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Blick in die Geschichte Nr. 111

vom 17. Juni 2016

Karlsruhe - Spanien:

(K)eine Erinnerung

von Brigitte und Gerhard Brändle

Als im Sommer vor 80 Jahren in Spanien Militärs unter General Franco gegen die demokratisch gewählte Regierung putschen, machen sich "Spanienkämpfer" aus Deutschland auf den Weg - auch aus Karlsruhe. Die einen sitzen in Maschinen der Luftwaffe oder auf Dampfern wie der "Usamaro" - in Zivil und getarnt als "Union Reisegesellschaft", die anderen - oft schon aus ihrer Heimat vertrieben oder geflohen - kommen auf Bergpfaden über die Pyrenäen, als "Urlauber" mit dem Zug von Paris über Perpignan nach Barcelona, auf Fähren von Marseille über Mallorca ans Festland. Die einen sind Wehrmachtssoldaten mit Sold, Front-Zulage und Vorab-Beförderung, die anderen sind meist Arbeiter, Nazi-Gegner aus verschiedenen Parteien, ab 1933 oft in "Schutzhaft" im KZ Kislau.

Terroristen und Waffen aus Karlsruhe für die Militär-Putschisten

Aus Karlsruhe kommt der adlige und hochdekorierte Luft-Terrorist der Nazi-Söldner-Truppe "Legion Condor", der am 26. April 1937 den Tod auf Guernika warf. Die Fregatte "Karlsruhe" kreuzt vor der spanischen Küste, angeblich zum Schutz der dort lebenden Deutschen, tatsächlich aber als Teil der Seeblockade, um Lieferungen für die rechtmäßige Regierung Spaniens zu verhindern. Die Deutsche Waffen- und Munitionsfabrik Karlsruhe, konkret das Zweigwerk Lübeck, liefert ab 1936 Patronen für die "Legion Condor".

Die anderen "Spanienkämpfer" aus Karlsruhe

Die Namen der Verteidiger der spanischen Republik aus Karlsruhe fehlen in ihrer Stadt. An einen wird zwar erinnert, im Museum für Literatur am Oberrhein und im Stadt-Wiki Karlsruhe fehlt jedoch, was Carl Einstein ab 1936 gemacht hat, warum er so handelte und warum er in den Tod floh. Wäre er nicht Kunsthistoriker gewesen, wäre auch er vergessen gemacht worden wie die bisher namenlosen Antifaschisten, gehörten sie doch zum niederen Volk, waren Färber, Kraftfahrer, Mechaniker, Metallarbeiter, Schlosser und Schreiner, meist Facharbeiter, auch ein Meister. Einer hatte Jura studiert, aber auch er fiel der partiellen Amnesie anheim: Rechtsanwalt August Hoffmann ist erst ab 1945 als SPD-Stadtrat genannt. Bei den 12 Jahren davor fehlt, dass er vor 1933 im Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold gegen die NSDAP kämpfte, dass er 1936 in Spanien in der Fliegerstaffel André Malraux gegen die Putschisten kämpfte, dass er 1939 im Lager Gurs eingesperrt war und die Nazis ihn 1943 über das Gefängnis Karlsruhe ins KZ Dachau verschleppten. Das Reichssicherheitshauptamt begründete die weitere "Schutzhaft" mit: "… ist anzunehmen, dass Hoffmann auf Grund seiner marxistischen Gesinnung, die er durch aktive Teilnahme am span. Bürgerkrieg betätigt hat, seine Freiheit zu weiteren staatsfeindlichen Umtrieben missbrauchen werde".

Über Gurs und Karlsruhe ins KZ Dachau verschleppen die Nazis auch Emil Hoffmann, Adolf Kempf und Eugen Seidt. Otto Schmuck überlebt Gurs und dann die vier Jahre Zuchthaus im Gefängnis Karlsruhe und im Zuchthaus Ludwigsburg. Fritz Birk ist nach 1942 im Zuchthaus Ludwigsburg und ab 1944 im KZ Flossenbürg eingesperrt.

Eugen Seidt, Gewerkschafter, Betriebsrat, Kommunist, Freiwilliger für die spanische Republik 1936 und Überlebender des KZ Dachau, hier 1950 mit seinem Sohn Michael

Motive der Spanienfreiwilligen: "Gegen die NS-Gewaltherrschaft in Deutschland"

Eugen Seidt flieht 1935 nach Frankreich, bevor er ab 1936 bei den Internationalen Brigaden im Bataillon Edgar André kämpft und dann Kraftfahrer im Sanitätsdienst wird. Nach der Befreiung schreibt er: "Ich habe auf der Seite der rechtmäßigen republikanischen Regierung in Spanien am Kampf gegen die NS-Intervention teilgenommen. Der Kampf gegen die von der NS-Regierung nach Spanien beorderte 'Legion Condor' war zugleich ein Kampf gegen die Festigung der NS-Gewaltherrschaft in Deutschland". Seidt überlebt die Lager Gurs und Le Vernet, die Gefängnisse Karlsruhe und Ulm und das KZ Dachau.Carl Einstein antwortet 1938 auf die Frage zu seinen Motiven: "Das ist die einzige nützliche Sache, die es zur Zeit gibt. Und weil ich die Monotonie eines faschistischen Europa nicht aushalten will… Ich bin gekommen, weil die Spanier das einzige Volk sind, das nicht erlaubt, dass es verkauft wird, obwohl alle Welt sich anstrengt, es zu verkaufen… Wir müssen diese Leute hier mit allen Mitteln verteidigen. Denn, wenn wir nach alledem hier noch in Freiheit schreiben und malen können, dann ist dies - wortwörtlich - nur dem spanischen Widerstand zu danken. Ich wusste von Anfang an, dass ich in Spanien meine eigene Arbeit, die Möglichkeit, als freies Individuum zu denken und zu fühlen, verteidigen würde".

Carl Einstein, Kunsthistoriker und Freiwilliger in der anarchosyndikalistischen Columna Durruti für die spanische Republik 1936-1939

Einstein kämpft, obwohl Mitglied der KPD, in der Columna Durruti der Anarchosyndikalisten. 1938 erscheint die Broschüre "Die deutsche Intervention in Spanien", in der er Waffenlieferungen für Franco aus Deutschland mit Dokumenten, Lieferscheinen etc. nachweist - bisher weder übersetzt noch veröffentlicht, ein angesichts der aktuellen Rüstungsexporte gebotener Reprint. Nach dem Sieg der Putschisten wird er 1939 im Lager Argelès in Südfrankreich interniert, kommt wieder frei, geht nach Paris, wird wieder eingesperrt, wahrscheinlich im Lager Bassens bei Bordeaux. Er weiß, was ihn wohl bald erwarten würde: "Man wird mich internieren, und französische Gendarmen werden uns bewachen. Eines schönen Tages werden es SS-Leute sein. Aber das will ich nicht. Je me foutrai à l'eau. Ich werde mich ins Wasser werfen!" Sein zweiter Selbstmordversuch ist erfolgreich: Am 7. Juli 1940 wird seine Leiche aus dem Fluss Gave de Pau bei Boeil-Bézing geborgen.

Vom 3. Stock im Hinterhaus in der Bahnhofstraße in Karlsruhe auf den Sitz des Ministerpräsidenten von Mecklenburg im Schweriner Schloss

Hinweise auf Karlsruher, die wie Einstein bei den Anarchisten kämpften, sind spärlich: Der Seemann Theodor Haag wird im französischen Wüstenlager Djelfa in Algerien von britischen Truppen befreit, die letzte Meldung vom Zimmermann Philipp Urban stammt von 1939 aus Nîmes.

Hermann Hertz, wie Einstein aus einer jüdischen Familie stammend, überlebt; nach seiner Flucht 1938 in die USA fehlt jede Spur. Er war Mitglied der Sozialistischen Arbeiter-Partei, einer linken Abspaltung von der SPD.

Bei der SPD sind August Hoffmann, Franz Deck und Johann Heinz. Die beiden Letztgenannten schließen sich in Frankreich der Résistance an, Deck überlebt, Heinz, Mitglied des Maquis Bir-Hakeim, wird 1944 von der NS-Wehrmacht erschossen. Josef Eckl und Emil Maisch können aus Lagern bzw. Arbeitskompanien entkommen und sind in der Résistance gegen die Hitler-Truppen aktiv.

Der Karlsruher Spanienkämpfer Karl Ganz alias Kurt Bürger wurde 1946 SED-Abgeordneter des Landtags von Mecklenburg und 1951 kurz vor seinem Tod Ministerpräsident des Landes (Briefmarke der DDR 1974)

Fast zwei Drittel der Spanienfreiwilligen aus Karlsruhe sind Kommunisten, die meisten auch Gewerkschafter. Alle mussten ab 1933 aus ihrer Heimat fliehen. Einer von ihnen ist Kurt Bürger, 1894 geboren als Karl Ganz. Er stammt aus einer Arbeiterfamilie, in einem Hinterhaus in der Bahnhofstraße wohnhaft. Als Schlosser wird er Mitglied des Deutschen Metallarbeiter-Verbandes. Ab Februar 1933 arbeitet er im Untergrund als "Kurt Bürger" gegen die Nazis. Verrat aus den eigenen Reihen zwingt ihn zur Flucht. In der UdSSR ist er 1934 verantwortlich für die Veröffentlichung von Dokumenten und Berichten u.a. aus dem KZ Dachau unter dem Titel: "Aus Hitlers Konzentrationslagern". Die Schrift, illegal nach Nazi-Deutschland geschmuggelt, steht schnell auf der "Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums" der Reichsschrifttumskammer. Ein Reprint dieses Zeugnisses des frühen Widerstands steht noch aus. 1936 ist er als "Karl Eiche" zuerst beim Stab der Internationalen Brigaden in Albacete, dann kämpft er im Bataillon Edgar André. In seinem Tagebuch steht am 24. Februar 1937: "Ich denke an die Verbrechen der faschistischen Banditen in Albacete und Valencia. Wieder sind meist Frauen und Kinder ihre Opfer. Die faschistischen Flieger, die unbefestigte, friedliche Städte (meist in der Nacht) mit Bomben belegen, sind die feigsten Mordbuben in der Kriminalgeschichte aller Jahrhunderte... Wehe dem Volk, das wehrlos ist gegenüber den Mächten der Reaktion".

Im April 1937 muss er wegen einer Erkrankung nach Paris. Nach einer Operation kehrt er 1938 in die UdSSR zurück. 1945 kommt Bürger aus dem Exil und ist von 1946 bis 1951 SED-Abgeordneter im Landtag von Mecklenburg. Am 20. Juli 1951 wählt ihn der Landtag zum Ministerpräsidenten, acht Tage später stirbt er nach einem Herzanfall.

In der DDR erinnerte an ihn eine Briefmarke. Der Name Heinz steht auf einem Denkmal in den Cevennen, für Einstein gibt es in Boeil-Bézing eine Gedenktafel. Sie und die anderen Spanienfreiwilligen harren der Wahrnehmung und noch mehr der Würdigung in Karlsruhe. Der Bomber-Pilot aus Karlsruhe war 1957 wieder integriert in seinem Metier, verabschiedet ihn doch die Bundeswehr 1971 mit allen Ehren. Die anderen "Spanienkämpfer" müssen z.T. bis 1975 um Entschädigungen streiten.

1996 verleiht die spanische Regierung auf einstimmigen Beschluss des Parlaments den Freiwilligen der Internationalen Brigaden in Anerkennung ihrer Verdienste die spanische Ehrenbürgerschaft. 20 Jahre später fehlt ein solches Signal - nicht nur in Karlsruhe.

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