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Blick in die Geschichte Nr. 104

vom 19. September 2014

Carlsruher Blickpunkte

Vogelperspektiven: Zwei ungleiche Baudenkmäler

von Alexandra Kaiser

Wer derzeit den Karlsruher Europaplatz aufsucht, findet diesen gänzlich "vogellos" – zumindest was die Spezies der Denkmäler betrifft. Bis Januar 2010 war dies noch anders, bis dahin wachte auf dem Platz, auf der Spitze des dortigen Denkmals für das 1. Badische Leibgrenadier-Regiment Nr. 109, ein mächtiger bronzener Greif. Mit Beginn der Bauarbeiten an der Kombi-Lösung wurde das Leibgrenadierdenkmal mitsamt dem Greifen abgebaut und eingelagert. Bis zum Jahr 2000 hatte den Platz zudem eine weitere mythische Vogelgestalt geziert: Nur wenige Meter entfernt vom Greifen hielt ein Phönix die Stellung als Brunnenfigur. Beide Vogelwesen, die über zwanzig Jahre lang nebeneinander auf dem Europaplatz posierten, stammen aus unterschiedlichen Kontexten und verkörpern ganz unterschiedliche Formen der Auseinandersetzung mit der deutschen Vergangenheit.

Europabrunnen mit Phönixfigur auf dem Europaplatz, im Hintergrund das Leibgrenadierdenkmal, 1979

Das Leibgrenadierdenkmal gehört zu den bekanntesten Karlsruher Denkmälern; seit seiner Aufstellung nach dem Ersten Weltkrieg kam ihm stadtbildprägende Bedeutung zu. Anfang der 1920er Jahre planten zahlreiche gesellschaftliche Gruppen Denkmäler für die je "eigenen Toten". Auch die neugegründete Kameradschaft der badischen Leibgrenadiere suchte einen repräsentativen Ort in der Stadt für ihr Regimentsdenkmal, galten die 109er doch als Elite-Einheit, quasi als Hausregiment des Großherzogs. Schließlich fand man für das Denkmal einen geeigneten Standort auf dem damaligen "Kasernenplatz" vor dem 1900 eingeweihten Reichspostgebäude, an dessen Stelle zuvor fast hundert Jahre lang die Kaserne der Leibgrenadiere gestanden hatte.

Anfang August 1924 wurde ein Wettbewerb für das Leibgrenadierdenkmal ausgeschrieben; über sechzig Künstler und Architekten beteiligten sich. Den ersten Preis gewannen die Karlsruher Architekten Otto Gruber und Emil Valentin Gutmann mit einem ausdrucksstarken Entwurf einer aufstrebenden Pfeilerform, der sich besonders gut in den baulichen Kontext des Platzes einfügte. Am 28. Juni 1925 wurde das Denkmal im Rahmen eines dreitägigen Veteranentreffens der 109er feierlich eingeweiht. An den vier Seitenflächen des Pfeilers waren verschiedene Inschriften angebracht: Die Denkmalswidmung, Auszeichnungen und Militärverhältnisse der Leibgrenadiere sowie eine Auflistung der wichtigsten Schlachtenorte, an denen das Regiment seit seiner Gründung 1803 gekämpft hatte. An der prominenten, stadteinwärts gerichteten Ostseite wurden die Schlachtenorte des Ersten Weltkrieg aufgelistet: Loretto, Somme, Verdun, Cambrai und andere. Ganz oben auf dem Pfeiler thronte der circa drei Meter hohe Greif, der als badisches Wappentier und zugleich als Symboltier der Leibgrenadiere fungierte. Wie stark die Erinnerungskultur der Leibgrenadiere den Platz fortan prägte, wird nicht zuletzt in seiner Umbenennung zum "Lorettoplatz" 1933 deutlich.

Greif auf dem Leibgrenadierdenkmal auf dem Europaplatz 2006

Das Leibgrenadierdenkmal wurde nicht als Trauer-, sondern als Ehrenmal gebaut. Anstatt die Namen der Toten und die Gräuel des Ersten Weltkriegs führte es die "ruhmreichen" Schlachtenorte auf. Mit seiner aufrechten und erhabenen Haltung verkörperte der Greif eine machtvolle und siegreiche Geste, die selbst der deutschen Niederlage im Ersten Weltkrieg zu trotzen schien. Tatsächlich überstand der Greif auch den Zweiten Weltkrieg nahezu unbeschadet; nur ein paar Einschusslöcher erinnern an diese Zeit.

Während der Greif Stolz und Ungebrochenheit verkörperte, sollte der Phönix bewusst einen Gegenpol zu dem "sieggewohnten Adler auf der Säulenspitze" (Walter Förderer) bilden. In den 1970er Jahren wurde der Platz vor der Hauptpost, der seit 1975 den heutigen Namen "Europaplatz" trägt, umgestaltet. In diesem Zusammenhang entstand auch der "Phönixbrunnen", eigentlich "Europabrunnen", nach einem Entwurf von Walter M. Förderer, der damals als Professor an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Karlsruhe lehrte; die Einweihung fand am 9. Juni 1979, am Vortag zur ersten Direktwahl des Europaparlaments, statt. Die Basis des Brunnens bildeten zwei Granitringe; in seinem Zentrum, über einer stilisierten Landkarte Europas, erhob sich die schwerfällig wirkende, gefesselte Phönixfigur, deren Gefieder aus verschiedenen Bronzeelementen zusammengefügt war.

Die Darstellung des "Phönix aus der Asche", die Förderer hier aufgriff, war nach 1945 ein beliebtes Motiv, das der schwierigen deutschen Geschichte mit dem Ende des „Dritten Reiches“ angemessen schien und zugleich die Hoffnung auf eine gesellschaftliche Neuordnung anklingen ließ. Diesen Sinnzusammenhang macht die Inschrift des Karlsruher Brunnens deutlich, wo vom "Untergang voller Gewalt und Leid", "Erneuerung voller Mühsal und Last" und von "schicksalhafter Verstrickung" die Rede ist. Walter Förderer betonte auch, er habe "keinen aufsteigenden Phönix machen wollen, der ohne Trümmer und Asche auskommt. […] Die Metapher soll uns die Hoffnung deuten, dass aus dem Wissen über unsere Vergangenheit eine Wandlung zu einem friedvollen Europa ohne Untergang möglich wird."

Mahnmal hin oder her, den meisten Karlsruhern gefiel der Phönix auf dem Europaplatz nicht: "Eurogockel", "badischer Geier" oder "schwangere Truthenne" waren despektierliche Beschreibungen, die in der Stadt kursierten. Nachdem der Europaplatz durch den Umbau der Hauptpost zur Postgalerie erneut umgestaltet werden musste, wurde der Phönixbrunnen im Jahre 2000 kurzerhand hinter die Stadthalle versetzt. Dort steht er heute noch – als reine Skulptur, der Brunnen ist nicht mehr in Funktion. Während der zum Frieden mahnende Phönix am Europaplatz schon fast vergessen scheint, erfreut sich das Leibgrenadierdenkmal bis heute allergrößter Beliebtheit. Dass das Denkmal nach Abschluss der Bauarbeiten an seinem alten Standort unverändert wiedererrichtet werden soll, ist in der Karlsruher Öffentlichkeit daher kaum umstritten. Der kriegerisch-militärische Sinnzusammenhang des Denkmals wird dabei in der Regel nicht reflektiert, vielmehr ist das Bauwerk zur gewohnten – und daher nur ungern veränderten – Kulisse der Stadt geworden.

Begleitend zur Sonderausstellung "Der Krieg daheim. Karlsruhe 1914-1918" im Stadtmuseum und im Pfinzgaumuseum wurde die Greifenfigur nun im Garten des Prinz-Max-Palais, nur wenige Meter vom ursprünglichen Standort des Denkmals entfernt, aufgestellt. Nach Einbruch der Dunkelheit wird der Greif noch bis Ende Oktober zur Projektionsfläche für eine Lichtinstallation von Lukas Rehm, die sich aus verschiedenen Perspektiven mit der Geschichte und Bedeutung des Greifen und mit der deutschen Erinnerungskultur beschäftigt. Die Aufstellung der Figur und ihre künstlerische Befragung sollen so auch zur kritischen Auseinandersetzung mit dem Leibgrenadierdenkmal führen.

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