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Blick in die Geschichte Nr. 136

vom 16. September 2022

Ein landwirtschaftliches Gut mit Geschichte(n)

Der Rittnerthof auf dem Turmberg

von Manfred Koch

 

Im 18. Jahrhundert gingen auch die Durlacher daran, aus bisher ungenutzten Flächen der Gemarkung durch Rodung und Trockenlegung Acker- und Weideland zu gewinnen. Dabei entstanden auf den südöstlich gelegen Höhen drei landwirtschaftliche Höfe. Seit 1710 der Thomashof mit knapp 4 ha der kleinste, den der Taglöhner Thomas Dörner schuf. 1918 wurden diese Ackerflächen an den heute noch bestehenden Lamprechtshof verkauft. Diesen hatte der vormalige Kronenwirt und spätere Durlacher Bürgermeister Friedrich Lamprecht 1739 auf etwa 47 ha erworbenem Land angelegt. Auch der dritte, der Rittnerthof besteht bis heute, hat aber die in den fast 250 Jahren seines Bestehens wechselvollste Geschichte.

Gründung durch Markgräfin Karoline Luise

Zu den unterschiedlichen wirtschaftlichen Investitionen der Markgräfin gehörte 1777 auch der Kauf eines „Caduc-Guth am Rittnertwald“ von Amt und Stadt Durlach mit 58 ha Land. Schon im Jahr zuvor hatte sie in einem Brief von einer Kutschfahrt dorthin und ihrer Absicht berichtet, dort bauen zu lassen. Wo zuvor von sechs Beschäftigten hauptsächlich Obst angebaut worden war, standen laut Brandschutzversicherung von 1782 und 1791 schon die Gebäude in dem bis heute charakteristischen Geviert des Hofes. Unter anderem ein einstöckiges Wohnhaus, zwei Remisen und zwei Schweineställe, zwei große Stallungen. Nach dem Tod der Markgräfin 1783 erbten ihre beiden Söhne Friedrich und Ludwig den Rittnerthof, den sie 1796 mit Genehmigung des Markgrafen an einen Privatmann verkaufen durften. In den 1850er-Jahren ging der Hof mit 81 ha Land wieder in das Eigentum des Landesfürsten über und wurde Domänengut. Diesen vernachlässigten Hof pachtete 1864 der aus Ehrstadt, Amt Sinsheim, stammende Bauer Abraham Sauder mit seiner Frau und zehn zum Teil bereits erwachsenen Kindern. Sauder wirtschaftete trotz der nicht so fruchtbaren Böden und der Notwendigkeit, das benötigte Wasser mit Pferdefuhrwerken heranzuschaffen, so erfolgreich, dass er den Hof 1878 erwerben konnte. Da er noch im selben Jahr verstarb, führte seine Witwe mit den Söhnen den Hof bis zu ihrem Tod 1890 weiter. 1892 musste der Hof dann wegen der Erbansprüche der vielen Geschwister an Daniel Musselmann verkauft werden.

Neuanfang durch Eduard Merton 1902 

Der nächste Besitzer war der aus einer wohlhabenden jüdischen Frankfurter Unternehmerfamilie stammende Eduard Merton. Er erwarb im Alter von 26 Jahren 1902 den Rittnerthof. Dank seines Vermögens konnte er sofort mit umfangreichen Baumaßnahmen beginnen. Er ließ zuerst eine Wasserleitung zum Hof verlegen und dort mehrere neu Gebäude errichten. So entstanden rechter Hand ein neuer großer Pferdestall mit Hochscheuer und einem Querbau entlang der Straße, links neben der Hofeinfahrt ein Gesindehaus und hinter der alten Scheuer ein Schweinestall. In einem etwa 6 ha großen, teilweisen bewaldeten, Areal, das westlich an den Hof angrenzte, ließ er für seine Familie eine Villa, zudem ein Kutscher- und ein Gärtnerhaus errichten. Als Architekten hatte er das für seine Jugendstilarchitektur bekannte und renommierten Karlsruher Büro Curjel & Moser gewonnen. Merton, der sich evangelisch hatte taufen lassen, heiratete 1905 in Freiburg Elisabeth Schilling von Canstatt. Er wurde Vorstand des Landwirtschaftlichen Vereins und Aufsichtsrat der Turmbergbahn, zudem galt er in Durlach als großzügiger Spender. 

Eduard Merton ließ sich vom renommierten Karlsruher Architekturbüro Curjel & Moser 1902 diese Jugendstilvilla bauen, Foto 1906

Meron hatte den großen Pferdestall bauen lassen, da er neben der landwirtschaftlichen Produktion mit seinem Gutsverwalter Adolf Musselmann, dem Sohn des Vorbesitzers, eine Pferdezucht beginnen wollte. Diese musste er allerdings mit Beginn des Ersten Weltkriegs 1914 wieder aufgeben und setzte deshalb auf die Milchproduktion. Merton war nach großen Vermögensverlusten durch die Inflation 1922/23 nun auf den Verdienst aus der Landwirtschaft angewiesen. Angebaut wurden auf etwa 125 ha Getreide sowie Hackfrüchte und etwa 100 ha dienten als Wiesen und Weiden. Der Tierbestand umfasste 13 Pferde, 60 Rinder und 30 Schweine. 1926 richtete Mertons Tochter rechts neben dem Hof eine Geflügelfarm ein, die mit ihren 1.400 Legehennen als Zuchtbetrieb anerkannt wurde. Da die Ertragslage des Hofs Ende der 1920er Jahre immer schlechter wurde, entschloss sich Merton im Juni 1933 den Hof zu verkaufen. Kurz zuvor hatten Durlacher Nazis den Verkaufsstand des Hofs auf dem Durlacher Marktplatz attackiert. Er lebte danach bis zu seinem Tod in einem Esslinger Krankenhaus im September 1939 in der Karlsruher Händelstraße 17.

Der letzte Besitzerwechsel

Neuer Besitzer des Rittnerthofs wurde Fritz Gebhard. Er begann ohne Abitur zu studieren, wurde im Ersten Weltkrieg Pilot bei der Luftwaffe und später ohne Diplom als Volkswirt promoviert. Seine Karriere in Industrieunternehmen führte ihn1927 zum Vorsitz im Vorstand des Maschinenbauunternehmens Henschel AG in Kassel. Da er seit 1917 mit der zum Protestantismus konvertierten Jüdin Thea Frank verheiratet war, musste er wegen der nationalsozialistischen Rassenideologie die Firma - versehen mit einer großzügigen Abfindung - verlassen. Das ermöglichte ihm den Kauf des Hofs und er bezog mit Frau und seinen beiden Töchtern die Jugendstilvilla. Als Verwalter stellte er Kurt Hansch ein, der auf einer anthroposophisch geführten Domäne in Schlesien Landwirt gelernt hatte. Gebhardt bereiste 1934/35 auf der Suche nach einer Existenz als Unternehmer außerhalb Deutschlands mehrfach die USA. Dabei begann er eine Beziehung zu einer jüngeren Frau. Als er seiner Geliebten nach einem Jahr eröffnete, sie nicht heiraten zu wollen, hat sie ihn im November 1935 in New York mit seinem Revolver erschossen. 

Auf dem Rittnerthof waren sich derweil seine Tochter Hannelore und der Verwalter Kurt Hansch nähergekommen. Ihre Hochzeit 1938 konnten sie aber nicht zuhause in der Stadtkirche Durlach und auf dem Hof groß feiern. Da die Nazis die Schließung sogenannter Mischehen verboten hatten, reisten sie zur Trauung nach England. Zurück in Deutschland genoss Hannelore den Schutz einer „privilegierten Ehe“, den ihre Mutter mit dem Tod ihres Mannes verloren hatte. Deshalb überschrieb sie 1939 kurz vor ihrer Emigration in die Schweiz den Hof ihrem Schwiegersohn und rettete ihn so als Familienbesitz vor der „Arisierung“ durch die Nazis. Bis heute ist die Erbengemeinschaft Gebhardt Eigentümerin des Rittnerthofs.

Kurt Hansch führte den Betrieb in dem Umfang der Landwirtschaft und Viehhaltung weiter, wie ihn Merton und sein Verwalter entwickelt hatten. So wurden täglich 600 bis 700 Liter Milch und etwa 500 Eier auf dem Hof erzeugt und an die Abnehmer ausgeliefert. Auf dem Hof gab es eine Schmiede, eine Gärtnerei, eine Milchzentrifuge, ein Backstube, eine Räucher- und eine Eierkammer, eine Mostpresse, eine Waschküche sowie für die 30 Beschäftigten eine Hofküche. Unter der von Merton gepflanzten Linde im Hof verkauften die Kinder am Wochenende an Wanderer und Spaziergänger „gekühlte Rohmilch, Eier und Imbiss Brote“.  
Der Rittnerthof wurde ab 1942 nach dem Beginn der Deportation von Juden in die Vernichtungslager mehrfach für jeweils zwei bis drei Wochen auch zum Versteck für zwei bedrohte Jüdinnen. Hannelores unverheiratete Schwester wurde als landwirtschaftliche Arbeitskraft reklamiert und so vor der Deportation bewahrt. Selbstverständlich unterstützte die Familie Hansch auch die Versorgung anderer in Gartenhütten auf dem Turmberg versteckter Juden. Hannelore Hansch, die von ihrem 1936 begonnenes Studium der evangelischen Theologie 1938 als „Halbjüdin“ ausgeschlossen wurde, gehörte der in Opposition zum Nazi-Regime stehenden Bekennenden Kirche an.

Vom landwirtschaftlichen Gut zum Reiterhof

Nach dem Ende des Krieges führte das Ehepaar Hansch den Hof zunächst wie gewohnt weiter. In den 1950er Jahren mussten sie aber den wirtschaftlichen und technischen Entwicklungen Tribut zollen. Um die Landarbeiter vor Abwanderung in die Industrie abzuhalten, mussten höhere Löhne bezahlt werden, und die Mechanisierung erforderte höhere Investitionen. So entschloss sich die Familie 1950, die Villa zu vermieten und selbst in das dafür aufgestockte Gutshaus umzuziehen. Nachdem bis Ende der 1950er Jahre die Haltung von Milchkühe ganz aufgegeben war, verpachteten die Besitzer den Hof komplett mit 70 ha Nutzfläche. Die Familie Hansch zog erneut um in ein anstelle des ehemaligen Gärtnerhauses im Bauhausstil errichtetes Gebäude.

Die Luftaufnahme des Rittnerthofs von 1958 zeigt die Hofanlage und rechts davon die Hühnerfarm. Rechts am oberen Bildrand ist das Dach der Villa Merton erkennbar, das Haus links ist das Gärtnerhaus

Der 24-jährige Pächter Manfred Bitterich hatte sich auf Gütern der Südzucker AG die nötige Kenntnis für den Ackerbau angeeignet. Er bezog im Juli 1961 das Gutshaus, pachtete weitere 60 ha dazu, beendete bald auch die Haltung von Hühnern und Schweinen und konzentrierte sich erfolgreich auf den Anbau von Zuckerrüben, Getreide und Winterweizen als Saatgut. 20 bis 30 Eisenbahnwaggons mit Zuckerrüben verließen zur Erntezeit jährlich den Bahnhof Durlach zur Zuckerfabrik in Waghäusel. Ende 1991 konnte der Pachtvertrag mit Bitterich nicht verlängert werden. Neuer Pächter wurde Helmuth Ristow, der Inhaber einer Firma für Alarmanlagen in Durlach, die er 1993 an einen Schweizer Konzern verkaufte. Ristow funktionierte mit seiner Frau den Rittnerthof zu einem Reiterhof mit Pensionstierhaltung um. Dazu ließ er anstelle der alten Feldscheuer links neben den Hofgebäuden eine große Reithalle bauen. Mit Bitterich einigte sich Ristow darauf, dass dieser die Landwirtschaft weiterbetrieb. Das Ende des Rittnerthofs als landwirtschaftliches Gut kam dann 2009, als Bitterich und sein älterer Sohn die Arbeit als Landwirte beendeten. Die Anbauflächen wurden an andere Landwirte verpachtet. Der Reiterhof mit seinen 12 ha benötigten Weideflächen existiert seit 2014 mit neuem Pächter bis heute.

Neue Bewohner auf dem Hof, neue Besitzer im Rittnertpark 

Die strukturellen Änderungen des landwirtschaftlichen Betriebs änderten auch den Charakter des Hofs. Wo einst die Beschäftigten lebten, zogen nach und nach Mieter ein, die stadtfern und preisgünstig leben wollten. Freilich mussten sie in die Herrichtung von Küchen, Bädern und Toiletten investieren. Ein größeres Problem wurde erst 2004 gelöst, als die vorher jenseits der Straße in einen überwucherten Graben hangabwärts geflossenen Abwässer in eine Abwassergrube mit Dreikammersystem geleitet wurden. Diese erhielt 2012 zusätzlich eine Kleinkläranlage. Mit den neuen Bewohnern, 1985 verzeichnete das Adressbuch zehn Mieter, kam 1972 bis 2014 ein Antiquitätenhandel und 1980 bis 1991 das Angebot zum Ponyreiten für Kinder auf den Hof.

Aber nicht nur auf dem Hof selbst, sondern auch in dem von Merton geschaffenen 6 ha großen Rittnertpark gab es einschneidende Änderungen. Bis zum Tod von Hannelore Hansch 2007 blieb das 1960 neu gebaute ehemalige Gärtnerhaus im Besitz der Erbengemeinschaft Gebhardt, dann wurde es an einen Karlsruher Geschäftsmann verkauft. Die bereits 1950 vermietete Villa Merton, wo seit 1957 ein Altersheim betrieben wurde, wechselte 1970 den Besitzer, musste aber 1981 wegen Einsturzgefahr abgerissen werden. Auf den Grundmauern ließ sich der nächste Besitzer ein „Herrenhaus“ errichten. Das Kutscherhaus mit seiner exklusiven Höhenlage und sehr großem Grundstück verkaufte die Erbengemeinschaft 1969 an einen in Durlach lebenden Neureuter Unternehmer, der es im Inneren zu einer luxuriösen Villa umbauen ließ. Zudem erreichte er trotz der Lage in einem Landschaftsschutzgebiet die Genehmigung zum Bau einer Reithalle. Nach seinem überraschenden Tod wechselte das Anwesen 1971, 1982 und 1987 erneut den Besitzer: Auf einen Karlsruher Frauenarzt folgte ein ehemaliger STERN-Fotograf und -Reporter sowie der Inhaber der später berüchtigten Ettlinger Firma Flowtex. Dieser baute ohne Genehmigung eine Schwimmhalle an, ließ sich einen Hubschrauberlandeplatz genehmigen, die Reithalle 1992 zu einer Tennishalle umrüsten und erwarb Mitte der1990er Jahre das auf den Grundmauern der Villa Merton entstandene Haus als Gästehaus. Aus der ehemaligen Reithalle konnten die hier seit den 1970er Jahren untergestellten 15 Reitpferde in den neuen Reiterhof in der Nachbarschaft umziehen. 

Mehrfach rückte das Anwesen in den Fokus der Öffentlichkeit. 1972 drehte Volker Schlöndorff hier die Innenaufnahmen zu dem Film „Die Moral der Ruth Halbfass“ mit Senta Berger in der Hauptrolle. 1999 im Juli war es Schauplatz für die opulente Feier zum 50. Geburtstags des Flowtex-Unternehmers mit vielen prominenten Gästen des Landes, der Region und der Stadt. Bereits sieben Monate später am 4. Februar 2000 flog das Betrugsmodell der Firma Flowtex auf, mit dem bei den Kreditgebern ein Schaden von 2,2 Milliarden € entstanden war. Sechs Jahre stand das Anwesen dann zum Verkauf, ehe es 2006 einen neuen Besitzer fand. 2018 drehte der SWR am wieder leerstehenden Originalschauplatz Aufnahmen für den Fernsehfilm „Big Manni“ und danach kam es vor Ort zur öffentlichen Versteigerung des Villeninventars.

Dr. Manfred Koch, Redaktion/Herausgeber "Blick in die Geschichte"

Der Beitrag basiert im Wesentlichen auf der Publikation des 2017 verstorbenen Helmuth Ristow: Gut Rittnerthof. Von der markgräflichen Obstbaumkultur zum modernen Reiterhof, Books on Demand 2017.

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