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Blick in die Geschichte Nr. 121

vom 14. Dezember 2018

"Da hat sich das Holz bewegt und geknistert"

Der Karlsruher Star-Club in der Kaiserstraße 95

von Stefan Kirstätter

In Berlin wird eine Mauer gebaut und auf Kuba nur zufällig der Dritte Weltkrieg vermieden. Als alle grübeln, welche Überraschungen der Kalte Krieg noch bereithält, veröffentlichen im Oktober 1962 die Beatles "Love me do" und die Teenager fallen sich im Westen kreischend in die Arme. Musikalisch keine Wunderwerke, aber einer Welt, die am Abgrund tanzt, kann ein wenig Rhythmusgefühl nicht schaden und gute Laune sowieso nicht.

In Hamburg hat der "Star-Club" die Band aus Liverpool früh auf seine Bühne gebracht und versteht es fortan, dieses Renommee in klingende Münze zu verwandeln. Da man nicht überall sein kann, werden Ableger des Clubs gegründet und die Bands quer durch die Republik geschickt, vom ostwestfälischen Bielefeld bis in den Süden der Republik - bis nach Karlsruhe. Dort krempelt der neue Club die musikalische Landschaft um und trifft auf begeisterte Fans und eine oftmals entsetzte ältere Generation.

Vor 1962 beherbergt das Sandsteingebäude in der Kaiserstraße 95 die "Allotria Tanz-Bar" sowie die angeschlossene Schnellgaststätte "Zack-Zack". Der Andrang hält sich in Grenzen. Nun residiert hier ein Ableger des Hamburger Star-Clubs.

Gastspiel der Beatband "The Liverbirds" im Club 007 im März 1966

"Die haben keine Fenster gehabt. Das war alles zugemacht mit Pressspan. Wenn man jetzt da draußen gelaufen ist, dann hat es gemacht: Bum! Bum! Bum! Bum! - der Bass. Das hat alles vibriert. Das war ein einmaliger Sound, wie man ihn nie wieder gehört hat. Wie eine Lufthupe war das mit den Bassfrequenzen. Da hat sich das Holz bewegt und geknistert." So erinnert sich der Landauer Singer-Songwriter und Bassist Otto Reif, der selbst im Star-Club aufgetreten ist. Mit dem neuen Lebensgefühl der Beat-Zeit ändern sich nicht nur Name und Interieur, das musikalische Zentrum der Stadt schiebt sich nach Osten. Beatles und Stones werden hier niemals spielen, die Gäste ahnen das. Man ist immer noch in Karlsruhe und weiß das auch. Aber das macht nichts, hat man doch ab sofort einen eigenen "Star-Club". Die Akustik ist hervorragend. Der trockene Sound plättet viele der Besucher, die derlei nie zuvor gehört haben. Wird noch mit ordentlicher Lautstärke gespielt, klingt für die zu Beginn noch ungeschulten Ohren fast alles gut.

Das Umfeld des "Star-Club"

Die neue Musik hätte keinen besseren Ort finden können, obwohl das Haus alles andere als jugendlich daherkommt. Bereits 1818 wird in der Kaiserstraße 95 der "Ochsenwirth Johann Roos" geführt - zwei Häuser weiter in Nummer 99 wohnt über dem Gasthaus "Rappen" Oberbürgermeister Bernhard Dollmaetsch, der aus einer Gastronomendynastie stammt. Ein gutes Umfeld … und in all den Jahren bleibt Nummer 95 eine Gastwirtschaft, meist mit angeschlossenem Hotel. Namen verschwinden, Betreiber kommen und gehen. Um die Jahrhundertwende wandelt der Ort sich zum Café Imperial, kurz darauf in den Maierhof, es folgen weitere Cafétieren. Um das Jahr 1928 bricht die Linie ab. Das Café Mozart packt seine Tassen ein, das Kaufhaus Schneyer Damenkollektionen, Moden und Textilien in die Auslage. Das Pendel schwingt 1961 zurück, als Alex Jakobsohn den Betrieb der "Allotria Tanz-Bar" aufnimmt, die eine gewisse Zeit ihre Gäste hat, bis der "Star-Club" Gitarren einstöpselt und mit dem Schwung frischer Musik alles auf eine letzte Ebene hebt. Heruntergekommen ist das Gebäude da immer noch. Vielleicht macht das seinen Reiz aus. Man hat den Geruch des Dörfles in der Nase, ihn aber nicht in den Kleidern hängen. Man trifft die Halbwelt, geht aber nicht mit ihr ins Bett. Wie in der "Hawaii-Bar" treffen in einem Zwischenraum Welten aufeinander.

Das Gebäude Kaiserstraße 95, das einst den Star-Club beheimatete, im Juni 1973 kurz vor dem Abriss im Rahmen der Altstadtsanierung

Mitte der 1960er hebt sich der Star-Club deutlich von den arrivierten Wirtshäusern der Stadt ab. Wenige Meter westlich wird in der Kaiserstraße 42 in der "Alpenrose" ebenfalls ordentlich Bier ausgeschenkt. Verschiedener könnten die Lokale aber nicht sein: Tanzt man im "Star-Club" Richtung Modernität, schunkelt die "Alpenrose" zwischen traditioneller Folklore und Volksmusik. Hier flattern keine Plakate und Stoffreste von den Wänden, hier herrscht an den Tischen "behagliche" Atmosphäre. Man kann sich den "Star-Club" in dieser Welt der aufblühenden "Alpenrose", des bierseligen "Oberbayern" und in die Jahre gekommenen "Krokodils" nicht schrill genug vorstellen. Schräge Akkorde, junge Männer mit zu langen Haaren und junge Frauen, die immer öfter die zu kurzen Röcke auch noch gegen Hosen tauschen - und dann alles noch in diesem Haus. Der Club liest sich wie eine Kampfansage an den verbürgerlichten Kitsch der Heimatfilme und halbseidenen Kapellen, wie sie im "Café Roederer" aufspielen. Das kann verwirren. Das will verwirren.

"Geh'sch nai, geh'sch naus?"

Der "Star-Club" in der Kaiserstraße 95 wird zum "Center of Beat", wie er sich selbst nennt. Jeder Junge, jedes Mädchen will dort hinein. Aber bevor man sich von den Gitarren die Ohren wegrohren lässt, muss man durch die Tür. Der Anfang ist leicht. Man biegt unten rein und steigt eine halbrunde Treppe hoch, alles rot ausgelegt mit Teppich. Dann wartet man "vor einer Tür, wie im Saloon, und da waren zwei Rausschmeißer. Und jetzt durfte man da eine Weile stehen und die Bands anhören und gucken. Da wir noch Jungs waren, ich war 1964 noch 14, haben sie gesagt: "Geh'sch nai, geh'sch naus?" Dann konnte es passieren, dass die einen die Treppe runtergeschmissen oder gesagt haben: "Jetzt wird's wieder Zeit, hau ab!" (Otto Reif) Drinnen muss man sich erst einmal die Augen reiben. Dunkel ist es. Hinten etwas erhöht, dann geht es wieder nach unten - ganz hinten die Bühne, links daneben die Theke. Der Laden öffnet nachmittags, da warten die ersten Gäste bereits an der Tür.

"Um 17 Uhr war es nicht arg voll, da waren Teenies da, die rangeschlichen sind und ein schlechtes Gewissen gehabt haben, dass sie überhaupt reindürfen. Die Altersgrenze war, glaube ich, 16. Ein Bier hat 4,30 Mark gekostet plus einen Schnaps. Die jungen Leute, die reingekommen sind, sind stundenlang vor einer Cola gesessen. Man hat das ausgedehnt, man hat ja kein Geld gehabt," erinnert sich der Durlacher Harald Braun.

Der "Star-Club" entwickelt sich schnell zu einem regionalen Anziehungspunkt. Am Wochenende spielen Stargäste wie Manuela & The 5 Dops oder Casey Jones & The Governors. Während der Woche gibt es klassisches Programm - zwei Gitarristen, Bass dazu und in der Mitte der Schlagzeuger. Junge Amateurmusiker bilden den Nachschub für die Kaiserstraße 95.

"Den englischen Musikern auf die Finger zu gucken war das Nonplusultra. Was spielen? War ja alles Neuland, wir kannten ja gar nix. Die waren allen voraus, das war grandios." (Otto Reif) Der Star-Club multipliziert und bringt Welt in die Provinz.

Chuck Berry und Rufus Thomas

Über alldem schweben - trotz Beatles und Stones - die Songs von Chuck Berry. Allen voran "Too much monkey business". Er war der dort wohl meist gespielte Künstler. Der Großvater des Beat, wie auch Bo Diddly. "Ein ganz bekanntes Lied, das beinahe jede Star-Club-Band gespielt hat, war 'Walking the dog' von Rufus Thomas. 'Shakin' all over' hat auch fast jeder gespielt und zwar in der Version von Johnny Kidd and the Pirates. Das Lied hat eingeschlagen wie eine Bombe und dann haben das auch die Lords gemacht." (Otto Reif) In seiner Hochzeit zieht der Star-Club sich den eigenen Nachwuchs heran. Es werden Beat-Wettbewerbe veranstaltet für die Bands aus dem Umkreis und deren Fans. Als Preis winkt ein Engagement in Hamburg, wo auf jener Bühne gespielt wird, auf der die Beatles ihrer Karriere einen kräftigen Schubs gegeben haben. Aus Karlsruhe schaffen es die Beethovens mit Frieder Nagel an die Elbe. Aber man muss es nicht bis nach Hamburg schaffen, will man zur Familie gehören. Es reicht, die geschwungene Treppe zum 1. OG hinaufzusteigen, durch die Saloon-Tür zu treten und die Bühne zu sehen, den Sound zu hören.

Überall in der Stadt brummeln die Boxen. Karlsruhe dreht die Verstärker auf.

Stefan Kirstätter, Abteilungsleiter Copernicus-Gymnasium Philippsburg

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