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BNN vom 13. August 2020

Pressebericht über die Erinnerungsstätte Ständehaus

Der Methusalem unter den badischen Weinen

Niederländer-Flasche wurde im Jahr 1819 im Grundstein des Karlsruher Ständehauses eingemauert

Von unserem Redaktionsmitglied Wilfried Lienhard

Eine echte Rarität: Aus dem Jahr 1819 stammt die Weinflasche; vor 200 Jahren war sie im Grundstein des Karlsruher Ständehauses eingemauert worden

Diese Flasche steht unter Verdacht. Ihr dunkler Inhalt wirft Fragen auf, auf die Ermittler keine ausreichenden Antworten finden. Über viele, sehr viele Jahre hat sie sich jedem noch so gründlichen Blick entzogen, im Dunkeln überdauerte sie, und als sie wieder ans Tageslicht kam, ließ sie Aufschlüsse in der Vergangenheit zurück. Weit zurück reicht diese, denn der Verdacht, mit dem die Flasche belegt ist, lautet: Rekord. Die Rede ist von der vielleicht ältesten erhaltenen Weinflasche des Baden-Badener Reblands – und möglicherweise eines noch weiteren Umkreises. Zwei Jahrhunderte ist sie alt und damit eine echte Rarität.

Der Wein, der in der bauchigen Flasche ruht, ist im Herbst des Jahres 1819 gelesen worden, die Trauben waren in Steinbach gereift. In Sachen Rebensaft sind damit die sicheren Erkenntnisse bereits weitgehend erschöpft. Die Flasche ist eine Verbindung mit der Geschichte eingegangen, und das in doppelter Hinsicht. Das Steinbacher Weinjuwel ist zu einem historischen Gegenstand geworden, weil sie an geschichtsträchtiger Stelle jeder durstigen Kehle entzogen war: im Grundstein des Karlsruher Ständehauses, der Heimstatt des ersten badischen Parlaments.

1818 hatte Großherzog Karl die badische Verfassung unterschrieben. Sie sah eine Ständevertretung mit zwei Kammern vor. Friedrich Weinbrenner und Friedrich Arnold erhielten den Auftrag, ein repräsentatives Haus zu entwerfen. Am 16. Oktober 1820 wurde der Grundstein gelegt.

Zeittypische Dokumente und Gegenstände wurden mit ihm eingemauert: Zeitungen, eine gedruckte Ausgabe der Verfassung, Münzen, Karten des Großherzogtums, Weizenkörner des Jahres 1820 und eine Flasche Wein aus Steinbach.

Genau hier beginnen die Fragezeichen zu tanzen. Wie kam die Flasche von Steinbach nach Karlsruhe? Hatte ein findiger Winzer beste Kontakte in die Residenzstadt? Mundete dem Großherzog, der mittlerweile Ludwig hieß und und längst nicht so verfassungsliberal war wie sein Vorgänger, der Steinbacher Wein besonders gut? Oder war es ein Wein aus dem Zehnten, der erst 1833 abgeschafften Abgabe? All diese Fragen harren einer Antwort, die Quellen verraten nichts darüber.

Anders sieht es beim Ständehaus aus. Dort wurde in den Jahren und Jahrzehnten nach dem feierlichen Einzug am 2. November 1822 Geschichte geschrieben. Hier erklang die erste Forderung nach einer gesamtdeutschen Vertretung. Baden wurde zum liberalen Musterland seiner Zeit. Im Zweiten Weltkrieg wurde das Ständehaus durch Bomben zerstört. Als 1961 die Aufräumarbeiten begannen, fanden sich die eingemauerten Gegenstände unversehrt. Inklusive der Steinbacher Weinflasche wanderten sie ins Badische Landesmuseum. Seit der Eröffnung des neuen Ständehauses im Sommer 1993 sind sie dort als Leihgabe ausgestellt; die papierenen Exponate sind allerdings Faksimiles.

Was für ein Wein ist das aber, der da in der Flasche schlummert, und wäre er heute noch genießbar? Seine dunkle Farbe lässt auf eine rote Sorte schließen. Doch Vorsicht: 1819 war vielfach der gemischte Satz noch tonangebend: Mehrere Sorten wurden zusammen an- und ausgebaut. Hier jedoch war das wohl nicht der Fall, wie im Katalog zur Ausstellung "Demokratie wagen? Baden 1818-1919" des Karlsruher Generallandesarchivs nachzulesen ist. Demnach handelte es sich um Steinbacher Wein der Sorte Niederländer. Das beantwortet die Frage nach der noch möglichen Genießbarkeit mit einem klaren Nein. Denn der Begriff Niederländer ist ein Synonym für Riesling.

"Ein Wein ist ein Original und entwickelt sich mit der Zeit. Er ist, wie er ist." - Rolf Steiner, Direktor Weinbauinstitut Freiburg

Der einstige Weißwein ist oxidiert, was bei einem Füllstand von 80 Prozent auch nicht verwundert: "Für die Qualität des Weins ist das ein schlechtes Zeichen, denn es ist zu viel Sauerstoff in der Flasche", sagt Rolf Steiner, der Direktor des Staatlichen Weinbauinstituts Freiburg.

Alte Weine können unter bestimmten Voraussetzungen durchaus genießbar sein. Steiner erinnert sich an eine Verkostung eines hervorragend mundenden spanischen Weins des Jahrgangs 1908. Im Rheingau wiederum würden in den hessischen Staatsweingütern Weine auch aus dem 19. Jahrhundert gepflegt und auch verkostet.

Im Badischen seien als Folge des Zweiten Weltkriegs nur sehr wenige sehr alte Weine erhalten geblieben. Im Freiburger Staatsweingut lagere eine Flasche aus den frühen 1860er Jahren, die im Grundstein des Rotteck-Gymnasiums eingemauert gewesen sei. In den 1970er Jahren sei sie mithilfe eines Glasbläsers geöffnet, der Wein gekostet und die Flasche wieder verschlossen worden.

Beim Umgang mit alten Weinen gebe es zwei Lager. Eine Seite schwöre darauf, die Flasche alle zehn Jahre zu öffnen, den Wein aufzufüllen und nachzuschwefeln. Das Staatliche Weinbauinstitut folge einer anderen Philosophie: "Ein Wein ist ein Original und entwickelt sich mit der Zeit. Er ist, wie er ist, und wenn er nicht mehr genießbar ist, dann ist er eben nicht mehr genießbar."

Beim Steinbacher Wein aus dem laut 1923 erschienenen "Geschichte des Weinbaus" von Friedrich von Bassermann-Jordan "recht guten" Weinjahr 1819 bleibt es eh beim Gedankenspiel. Die Flasche ist versiegelt, ihr Inhalt wurde wohl nie angetastet. Und auch wenn er mit genießbarem Wein nichts mehr zu tun hat, so bleibt ein bedeutendes Stück Geschichte: eine Erinnerung an ein wichtiges Kapitel badischer Geschichte, ein früher Steinbacher Riesling und die wohl älteste erhaltene Weinflasche mindestens des Baden-Badener Reblands.

Quelle: Badische Neueste Nachrichten | Karlsruhe | KARLSRUHE | 13. August 2020

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