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Blick in die Geschichte Nr. 142

vom 15. März 2024

Wilhelm Paulckes Sicht des Sports und der Natur im Umfeld des Nationalsozialismus und der Olympischen Winterspiele 1936

Zwischen Faszination und Beherrschbarkeit

von Michael Krüger


Die Anregung für diesen Beitrag ergab sich aus einem Foto, das in der Ausstellung "Gezähmte Berge" im Generallandesarchiv Karlsruhe zu sehen war. Es zeigt Wilhelm Paulcke bei der Eröffnung der Olympischen Winterspiele von Garmisch-Partenkirchen im Februar 1936 - offenbar ein "Selfie" von Paulcke, mit dem er sich wohl sehr bewusst gemeinsam mit Hitler und der in Garmisch versammelten NS-Prominenz präsentieren wollte.

Wilhelm Paulcke (im Vordergrund mit Mütze) bei der Eröffnungsfeier der Olympischen Winterspiele in Garmisch-Partenkirchen, im Hintergrund Adolf Hitler, Joseph Goebels und Hermann Göring, 6. Februar 1936

In Paulckes Äußerungen und Schriften lassen sich einige Motive herausarbeiten, die zumindest Analogien zwischen dem Natur- und Sportverständnis Paulckes einerseits sowie den Nationalsozialisten andererseits erkennen lassen und zeigen, dass beide aus einer gemeinsamen Tradition der Jugend- und Lebensreformbewegungen seit der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert hervorgegangen sind. Diese Generation war geprägt vom Aufbruch der Jugend, vom freien Leben in der Natur und der Begeisterung für die Natur, von neuen Lebens- und Umgangsformen, von neuen Formen der natürlichen Erziehung in Gemeinschaften, von der Kritik an der Zivilisation, den Intellektuellen und den "Alten" und nicht zuletzt auch von ihrem Engagement für natürliche Leibesübungen und Sport.

Schließlich betrafen diese intragenerationellen, kollektiven Erfahrungen der überwiegend jungen Männer auch deren Kriegs- und in vielen Fällen Fronterlebnisse des Ersten Weltkriegs. Die häufig freiwillig und mit großem patriotischem Enthusiasmus in den Krieg gezogenen jungen Männer hatten einerseits die Schrecken des Krieges am eigenen Leibe erlebt, andererseits aber auch Kameradschaft und Zusammengehörigkeit in Not und Gefahr, die ein Leben lang nachwirkten.

Diese intragenerationellen Erfahrungen wurden von den bildungsbürgerlichen Eliten und auch den Meinungsführern des Sports gern mit einem um 1900 und später verbreiteten sozialdarwinistischen Welt- und Menschenbild verbunden und legitimiert. "Kampf ums Dasein" war das Schlagwort und Titel von Roman und Filmen, in denen in simplifizierter Weise Darwins Lehre vom "survival of the fittest" propagiert wurden. Das Schlagwort findet sich sowohl bei Wilhelm Paulcke als auch nahezu allen meinungsbildenden Leibeserziehern und Sportrepräsentanten der Zeit.

Zu dieser Jugend-, Reform- und Kriegsgeneration zählte nicht nur Wilhelm Paulcke, sondern gehörten auch die in den 1930er-Jahren führenden Repräsentanten der Turn- und Sportbewegung wie Carl Diem (1882-1962) oder Karl Ritter von Halt (1891-1964) an. Sie vertraten ein betont straffes, kämpferisches und von Disziplin sowie soldatischer Härte geprägtes Sportverständnis. Beide waren Kriegsteilnehmer im Ersten Weltkrieg, ebenso wie Wilhelm Paulcke, der die ersten Schneeschuh-Bataillone aufstellte und als Hauptmann ein Jägerbataillon bei den Kämpfen im Osmanischen Reich befehligte.

Gruppenbild des "Schneeschuhkommandos" des 8. Jäger-Bataillons bei der Rast am Gehöft Hochbrück in den Vogesen, Wilhelm Paulcke links sitzend, 1898

Die Olympischen Winterspiele von Garmisch-Partenkirchen waren ein großer Erfolg für den olympischen Wintersport im Allgemeinen, aber auch für den Winter- und Skisport in Deutschland im Besonderen und nicht zuletzt für die deutschen Organisatoren um den Präsidenten des Organisationskomitees, Karl Ritter von Halt. Hitler und die Führung der NSDAP waren präsent bei den Winterspielen. Sie zeigten großes Interesse an den sportlichen Wettkämpfen und bestätigten damit die Hoffnungen, die viele Funktionäre aus den bürgerlichen Turn- und Sportverbänden in die "nationale Erhebung" und "Wiedergeburt" - wie sich Paulcke ausdrückte - gesetzt hatten.

Coubertin selbst und die Olympier teilten die Begeisterung für den Berg- und Wintersport. Seit den ersten Winterspielen von 1924 verlieh das IOC-Medaillen für herausragende Leistungen an  Alpinisten. 1936 wurde diese Goldmedaille an Alpinisten vergeben, und zwar an das legendäre Bergsteigerpaar Günter Oskar und Hettie Dyhrenfurth (geb. Heymann) aus Breslau für ihre Himalaya ExpeditionenBeide waren jüdischer Herkunft oder Abstammung. Sie verließen Deutschland bereits 1923 und nahmen 1933 die Schweizer Staatsbürgerschaft an. Zwei Jahre später erklärte Dyhrenfurth in einem Brief seinen Austritt aus dem Deutschen und Österreichischen Alpenverein, dem er seit 1904 angehört hatte.

Die Faszination für die Natur und Bergwelt wurde in Romanen und Filmen popularisiert. Dafür stehen u. a. die Filme Leni Riefenstahls - "Die weiße Hölle vom Piz Palü" aus dem Jahr 1929 - oder von Luis Trenker - "Der Berg ruft" von 1938. Ein prägendes Filmzeugnis der Verschmelzung von NS-Ideologie und Extremalpinismus stellt jedoch der Dokumentarfilm über die gescheiterte Nanga Parbat-Expedition des Jahres 1934 dar (Regie Frank Leberecht) - mit dem Untertitel "Ein Kampfbericht der deutschen Himalaya-Expedition 1934". Die vier deutschen Bergsteiger um Willy Merkl und acht Sherpas kamen ums Leben. Bezeichnend für die Aussage dieses Dokumentarfilms, aber auch für andere filmische Inszenierungen der 1930er Jahre ist einerseits die überwältigende Schönheit der Bergwelt, aber andererseits auch ihre Dämonie und die Gefahren, die von ihr ausgehen. Um in dieser rauen, lebensbedrohlichen Welt bestehen zu können, braucht es mutiger Kämpfer, lautet die Botschaft. Aber auch sie sind nicht vor Tod und Untergang gefeit.

Die Beziehung der Nationalsozialisten zur Natur und zum Naturschutz war ebenso ambivalent wie ihre Beziehung zum Sport. Einerseits schienen sie zu Beginn ihrer Herrschaft den Sport zu fördern, aber andererseits zerstörten sie ihn, nahmen ihm seine Unschuld, zertrümmerten die Utopie des Friedens und der Völkerverständigung im und durch Spiel und Sport, oder, wie es Pierre de Coubertin formuliert hatte, der "Demokratie und des Internationalismus" und der "pax olympica" des olympischen Sports.

Die Sportstätten in der Olympiastadt Garmisch-Partenkirchen entsprachen eher den heute geltenden Kriterien von Nachhaltigkeit und Umweltverträglichkeit, als dies bei späteren Austragungsorten Olympischer Winterspiele der Fall war. Aber am Ende ging es Hitler und den Nationalsozialisten nicht um die Natur und Naturschutz, Landschaftspflege oder nachhaltige Sportbauten, sondern um Macht über die Natur, um ihre Eroberung und Beherrschung, um "Blut und Boden", wie sie sagten, und "Volk und Raum". Die nationalsozialistische Hybris der Züchtung einer neuen arischen Herrenrasse und der "Ausmerzung" alles aus ihrer Sicht Minderwertigen und Entarteten wurde auch auf die Natur übertragen. Die Nationalsozialisten maaßten sich an zu entscheiden, was einerseits zu schützen und bewahren und andererseits "mit Stumpf und Stiel", wie Hitler in seinen Reden formulierte, "auszumerzen" sei, wie zum Beispiel der Marxismus oder die Juden, oder in der Natur das "Unkraut". Es ging ihnen, wie auch neuere Forschungen zu dieser Thematik zeigen, nicht um ein natürliches Gleichgewicht in der Natur, um gleiche und faire Chancen von Menschen, Tieren und Pflanzen in einer ausgewogenen, natürlichen Umgebung, sondern um Macht und Herrschaft über Mensch und Natur.

Am Ende besteht nicht nur ein erheblicher Unterschied zu unserem heutigen Verständnis von humanem Umwelt- und Naturschutz, sondern auch zu den Vorstellungen, die der Mensch, Forscher, Bergsteiger und Landschaftsmaler Wilhelm Paulcke von Sport, Wissenschaft und Natur hatte. Offenbar wollte er mehr über die Berge und die Natur wissen, um sich harmonischer und gefahrloser, mit angemessener Demut und Vorsicht in ihnen bewegen zu können. Nur dann schien es ihm auch möglich zu sein, das Wunder der Natur und die Schönheit der Bergwelt empfinden zu können. Der Mensch scheitert, wenn er sich über die Natur erhebt, aber er kann sich glücklich fühlen und Kraft aus ihr schöpfen, wenn er sich bewusst und im Einklang mit der Natur in den Bergen bewegt, so lautete in etwa seine alpine Natur-Philosophie oder sogar Natur-Religion, die sehr dem heutigen Ideal eines ökologischen Alpinismus nahekommt, wie ihn auch der Alpenverein und die Natur- und Umweltschutzorganisationen verstehen.

Dr. Michael Krüger, Professor für Sportwissenschaft i.R.

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