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Stickmustertuch von Emilie Gerhardt aus dem Jahr 1880


Heute weitgehend in Vergessenheit geraten, spielten Stickmustertücher im 19. Jahrhundert eine wichtige Rolle bei der Erziehung von Mädchen und jungen Frauen. Diese sollten das Sticken zunächst an den Mustertüchern üben, bevor sie ihre Fertigkeiten an Wäsche- oder Kleidungsstücken unter Beweis stellen durften. Neben dem Üben dienten die Mustertücher aber auch dem Sammeln, Aufbewahren und Überliefern von Stickarten und Motiven, die für das Markieren von Wäsche oder das Verzieren von Kleidungsstücken verwendet wurden. Gestickt wurden üblicherweise Alphabete und Borten, ergänzt durch Pflanzen, Tiere, religiöse Motive oder Alltägliches. Das Anfertigen von Stickmustertüchern war an vielen Schulen bis nach dem Ersten Weltkrieg Teil des Lehrplans.

Stickmustertuch aus dem Jahr 1880

Dieses Stickmustertuch fertigte die Durlacher Schülerin Emilie Gerhardt im Alter von etwa 15 Jahren im Handarbeitsunterricht. Das Tuch ist in zwei Bereiche gegliedert. Der obere Teil besteht aus zwei Alphabetreihen, eine in Druckschrift und eine in Fraktur, sowie den Ziffern eins bis acht. Diese sind jeweils in verschiedenen Farben gestickt und durch schmale Borten oder Linien voneinander getrennt. Im unteren Bereich sind Tiere, insbesondere Vögel, sowie Pflanzen gearbeitet. Darüber hinaus sind auch eine Krone und diverse andere Kleinmotive zu erkennen. In der Mitte befinden sich die Initialen von Emilie Gerhardt, der Urheberin des Tuchs, sowie die Jahreszahl 1880 für das Jahr der Fertigung.

Stickmustertücher wie dieses geben Auskunft über die Erziehung von Mädchen und jungen Frauen im 19. Jahrhundert. Diese war stark von den damals bestehenden, traditionellen Rollenerwartungen an Frauen und Männer geprägt. Ein wichtiges Erziehungsziel bestand darin, Mädchen und junge Frauen auf ihre zukünftige Rolle als Hausfrau und Mutter vorzubereiten. Daher wurde sowohl im Elternhaus als auch in der Schule großer Wert auf die Vermittlung von Handarbeitstechniken gelegt.

Darüber hinaus galt Handarbeit auch als besonders geeignet, Mädchen und jungen Frauen Disziplin und Selbstbeherrschung beizubringen. So verlangte man von ihnen, bei der Arbeit aufrecht zu sitzen, die Beine nicht übereinander zu schlagen und nur die Arme und Hände zu bewegen. Die Erziehung der Mädchen unterschied sich somit deutlich von der der männlichen Kinder und Jugendlichen, bei der das Turnen und andere körperliche Aktivitäten im Vordergrund standen.

Die Stickmustertücher blieben oft in den Familien erhalten, sie dienten als Wandschmuck und wurden von Generation zu Generation weitergereicht. So auch im Fall dieses Mustertuches: Es ging von Emilie Gerhardt an deren Enkelin Emi Enzmann, die es schließlich Ende 2011 dem Pfinzgaumuseum schenkte.


Dr. Ferdinand Leikam

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