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Blick in die Geschichte Nr. 104

vom 19. September 2014

Schauspielerin und Schriftstellerin

Lola Ervig: Die Doppelbegabung einer einzigartigen Frau

von Josef Werner

Immer wenn ich am blauen Himmel das Schauspiel sich ständig erneuernder Wolkengebilde sehe, muss ich an Lola Ervig denken. Der sehnsuchtsvolle Wunsch, das Wolkenspiel sehen zu dürfen, "einen Tag nur", blieb der ehedem gefeierten Schauspielerin und späteren Schriftstellerin unerfüllt.

Lola Ervig wurde am 6. Mai 1905 als viertes Kind einer Kaufmannsfamilie in München geboren, wuchs beruflicher Verpflichtungen des Vaters wegen in Leipzig auf. Schon als Kind zeigte sich Lolas Neigung zum Theaterspielen. Sie schrieb kleine Theaterstücke, die dann im Ensemble ihrer Geschwister unter ihrer "Regie" in der elterlichen Wohnung aufgeführt wurden. Sie selbst hatte stets die "Hauptrolle".

Für die Eltern war es dann keine Überraschung, dass ihre Tochter Schauspielerin werden wollte. Nach persönlicher Erkundung des besorgten Vaters, was dort eigentlich geschieht, erhielt die 18-jährige Tochter die Erlaubnis, die Schauspielschule des Deutschen Theaters in Berlin zu besuchen.

Ihr erstes Engagement erhielt Lola Ervig am deutschen Theater in Brünn (damals Tschechoslowakei). In Würzburg spielte sie danach mit Attila Hörbiger, in Stuttgart mit Willy Reichert zusammen. Im Herbst 1931 als "Salome" an das - damals so genannte - Badische Landestheater verpflichtet, lernte sie Alfons Kloeble kennen, den späteren Staatsschauspieler, der schon seit 1923 auf der Karlsruher Bühne stand. Bei Boulevardstücken wie Bruno Franks "Mina" waren Ervig und Kloeble ein vielgefeiertes Traumpaar - und bald auch schon ein Paar für das ganze Leben (wobei die Dame ihren Mädchennamen zeitlebens beibehielt).

Lola Ervig und Alfons Kloeble

Rasch wurde erkannt, dass Lola Ervigs schauspielerische Qualitäten weit über den Boulevard hinausreichten. Und so konnte man sie bald als Minna in "Minna von Barnhelm", als Eboli in "Don Carlos", als Königin Elisabeth in "Maria Stuart", aber auch als kesse Eliza in "Pygmalion" sehen. Der Feuilletonist Hubert Doerrschuck ("Amadeus Siebenpunkt"), journalistischer Wegbegleiter der Schauspielerin, rühmte deren darstellerische Intensität und ihre Intelligenz, zeigte sich zugleich beeindruckt von deren "anmutiger Erscheinung und klaren Schönheit".

Für ihre zahlreichen Verehrer unverständlich, tauchte Lola Ervigs Name in den Theaterzetteln der Spielzeit 1951/52 nicht mehr auf. Was war geschehen? Die Schauspielerin hatte sich nach 20-jähriger Zugehörigkeit zum Karlsruher Theater entschieden, einer zweiten Leidenschaft Zeit und Raum zu geben, dem Schreiben. Mehr als eine Kostprobe dieser Begabung war schon zuvor erkennbar geworden mit ihrem in den "Badischen Neuesten Nachrichten" erschienenen mehrteiligen Erzählung "Der Himmel taut nur Angst", einer zeitgeschichtlich bemerkenswerten Schilderung ihrer vielwöchigen Flucht bei Kriegsende. Wie ein Abschiedsgeschenk an das Theater könnte man zwei Bühnenstücke bezeichnen, die Ervig vornehmlich für die Jugendbühne schrieb: "Kasperles tolle Streiche" und "Audifax und Hadumoth", beide uraufgeführt im Konzerthaus unter der Regie von Alfons Kloeble. Zur Feier des 250. Stadtgeburtstags nahm Lola Ervig den Stadtgründer ins Visier. "Die Jugend des Markgrafen Karl Wilhelm" ging im - damals noch selbständigen - Insel-Theater über die Bühne. "Bevor der Vorhang fiel" war der Titel einer mit zahlreichen Fotos angereicherten Serie in der Sonntagsbeilage der BNN, eine lebendige Chronik des Geschehens am Theater in den Jahren zwischen 1930 und 1945, in der auch die tiefe Betroffenheit über die Entlassungen der jüdischen Schauspieler und Musiker im Jahre 1933 geschildert wurde.

In einer Rezension wurde Lola Ervig erstmals als "Schriftstellerin" bezeichnet. Sie selbst nannte sich nie so. Aber sie war es. Bei der Beschreibung eines Bildes war in ihrer Erzählung "Liebe zu einem alten Holländer" zu lesen: "Die Rose, einer lässigen Hand entglitten, war der eigentliche Blickpunkt des Bildes, Thema und Dominante zugleich, dem Welken ohne Gnade preisgegeben. Durch leiseste Berührung zum Entblättern verurteilt, war sie dennoch von ergreifender Schönheit."

Eine empfindsame Sprache kennzeichnete Lola Ervigs schriftstellerisches Schaffen, ob in Gedichten oder Essays, Fabeln, Märchen und Erzählungen. Bei literarischen Veranstaltungen mit Ervigs Lyrik und Prosa bewunderte eine treue Gemeinde über Jahre hinweg auch die Sprachschönheit der Schriftstellerin. Ein jähes Geschick beendete im Jahre 1971, 20 Jahre nach ihrem Abschied vom Theater, Lola Ervigs öffentliche Auftritte - sie verlor ihr Augenlicht. Wohl auch in Verzweiflung über das Schicksal seiner geliebten Frau erkrankte Alfons Kloeble schwer und starb ein Jahr später. Von Franziskanerinnen in deren Heim in der Karlsruher Eisenlohrstraße betreut, versuchte Frau Ervig, das Unabänderliche zu meistern. Mit Schallplatten und Disketten holte sie klassische Musik und Literatur in ihr Zimmer, Dramen auch, in denen sie einst selbst die Hauptrolle gespielt hatte. Mehr noch: Es gelang ihr, einige Erzählungen und Gedichte zu diktieren, darunter die so ergreifenden Verse "Laß mich, Schicksal, noch einmal die Wolken sehen."

Lola Ervig starb am 29. August 1997 im Alter von 92 Jahren. Am Grab standen die beiden Söhne, die sich wie ihre Eltern künstlerischen Berufen gewidmet hatten.

Josef Werner, Journalist, Ettlingen

Einen Tag nur

von Lola Ervig

Einen Tag nur laß mich, Schicksal,
die Wolken sehen
hochgetürmt oder als spielende Flocken
im Blau.

Gib mir die Rose nicht nur als Duft
einen Tag lang,
sondern laß der Hummel wollüstiges
Suchen im Purpur
mich schauen.

Schenke mir einen Tag nur
das Gesicht des Sohnes,
daß ich im Licht seiner Augen lebe;
oder abends ein Buch,
daß ich Manets Frühstück im Grünen
und Chagalls schwebende Liebende
über den Dächern lächelnd betrachte.

Dies noch: einmal allein,
ganz allein unter Bäumen gehen,
durch deren Geäst
kupferne Sonntaler fallen.

Einen Tag in der Woche wäre zu viel.
Im Monat. Im Jahr?

Aber, auf daß ich nicht stürbe
im Jubel des Tages,
dieses einzigen,
läßt Du mich, Schicksal, blind bleiben.

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