 1918, 1933 und 1945 kann die enge Verbindung der Straßennamensgebung mit dem jeweiligen Umfeld nicht belegt werden.

Dr. Ernst Otto Bräunche, Herausgeber/Redaktion "Blick in die Geschichte"

Kartografie: Ingrid Bouché

Eingezeichnet in den historischen Stadtplan sind die aktuellen Straßennamen und von 1 - 10 die historischen Benennungen: 1 Plantaische Gasse (1720), 2 Draisische Gasse (1720), 3 Alte-Dresen- (Draisen-) Gasse (1718), Graf-Leiningsche Gasse (1720), 4 Güntzerische Gasse (1718), Markgraf-Christoph-Gasse (1720), 5 Carlsgasse (1718), 6 Frinz-Friedrich-Gasse (1720), 7 Löwencrantzische Gasse (1718), Rothbergische Gasse (1725), 8 Plant(a)ische Gasse (1718) Uexküllsche Gasse, 9 Jung-Dresen- (Draisen-) Gasse (1718), 10 Mühlburger Allee (1720), später Lange Straße.

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