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Blick in die Geschichte Nr. 139

vom 16. Juni 2023

Staatsgäste in Karlsruhe

Der Besuch des Schahs von Persien am 11. Juni 1873

von René Gilbert

 

Im Jahr 1873 unternahm der Schah von Persien, Näser ad-Din Schäh (1831-1896), seine erste von drei ausgedehnten Europareisen. Diese Reise, die erste eines amtierenden persischen Monarchen nach Europa überhaupt, begann am 19. April in Teheran und führte nach Russland, Deutschland, Belgien, England, Frankreich, die Schweiz, Österreich und Italien, und endete am 7. September ebenfalls in Teheran. Begleitet wurde der Schah von einer großen Regierungsdelegation. Für die Reise waren zwei Gründe wesentlich: Zum einen bemühte sich der Schah um eine Verbesserung der bilateralen Beziehungen zu Russland und zum Vereinigten Königreich, da Persien durch die Niederlagen im letzten Russisch-Persischen Krieg 1826-1828 und im Britisch-Persischen Krieg 1856/57 bedeutende Gebietsverluste im Norden (Kaukasus) und im Osten (Afghanistan) hatte hinnehmen müssen, was zu einer nachhaltigen Schwächung der Stellung als Regionalmacht geführt und das Land zum Spielball russisch-britischer Territorialinteressen im Mittleren Osten gemacht hatte. Der Schah suchte daher durch seine Reise die Wahrscheinlichkeit einer erneuten Intervention beider Weltmächte in dieser Region zu minimieren. Zum anderen beabsichtigte der Monarch in Europa Anregungen und Unterstützung für seinen in Persien geplanten Modernisierungskurs zu erhalten. Zu diesem gehörten die Einführung der Telegrafie, eines landesweiten Postwesens und eines modernen Bewässerungssystems sowie der Bau eines Eisenbahnnetzes.
 

 

Nāser ad-Din Schāh bei einem seiner Europa-Besuche 1873

Näser ad-Din Schäh entstammte der Dynastie der Kadscharen, die 1794 bis 1925 die Schahs von Persien stellte. Er selbst gelangte nach dem Tod seines Vaters 1848 im Alter von 17 Jahren auf den Nader-Thron. Innenpolitisch ging der Schah hart gegen seine Gegner vor. So ließ er 1851 wegen eines angeblich gegen ihn gerichteten Komplotts seinen Ministerpräsidenten absetzen und im Jahr darauf ermorden. Außerdem wurden auf seine Anweisung die Anhänger der um die Mitte des 19. Jahrhunderts in Persien entstandenen Religionen Babismus und Bahaitum systematisch verfolgt. Allgemein gilt Näser ad-Din Schäh durch seine fast fünf Jahrzehnte währende absolutistische Regierungszeit als die prägende Gestalt Persiens in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. 1896 fiel er einem politisch motivierten Attentat zum Opfer.

 

Der Besuch in Karlsruhe

Die Deutschland-Reise führte den Schah - von Moskau kommend - nach Berlin, Potsdam, zu den Krupp-Werken in Essen, weiter nach Köln, Koblenz, Wiesbaden, Frankfurt am Main, Darmstadt, Karlsruhe und Baden-Baden. Der Schah und seine Delegation trafen am 11. Juni 1873 um 16:15 Uhr per Sonderzug am alten Karlsruher Hauptbahnhof ein. Dort wurden sie von Großherzog Friedrich I., dem Oberbürgermeister und dem Stadtdirektor der Stadt Karlsruhe, Mitgliedern des badischen Staatsministeriums sowie mehreren Offizieren der hiesigen Garnison empfangen. Außerdem spielte eine Kompanie des 1. Badischen Leibgrenadier-Regiments Nr. 109 Militärmusik. Nach kurzem Aufenthalt bestiegen der Schah und der Großherzog die bereitgestellte Kutsche und fuhren über die Kriegsstraße durch das Mühlburger Tor, die Lange Sanshlietraße (heute Kaiserstraße) und Ritterstraße zum Karlsruher Schloss. Während der Fahrt wechselten der Schah und der Großherzog einige Worte auf Französisch. An den Straßen hatten sich zahlreiche Menschen versammelt, um den Schah zu sehen. Im Gegensatz zu anderen Besuchen ranghoher Gäste wurde dem Schah jedoch nicht zugejubelt, wie die Zeitung Badischer Beobachter schreibt: "[E]in großes Gedränge fand nicht statt und man bewahrte überall kaltblütiges Schweigen." Dieses Detail scheint auch dem Schah erinnerungswürdig gewesen zu sein, wenn er in seinem Reisetagebuch festhält: "Viele Frauen und Männer standen an beiden Seiten der Straßen, sehr respektvoll und ruhig."

In seinem 1874 auf Farsi und noch im selben Jahr auf Englisch erschienenen Reisetagebuch beschreibt der Schah auch Friedrich I. von Baden: "Der Großherzog ist ein sehr stattlicher, vornehmer und höflicher Mensch. Er hat einen sehr langen, gelben und dichten Bart. Sein Gesicht ist hell und rosig, seine Augen sind groß, sein Körper kräftig." Über Karlsruhe berichtet der Schah lediglich in vier kurzen Sätzen: "Karlsruhe, die Hauptstadt Badens, ist eine schöne und wohlhabende Stadt. Die Einwohnerzahl beträgt 37000. Die Straßen sind lang und gerade. Alle Erzeugnisse der Region bedürfen keiner Bewässerung." [Übersetzung R.G.] 

Großherzog Friedrich I. von Baden und Nāser ad-Din Schāh am Portal des Neuen Schlosses in Baden-Baden, 1888

Nach der Begrüßung des persischen Monarchen durch Großherzogin Luise und Prinzessin Maria Maximilianowna von Leuchtenberg (Prinzessin Wilhelm), der Vorstellung des Hofstaats und der Mitglieder des Staatsministeriums sowie der höheren Offiziere begab man sich in das Schloss, um ein Abendessen einzunehmen. Dieses dauerte bis 18:30 Uhr. Um kurz nach 19:00 Uhr verabschiedete sich der Schah, fuhr in Begleitung des Großherzogs auf gleichem Weg zurück zum Hauptbahnhof, um von dort mit dem Sonderzug nach Baden-Baden weiterzureisen. Als er um 20:30 Uhr in der Kurstadt an der Oos ankam, wurde er zum Hotel Englischer Hof gefahren, wo die Kurkapelle für den Gast mehrere Musikstücke spielte. Zum Dank spendete der Schah 120 Rubel für den Unterstützungsfonds des Orchesters (heute Philharmonie Baden-Baden). Am folgenden Vormittag besuchte Friedrich I.  den Schah in seinem Domizil. Nach einer längeren gemeinsamen Ausfahrt zur Besichtigung der Umgebung und einem sich daran anschließenden gemeinsamen Essen im Neuen Schloss verließ der Schah Baden-Baden wieder, um nach Wiesbaden zurückzukehren, von wo aus er seine Europa-Reise nach Spa in Belgien fortsetzte. Auf dieser Fahrt wurde er vom Großherzog bis Karlsruhe begleitet.

Über den Besuch des Schahs in Karlsruhe berichtete der Badische Beobachter in einem Artikel mit etlichen antisemitischen und rassistischen Entgleisungen: "Der Schah ist eine magere, schwarzstoppelbärtige Persönlichkeit und machte einen schwächlich-kränklichen Eindruck neben der blühenden Erscheinung unseres Fürsten. […] Die andern Würdenträger hatten mehr das Aussehen von polnischen Juden, und gar Einer unter ihnen war mit einer so krumm gebogenen Nase geziert, daß er jedem Habicht die erfolgreichste Concurrenz in diesem Punkte hätte machen können." Äußerungen dieser Art waren im Kaiserreich nicht unüblich; sie sind Beleg für einen noch nicht organisierten, auch außerhalb der dezidiert antisemitischen Parteien wie die des Hofpredigers Adolf Stoecker latent vorhandenen Antisemitismus.

 

Schlussbemerkung

Der erste Besuch des Schahs von Persien in Karlsruhe im Juni 1873, vor genau 150 Jahren, dauerte lediglich drei Stunden. Ein konkreter Grund für den Besuch ist aufgrund der fehlenden politischen Relevanz und des praktisch nicht vorhandenen Programms für Karlsruhe und Baden-Baden nicht ersichtlich. So wurden weder politische Gespräche geführt noch technische Einrichtungen und/oder Infrastrukturprojekte besichtigt, und auch keine Verträge oder sonstige Vereinbarungen geschlossen. Hatte sich der Schah während seines einwöchigen Aufenthalts in Preußen (Berlin, Potsdam) wenigstens über das politische System im Deutschen Reich oberflächlich informiert und war mit dem höchsten und dem zweithöchsten preußischen Orden, dem Hohen Orden vom Schwarzen Adler (Ritter) und dem Großkreuz des Roten Adlerordens ausgezeichnet worden, erfolgte im Großherzogtum Baden nichts dergleichen. Es ist daher anzunehmen, dass der Besuch des Schahs in Karlsruhe und Baden-Baden lediglich als Ausflug nach Süddeutschland mit Urlaubscharakter einschließlich einer Besichtigung der Schwarzwaldregion gedacht war.

Im Rahmen seiner zweiten Europa-Reise machte der Schah im Juni 1878 erneut Station in Baden-Baden. Auch auf seiner dritten Reise besuchte er im August 1889 das Großherzogtum. Stationen waren wieder Baden-Baden, wo der Monarch erneut mit Friedrich I. zusammentraf, Schwetzingen und Heidelberg, Karlsruhe allerdings nicht. Es war also eindeutig weniger die politische Bedeutung des Großherzogtums Baden als vielmehr die Strahlkraft des Kurortes Baden-Baden, die den Schah hierher führte.

Dr. René Gilbert, Archivar und Historiker, Generallandesarchiv Karlsruhe

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