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Blick in die Geschichte Nr. 139

vom 16. Juni 2023

Zeitzeuginnen und Zeitzeugen erinnern sich

Der 4. April 1945 - Das Kriegsende in Karlsruhe

von Pia Froese

 

Anfang April 1945 marschierten französische Truppen in Karlsruhe ein - dieser Punkt markierte hier das Ende des Zweiten Weltkrieges . Für viele Bewohnerinnen und Bewohner der Stadt ergab sich damit eine ganz neue Situation: Der Krieg war verloren, das nationalsozialistische Regime zusammengebrochen und die Stadt von französischen Streitkräften besetzt. Würden, wie die NS-Propaganda behauptet hatte, nun die "Terroristen de Gaulles" Rache für die Verursachung des Krieges und die Besetzung Frankreichs üben? Wie sahen die Alltagserfahrungen in Karlsruhe mit den fremden Soldaten aus? 
 

Französische Soldaten auf dem Marktplatz vor dem Ludwigsbrunnen, April 1945

Erfahrungen mit Besatzungssoldaten

Auf diese Frage können uns Zeitzeugenberichte aus den 18980er-Jahren und Akten Auskunft geben, die heute im Karlsruher Stadtarchiv aufbewahrt werden. Häufig wird von den Zeitzeugen hervorgehoben, dass die Besatzung der Stadt mehr als Belastung denn als Befreiung empfunden wurde, da die Übergriffe der Soldaten zu einer schweren Belastung der Bevölkerung führten. Viele Karlsruher begegneten dabei auch zum ersten Mal Personen, die nicht aus Europa stammten, etwa Vietnamesen und Marokkanern, obwohl während der Rheinhafenbesetzung 1923 auch schon marokkanische Soldaten eingesetzt worden waren. Diese dienten als Kolonialtruppen neben den aus Frankreich stammenden Soldaten. Die Erfahrungen mit erstgenannten sind dabei durchwachsen. Einige Zeitzeugen berichteten von positiven Erlebnissen mit ihnen, etwa die Versorgung von Zivilinternierten mit Zigaretten aus eigenen Beständen. Im Gegensatz zu den französischen Soldaten erlaubten sie auch die Interaktion zwischen den Internierten und der Zivilbevölkerung, welche diesen Lebensmittel und andere Kleinigkeiten zusteckte. Andere Zeitzeugen machten weniger positive Erfahrungen, auch wenn hier die Herkunft der Soldaten häufig mit Stereotypen verknüpft wurde, wie die Worte eines Polizisten zu seinen Kollegen zeigen: "Vergessen Sie nicht, daß uns Marokkaner gegenüberliegen, Gefangene werden da nicht gemacht.'" Er bedient dabei das Klischee der angeblichen Brutalität, die die marokkanischen Truppen auszeichnen würden. Das Bild von den Soldaten wurde dabei auch durch die nationalsozialistische Propaganda geprägt, die von angeblichen Gräueltaten der vorrückenden französischen Streitkräfte berichtet hatte. Diese würden beispielsweise deutsche Kinder inhaftieren und die Zivilbevölkerung zur "Zwangsarbeit in Negerquartieren" heranziehen.

Besonders im Gedächtnis geblieben sind dabei auch Übergriffe in Form von Vergewaltigungen und Morden. Vor allem Berichte über erstgenannte finden sich in vielen Aussagen. Dabei wird oft die Brutalität der Besatzer betont, etwa bei Massenvergewaltigungen oder bei Übergriffen gegen junge Frauen und Seniorinnen. Ein Zeitzeuge äußerte dabei sein Unverständnis über die erfolgten Vergewaltigungen, da es ja genug Frauen gegeben habe, die sich freiwillig mit den französischen Soldaten eingelassen hätten. Eine Beziehung mit einem möglichst ranghohen Besatzungssoldaten konnte Frauen in einigen Fällen tatsächlich vor weiteren (sexuellen) Übergriffen schützen. Auch auf der materiellen Ebene konnte sich so eine Beziehung lohnen: Eine Karlsruherin bekam von ihrem Liebhaber beispielsweise Zigaretten, Brot, Kaffee und ein Radio geschenkt.
 

Französische Panzer in der Kaiserstraße, April 1945

Todesfälle

Über die Ermordung eines Mannes berichteten mehrere Personen: Am Kühlen Krug wurde ein Mann, der aufgrund seiner Kleidung für einen SS-Angehörigen gehalten wurde, von den einrückenden Truppen erschossen. Auch eine Wirtin wurde ermordet, von der man sagte, dass sie französische Zwangsarbeiter schlecht behandelt habe. Doch nicht nur Zivilpersonen wurden getötet, auch einige Kriegsgefangene wurden ermordet, nachdem sie sich ergeben hatten: "Ein Unteroffizier übergab sie [zwei gefangene deutsche Soldaten] einem Soldaten, er solle sie nach unten bringen. Bald darauf hörten wir zwei Schüsse. Am Nachmittag fanden wir die beiden deutschen Soldaten durch Genickschüsse getötet am Gartenzaun zwischen Bibelheim [Thomashof] und Forsthaus am Gartenzaun liegen." In diesem Fall handelte es sich um ein Kriegsverbrechen, da Soldaten, welche sich ergeben hatten, laut der Haager Landkriegsordnung nicht durch die Personen oder Einheiten, die sie gefangen hatten, verurteilt oder bestraft werden durften. Bei diesen Übergriffen spielte das Verhalten der deutschen Soldaten während der Besatzung Frankreichs eine Rolle, etwa das Massaker von Oradour-sur-Glane. Dort ermordeten Mitglieder der 2. SS-Panzerdivision "Das Reich" am 10. Juni 1944 642 Zivilisten. Wie tief sich solche Ereignisse in das Gedächtnis einbrannten,, belegt die Antwort eines französischen Offiziers auf die Beschwerde zweier deutscher Geistlicher:: "Wer hat in Deutschland protestiert, als Deutsche sich in Frankreich wie Barbaren benahmen und als Deutsche meine eigene Frau erwürgten? Wenn Sie nicht Geistliche wären, würde ich Sie erschießen lassen."

Auch auf Gegenstände, die mit Hitler oder dem NS-Regime in Verbindung standen, reagierten die Soldaten in der Regel empfindlich: In einer Gartenlaube zerstörten sie das Mobiliar, nachdem sie ein Hitlerbild entdeckt hatten. In einer Wohnung wurden alle Scheiben zerschlagen und die Türen eingetreten, wobei insbesondere das Interieur, welches mit dem NS-Regime assoziiert wurde, etwa ein Hitlerbild, "Mein Kampf" und "Hitlerjunge Quex", Opfer der Zerstörung wurden. Zudem sei die Wohnung noch mit Fäkalien verunreinigt worden. Im Juli 1945 wurden die französischen Besatzungstruppen durch die US-amerikanischen abgelöst. Dieser Vorgang wurde von den meisten Zeitzeugen als die eigentliche Befreiung empfunden. Dabei freute man sich mehr über das Ende der französischen Besetzung als über jenes des Nationalsozialismus. Besonders die Übergriffe der französischen Soldaten wurden als belastend empfunden, aber auch die Ernährungssituation, wie ein weiterer Bericht zeigt:

"Ich habe es auch begrüsst, dass die Naziherrschaft vorbei war, aber das Ende war zu schlimm gewesen! Nazis ca. 10 - 20 %, aber das ganze Volk litt! Die sollen uns befreit haben! Da knutscht mich beständig ein Elch! Verwüstet man als Befreier so die Büros, zündet wichtige Gebäude an für seine Wochenschau und dem General Degaul [sic!] zu huldigen? Vergewaltigt überall die Frauen? Und essen [sic!] bekamen wir unter den Franzosen auch kaum etwas: 600 Kalorien. wir [sic!] sind beinahe verhungert dort. Ich war ein junges Mädchen von 20 Jahren, ca [sic!] 160 gross, ich wog bis Juni noch 36 kg. […] Als die Amis kamen im Juli, ich glaube, da fühlten wir uns richtig befreit!"


Positive Erfahrungen

Einige Zeitzeugen erinnern sich aber auch an positive Erlebnisse. Eine junge Frau bekam beispielsweise von den Soldaten ein Huhn geschenkt. Vor dem Hintergrund der zusammengebrochenen Lebensmittelversorgung während der letzten Kriegstage bedeutete das eine erfreuliche Aufwertung des Speiseplans. Entsprechend beschreibt sie das geschenkte Huhn auch als "etwas Besonderes" und "Nachkriegsfreuden". Auch eine andere Zeitzeugin wurde von einem Truppenarzt mit Lebensmitteln versorgt, etwa mit Schokolade und Rationen aus der Truppenküche. Ein Mann, der bereits während des Krieges Kontakt zu einem inhaftierten französischen Offizier hatte, wurde von diesem nach Kriegsende zum Essen eingeladen und mit neuen Ausweispapieren beschenkt. Von einem rührenden Erlebnis mit einem französischen Soldaten berichtete ein 15-jähriger Zeitzeuge, dessen Bruder durch eine Kohlenstoffmonoxidvergiftung ums Leben gekommen war: "Er kam dann rein und schaute in den Keller. So wie man sah, hatte er nicht viel Zeit gehabt. Dann hatte er meinen Bruder gesehen. Wir erzählten ihm, was passiert war und dann weiß ich nur noch, wie er zu meiner Mutter hinging, sie in den Arm nahm und sagte: ‚Madam, nicht weinen!'"

Die Eroberung Karlsruhes im Frühjahr 1945 bedeutete für die deutsche Bevölkerung das Ende der Kampfhandlungen, aber auch neue Belastungen und Erlebnisse. Einige Erfahrungen wurden in diesem Beitrag dargestellt. Sie zeigen anschaulich, dass der Krieg nicht nur für die Soldaten an den Fronten Leid verursachte, sondern auch für die Zivilbevölkerung negative Auswirkungen und traumatische Erlebnisse mit sich brachte, die lange nachwirkten.

Pia Froese, Historikerin an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf

Von der Autorin ist erschienen: "Aber das Ende war zu schlimm gewesen!" Das Ende des Zweiten Weltkrieges in Krefeld und Karlsruhe aus Zeitzeugensicht, Berlin 2022.

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