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Blick in die Geschichte Nr. 136

vom 16. September 2022

Kinder, Küche, Haushalt ???

Die Neue Frauenbewegung in Karlsruhe

von Katrin Dort

„Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ – dieser Satz, den die sozialdemokratische Abgeordnete Elisabeth Selbert gegen große Widerstände 1949 bei der Ausarbeitung des Grundgesetzes durchsetzte, legte erstmals die volle Gleichberechtigung von Männern und Frauen verfassungsrechtlich fest. Die Umsetzung dieses Grundsatzes gestaltete sich in der Praxis jedoch schwierig: Insbesondere im Familienrecht galten noch dem widersprechende ältere Gesetze, und traditionelle Rollenbilder wie das des berufstätigen Mannes und der für Haushalt und Kinder zuständigen Frau waren in der Gesellschaft der 1950er und 1960er Jahre noch fest verankert.

Im Nachgang der 68er-Bewegung entstanden viele Initiativen von Frauen, die sich mit der ihnen zugeschriebenen Rolle nicht mehr abfinden wollten. Auch in Karlsruhe engagierten sich zahlreiche Akteurinnen auf vielfältige Weise und in vielen unterschiedlichen Bereichen. So wurden sie etwa publizistisch tätig, initiierten frauenspezifische Kulturveranstaltungen und thematisierten die häufige Gewalt gegen Frauen.

Sie kämpften für sich – und alle Frauen – gegen rechtliche Einschränkungen, strukturelle Benachteiligung, alltägliche Diskriminierung und für ein selbstbestimmtes Leben sowie die Anerkennung ihrer Leistungen, Sichtweisen und Bedürfnisse. Ihnen ging es um nicht weniger als ein grundsätzliches Umdenken im Verhältnis der Geschlechter und um eine neue Gestaltung des gesellschaftlichen Zusammenlebens. 

Die Vielzahl der Forderungen, Aktivitäten und Organisationsformen werden in Abgrenzung zu früheren Ansätzen, mehr Rechte für Frauen zu erstreiten, unter dem „Neue Frauenbewegung“ zusammengefasst. Zwei besonders wichtige Themen der Frauenbewegung von den 1970er bis in die 1990er Jahre sollen am Beispiel Karlsruhe dargestellt werden.

Demonstration von Frauengruppen verschiedener süddeutscher Städte gegen das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Reform des § 218 StGB, 1975

Die Abschaffung des § 218 StGB

Seit Anfang der 1970er Jahre protestierten Frauen dagegen, dass sie von einer – zu diesem Zeitpunkt hauptsächlich aus Männern bestehenden – Ärzte- und Richterschaft zu einer ungewollten Schwangerschaft gezwungen wurden. Sie forderten die Selbstbestimmung der Frau über ihren Körper. Auch in Karlsruhe fanden Kundgebungen und Demonstrationen statt, an denen sich zahlreiche Frauenorganisationen, Initiativen und Einzelpersonen beteiligten. Durch den Sitz des Bundesverfassungsgerichts, das 1975 und 1993 Urteile zur Reform des § 218 StGB erließ, war die Stadt auch immer wieder Schauplatz überregionaler Aktionen.

Nach einer Klage der CDU/CSU gegen eine von der sozialliberalen Koalition initiierte Reformierung des § 218 StGB trat 1976 das von den konservativen Parteien favorisierte Indikationenmodell in Kraft. Diesem zufolge sollte eine Abtreibung nur dann straffrei bleiben, wenn ein triftiger Grund – eine Indikation – für die Notwendigkeit des Schwangerschaftsabbruchs vorlag. Das Vorliegen einer Indikation musste von einem Arzt bestätigt werden, und eine Beratung durch eine anerkannte Stelle war verpflichtend.

Die von einer ungewollten Schwangerschaft betroffenen Frauen befanden sich in Karlsruhe in einer sehr schwierigen Situation. Zum einen gab es nur wenige zertifizierten Beratungsstellen, darunter als wichtiger Anlaufpunkt die konfessionell und parteipolitisch unabhängige Einrichtung pro familia. Zum anderen war es selbst für Frauen mit bescheinigter Indikation schwierig, fristgerecht einen Krankenhaustermin für den Eingriff zu erhalten. 

Noch dazu war der langjährige Leiter der entsprechenden Abteilung des Städtischen Klinikums ein erklärter Abtreibungsgegner. Immer wieder gab es Berichte darüber, dass er die Soziale Indikation, also die Bescheinigung einer schweren Notlage, nicht anerkannte und das Städtische Klinikum daher abtreibungswillige Frauen abwies. Der 1976 im Gemeinderat mit der Forderung nach einer Unterstützung für die betroffenen Frauen konfrontierte Oberbürgermeister Otto Dullenkopf schmetterte diese mit dem Hinweis ab, dass es kein „Recht auf Abtreibung“ gebe und er dem Chefarzt keine Vorschriften machen werde.

Die Terminschwierigkeiten verschärften sich, als das baden-württembergischen Sozialministerium 1983 niedergelassenen Gynäkologen untersagte, Abtreibungen ambulant in ihrer Praxis durchzuführen. Auf zunehmenden öffentlichen Druck hin, bemühten sich die Verantwortlichen in Karlsruhe um eine Lösung, die die Vorgaben des Sozialministeriums in gewisser Weise unterlief: Vertragsärzte durften die Räume des Städtischen Klinikums nutzen, um den Eingriff ambulant durchzuführen. Diese Regelung wurde in Karlsruhe angewandt, bis mit der erneuten Reform des § 218 StGB im Jahr 1993 ambulante Schwangerschaftsabbrüche in Arztpraxen wieder erlaubt wurden.

Plakat mit der Forderung nach Einsetzung einer Frauenbeauftragten in der Stadtverwaltung durch die Frauenorganisationen aller Gemeinderatsfraktionen

Die Einsetzung von Frauenbeauftragten

Frauenbeauftragten sollten die Ungleichheiten im Geschlechterverhältnis aufdecken und Maßnahmen zu deren Überwindung entwickeln. In Karlsruhe wurde 1985 auf Druck verschiedener Frauenorganisationen sowie der Mehrzahl der Gemeinderätinnen zum ersten Mal eine Stelle für eine Frauenbeauftragte in der Stadtverwaltung ausgeschrieben. Die Position erhielt durch die Angliederung an das Rechtsreferat der Stadt ein gewisses Gewicht. Erste Amtsinhaberin wurde 1986 Theresia Riedmaier 

Zu ihren ersten Initiativen gehörten die Entwicklung eines Frauenförderplans innerhalb der Stadtverwaltung, die Einrichtung von Frauenparkplätzen zur Erhöhung der Sicherheit von Frauen in Parkhäusern sowie die Untersuchung von Rollenklischees in Kinderbüchern. Weiter initiierte sie einen Bericht zur Gewalt gegen Frauen und setzte sich für die Einrichtung der Beratungsstelle Wildwasser ein. Nach drei Jahren entschied sich Theresia Riedmaier, das Amt der Frauenbeauftragten in Karlsruhe aufzugeben und in die Politik zu gehen . In einem Interview begründete sie ihre Entscheidung damit, dass sie ihre Arbeitsbedingungen in der Karlsruher Verwaltung zunehmend pessimistisch einschätze. Sie sei in der Verwaltung oft blockiert oder nicht eingebunden worden.

Ihre Nachfolgerin Annette Niesyto führte in ihrer mehr als 25jährigen Amtszeit die von Riedmaier begonnenen Projekte fort und stieß zahlreiche weitere Entwicklungen an, genannt seien hier nur der Einsatz für Frauenförderung und Chancengleichheit in der Stadtverwaltung, Hilfsangebote für von Gewalt betroffene Frauen sowie zur Prävention wie etwa das Projekt „Häusliche Gewalt überwinden“, die Einrichtung der Kontaktstelle Frau und Beruf, die Gründerinneninitiative „Ein Palast für Frauen“, das Aktionsbündnis für Frauen mit und ohne Handicap oder Initiativen zur Berücksichtigung von Fraueninteressen in der Stadtplanung. 

Seit 2011 war Niesyto außerdem nicht mehr Frauenbeauftragte, sondern Gleichstellungsbeauftragte, womit ihr die Koordination der Gleichstellungsstrategie der Stadt Karlsruhe (Gender Mainstreaming) übertragen wurde. Sie war somit nicht mehr ausschließlich für Fraueninteressen zuständig, sondern sollte sich auch für benachteiligte Männer einsetzen, beispielsweise wenn diese bei Wünschen nach Elternzeit oder Teilzeitarbeit eine ungleiche Behandlung erfuhren.

Trotz aller Widrigkeiten bei der Einrichtung der Stelle und in der täglichen Arbeit ist die Position der Gleichstellungsbeauftragten in der Stadt heute fest etabliert und anerkannt und trägt dazu bei, Ungleichheiten zwischen Frau und Mann abzubauen.

Obwohl die rechtliche Gleichstellung von Mann und Frau seit Jahrzehnten erreicht ist, besteht in der praktischen Umsetzung weiterhin viel Handlungsbedarf. Strukturelle Benachteiligungen lassen sich nur schwierig und langsam abbauen, tradierte Rollenbilder und Vorurteile halten sich zäh. Doch über diese Problematiken wird heute öffentlich gesprochen und gestritten; viele seit den 1970er Jahren aus der Neuen Frauenbewegung heraus entstandene Ideen und Forderungen wirken weiter. Die Neue Frauenbewegung hat auch in Karlsruhe vieles angestoßen, was heute institutionalisiert ist und die Entwicklung der städtischen Lebenswelten und des gesellschaftlichen Bewusstseins in den letzten Jahrzehnten entscheidend mitgeprägt hat.

Dr. Katrin Dort, Leiterin von Stadtarchiv und Historische Museen Karlsruhe

Ausführlich zum Thema informiert der Beitrag von Katrin Dort und Vanessa Hilss: "Männer und Frauen sind gleichberechtigt…? – Die Neue Frauenbewegung in Karlsruhe", in: Manfred Koch (Hrsg.): "Bewegte Zeiten". Beiträge zur Karlsruher Stadtgeschichte, Ubstadt-Weiher u.a. 2022, S. 163-186 (=Forschungen und Quellen zur Stadtgeschichte. Schriftenreihe des Stadtarchivs Karlsruhe, Band 21).

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