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Blick in die Geschichte Nr. 135

vom 17. Juni 2022

"Was einer alleine nicht vermag, das vermögen viele"

Zur Geschichte des Lebensbedürfnisvereins Karlsruhe

von Eric Wychlacz

Mehl, Öl, Fleisch und Kohlen - ein Ankauf von Waren des alltäglichen Bedarfs zu erschwinglichen Preisen und die zusätzliche Erzielung kleiner Ersparnisse: das waren zwei Gründe, warum sich Konsumenten nach englischem Vorbild seit dem Jahr 1850, verstärkt jedoch in den 1860er-Jahren im Deutschen Bund unter dem Motto eines der Gründers der deutschen Genossenschaftsbewegung Friedrich Wilhelm Raiffeisen "Was einer alleine nicht vermag, das vermögen viele" zu Konsumvereinen und -genossenschaften zusammenschlossen.

Die Gründung

So traten am 26. Mai 1865 rund 200 Bürger aller Berufsstände auf der konstituierenden Sitzung dem Lebensbedürfnisverein Karlsruhe bei. Die Mitgliederzahlen stagnierten in den ersten Jahren zwischen 500 und 1.000, um dann bis 1925 auf mehr als 20.000 Personen anzuwachsen. Zu Anfang handelte es sich um einen sogenannten Markenverein. Dabei standen auf der einen Seite Kleinhändler, die nach Vertragsabschluss mit dem Verein dessen Mitgliedern Rabatte auf bestimmte Waren gewährten, und auf der anderen Seite die Mitglieder, welche vom Rechner des Vereins ausgegebene Marken in verschiedenen Stückelungen als Zahlungsmittel bei den Lieferanten nutzten. Die Händler erhielten für die Marken bares Geld, jedoch abzüglich der ausgehandelten meist 5- bis 10-prozentigen Rabatte.

Vom Markenverein sollte jedoch rasch zu einem Selbstbetrieb mit eigener Produktion und Verkaufsstellen übergegangen werden. Der erste Laden wurde im Sommer 1868 im Gebäude Innerer Zirkel 20 eingerichtet. Nachdem die Brotlieferanten Verträge aufkündigten, sollte eine Bäckerei errichtet werden, um "wohlfeileres Brod" anbieten zu können. Das scheiterte zunächst daran, dass der Verein weder Liegenschaften erwerben noch Verbindlichkeiten eingehen konnte. Auch die deshalb geplante Gründung einer Aktiengesellschaft gelang nicht. Doch mit der Eintragung des Vereins in das Genossenschaftsregister als "Lebensbedürfnisverein Karlsruhe, eingetragene Genossenschaft" am 19. Oktober 1872 war ein Meilenstein erreicht, der endlich zur Erlangung der Rechtsfähigkeit und neben der bestehenden Notwendigkeit zur Bildung eines Aufsichtsrates auch die Wahl eines geschäftsführenden Vorstandes vorschrieb.

Dieser beschloss 1873 den Ankauf des Hauses Zähringerstraße 45 (damals: Zähringerstraße 49), in dem die Verwaltung, das Hauptmagazin, ein Ladengeschäft sowie eine Bäckerei untergebracht wurden. Als Erweiterung diente 1891 der Erwerb des Nachbargebäudes Zähringerstraße 47. Dessen Hof bot genügend Platz zur Aufstellung eines Backhauses, mehrerer Backöfen und eines Mehllagers.

Im Verlaufe seiner Geschichte war der Lebensbedürfnisverein wie viele Konsumgenossenschaften andernorts häufig Anschuldigungen und Agitationen von Mittelstandsvereinigungen ausgesetzt, die behaupteten, Genossenschaften zerstörten durch ihre Konkurrenz die Existenzgrundlage von Handelsleuten. Außerdem führten Geschäftsleute ins Feld, das Warensortiment umfasse sämtliche Lebensbereiche und nicht nur Lebensmittel des allernötigsten täglichen Bedarfs, welche auch an Nichtmitglieder ausgegeben werden würden. Daraus leiteten sie die Forderung einer gleichen Besteuerung wie beim gewinnorientierten Handel ab. Bereits im Jahr 1881 erhielt der Stadtrat eine von 108 Gewerbetreibenden unterschriebene Bittschrift, Konsumvereine zur Erwerbsteuer heranzuziehen, die sowohl vom Stadt- als auch vom Schatzungsrat Karlsruhes unterstützt wurde. Das zuständige Großherzogliche Finanzministerium betrachtete jedoch den Lebensbedürfnisverein nicht als Gewerbebetrieb, woraufhin die Gemeindeverwaltung auf eine Gesetzesänderung hinzuwirken suchte.

In einem "Notschrei gegen den Lebensbedürfnisverein!" bat der Kaufmännische Verein Merkur 1892 die Karlsruher Beamtenschaft, die damals einen großen Teil der Mitgliederschaft von 4.000 Personen stellte, der Genossenschaft den Rücken zu kehren. Der Mittelstandsverein monierte außerdem, die Gewährung hoher Rabatte sei nur über Qualitätseinbußen möglich und forderte zum Boykott der Lieferanten auf, deren Namen am Ende des Schreibens aufgelistet wurden. Konsumvereine seien "eine sozialistische Einrichtung und im Sozialismus [liegt] die größte Gefahr". Über den lokalen Zeitungen beigelegte Flugblätter lieferte sich der Lebensbedürfnisverein 1894 einen Schlagabtausch mit dem Verein zur Wahrung der Interessen von Handel, Industrie und Gewerbe. Vertreter des Handels und Gewerbes schreiben aber auch anonyme Leserbriefe, in denen sie beispielsweise die "polypenhafte Ausbreitung" des Vereins beklagten. Die Beschuldigungen trugen Früchte: Das neue Genossenschaftsgesetz, nach welchem der Verein zum 1. Mai 1889 in eine Genossenschaft mit beschränkter Haftung umgewandelt wurde, verbot zugleich auch den Verkauf an Nichtmitglieder. Kurz darauf führten Gesetzesnovellierungen zur Heranziehung von Einkommens- und Gewerbesteuer in fast vollständigem Maße.

Das neue Areal in der Südweststadt

Mit dem Anstieg der Mitgliederzahlen und Verkaufsstellen, welche im Jahr 1900 insgesamt 16 Ladengeschäfte umfasste, wuchsen auch die Anforderungen an den Geschäftsbetrieb. Daraufhin beschloss die Generalversammlung 1905 den Ankauf eines 7.604 qm großen Grundstücks zwischen der Putlitz- und Roonstraße. Zunächst ließ der Lebensbedürfnisverein durch die Architekten Curjel & Moser bis 1907 eine Bäckerei auf dem mittels einer Hypothek und der Ausgabe von Anteilscheinen finanzierten Gelände errichten.

Werbeplakat des Lebensbedürfnisvereins um 1910; die Auszahlung einer Rückvergütung war ein zusätzlicher Anreiz, Mitglied in der Genossenschaft zu werden

Den Bau der beiden dreistöckigen Verwaltungs- und Magazingebäude in den Jahren 1911 bis 1913 konnte die Genossenschaft schließlich vollständig über Anteilscheine begleichen. Die Verantwortung für die Neubauten legte der Verein nun in die Hände des Architekten Bernhard Koßmann, welcher zugleich auch Mitglied des Aufsichtsrates war. Im Kellerbereich des Magazins befanden sich Lager für Käse und Spirituosen sowie das "wegen der Güte und Reinheit seiner Weine weitbekannte" Weinlager mit 436 Fässern. Das Erdgeschoss enthielt neben diversen Warenlagern auch einen Raum für Schuhe, im 1. Obergeschoss wurden Tabak, Zigarren und Teigwaren aufbewahrt, das 2. Obergeschoss beherbergte eine Rösterei. Der gegen die Putlitzstraße gerichtete und architektonisch am benachbarten Bäckereigebäude orientierte Querbau des Magazins erhielt außerdem einen Dachstock mit Satteldach, in welchem sich ein Trockenspeicher befand.

Hofansicht des Magazingebäudes (links) und der Bäckerei (rechts) des Lebensbedürfnisvereins um 1925

Die bis 1925 bestehende Hofeinfahrt zwischen den beiden Dienstbauten an der Putlitzstraße überspannte ein Glasdach, während ein runder Eckturm an einem Verbindungsbauteil zum weiter südlich gelegenen Verwaltungsgebäude den Abschluss des Magazins gegen die Roonstraße bildete.

Noch vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges, der personell, organisatorisch und schließlich durch Luftangriffe auch materiell den Verein in schwieriges Fahrwasser brachte, verkaufte die Genossenschaft ihre Anwesen in der Zähringerstraße. Trotz aller Widrigkeiten gelang es, die Arbeit fortzusetzen. Aufgrund des akuten Mangels an Personal und Fuhrwerken wurde 1917 ein Gleisanschluss vom 1896 eingerichteten und 3.000 Quadratmeter großen Lager im Westbahnhof zur Firmenzentrale realisiert.

Nach dem Krieg setzte ein großer Aufschwung ein: Die Zahl der Filialen stieg von 30 Verkaufsstellen 1914 bis auf 55 im Jahr 1931.

Straßenansicht einer durch die Gemeinnützige Baugenossenschaft Hardtwaldsiedlung in der Knielinger Allee 4 eingerichteten Warenabgabestelle für den Lebensbedürfnisverein um 1930

Nach Beendigung des Aufnahmestopps neuer Mitglieder während des Krieges im Jahr 1919 konnte sich der Lebensbedürfnisverein über 2.500 neue Genossenschafter freuen. Außerdem erwarb er mehrere Liegenschaften in der Stadt, um den Bestand an Verkaufsstellen zu halten. 1921 expandierte der Verein mit der Übernahme des Ettlinger Konsumvereins. Im Zuge der nationalsozialistischen Gleichschaltungspolitik ging der Lebensbedürfnisverein zunächst im Reichsbund der deutschen Verbrauchergenossenschaften auf und wurde schließlich 1942 in das Gemeinschaftswerk der Deutschen Arbeitsfront überführt.

Mit Werbetransparenten ausgestattete LKWs im Hof des Lebensbedürfnisvereins um 1925

Zusammenschlüsse und Ende der Karlsruher Konsumgenossenschaft

Im Jahr 1947 kam es zu einer Neugründung unter dem Namen Konsumgenossenschaft Karlsruhe eGmbH und der Rückübertragung des Vermögens aus dem Gemeinschaftswerk. Zum Einflussgebiet gehörte nun auch Durlach. Generell war das Genossenschaftswesen in den Nachkriegsjahren von drei Entwicklungen geprägt: einerseits führten Fusionen einzelner Genossenschaften aufgrund eines starken Wettbewerbsdrucks zu immer größeren Verbänden, andererseits war ein steter Vormarsch von Selbstbedienungsläden zu beobachten und zuletzt kam es zu einer Angleichung von Kernelementen der Genossenschaft an den freien Einzelhandel, indem zum Beispiel die Auszahlung der Rückvergütung gesetzlich auf drei Prozent begrenzt wurde. Dies führte dazu, dass Dividenden nicht mehr in voller Höhe an die Mitglieder ausgeschüttet werden konnten.

In Karlsruhe ließ die Übernahme der Konsumgenossenschaft Bretten-Bruchsal-Mühlacker im Oktober 1963 die Mitgliederzahlen in die Höhe schießen. Die Zentrale kam an ihre Kapazitätsgrenzen, die 124 Geschäftsstellen und knapp 44.000 Mitglieder zu versorgen. Vier Jahre darauf erfolgte die Übernahme der Konsumgenossenschaften Baden-Baden und weitere Fusionen standen zur Diskussion. Deshalb bat der Vorstand ab Mitte der 1960er-Jahre die Stadt um Hilfe bei der Suche nach einem größeren Firmengelände, welches in einem Umfang zwischen 60.000 und 80.000 qm in etwa das 10-fache der Fläche des vorhandenen Areals umfassen sollte. Obwohl die Stadt mehrere Angebote vorlegte, wurde das Ansinnen nicht weiter verfolgt. Grund hierfür waren die seit Anfang der 1970er-Jahre erfolgten weiteren organisatorische Umstrukturierungen.

Angesichts des anhaltenden Wettbewerbsdrucks führte die Konsumgenossenschaft wie viele andere westdeutsche Genossenschaften die Marke co op ein. Im Jahr 1974 verabschiedete sich die co op Karlsruhe Konsumgenossenschaft eGmbH vom genossenschaftlichen Grundsatz der Rückvergütung und gab die hauseigene Bäckerei auf. Ein Jahr später sollte es mit dem Zusammenschluss der Karlsruher und Saarbrücker Konsumgenossenschaften unter dem Namen Südwestdeutsche Verbrauchergenossenschaft eG zu einer weiteren Fusion kommen. Sie bildete den letzten Schritt hin zur Integration in die ASKO AG Saarbrücken, einer Holdinggesellschaft verschiedener Firmen, Supermärkte sowie Kauf- und Warenhäuser im Saarland, die als erste deutsche Konsumgenossenschaft den Wandel der Rechtsform zu einer Aktiengesellschaft im Jahr 1972 vollzog. Mit dem Abschluss dieses Prozesses im April 1975 endet die Geschichte der eigenständigen Karlsruher Konsumgenossenschaft. Seit 1977 fanden Diskussionen über den Verkauf der Gebäude und die weitere städtebauliche Nutzung des Firmenareals zu Wohnzwecken statt. Magazin und Verwaltungsgebäude wurden in den 1980er-Jahren größtenteils abgerissen.

Eric Wychlacz M. A., Historiker, Stadtarchiv Karlsruhe

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