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Blick in die Geschichte Nr. 121

vom 14. Dezember 2018

"Tochter der Südstaaten" mit deutschem Akzent

Winnie Davis' Schulbesuch in Karlsruhe

von Volker C. Ihle

Am 23. Mai 1876, einen Monat vor ihrem 13. Geburtstag, begann in Karlsruhe für die Tochter des Ex-Präsidenten der Konföderierten Staaten von Amerika ein neuer Lebensabschnitt. Was Jefferson Davis und seine Frau Varina dazu bewogen hat, ihre jüngste Tochter Winnie gerade dorthin zur Schule zu schicken, und nicht wie ihre ältere Tochter nach Paris, wird in den unzähligen Biographien über die Präsidentenfamilie vage mit einer Empfehlung von Bekannten begründet. Für die persönliche Entwicklung der später als Idol der Südstaaten gefeierten Winnie Davis waren die Karlsruher Jahre jedenfalls prägend.

Winnie Davis

Im Weißen Haus der Südstaaten geboren

Eigentlich hieß die Präsidententochter Varina Anne, doch in die amerikanische Geschichte ging sie mit ihrem Kosenamen Winnie ein. Als sechstes Kind des Ehepaars Davis kam sie am 27. Juni 1864 in Richmond, Virginia, im Weißen Haus der Konföderierten Staaten zur Welt. Für die große Mehrheit der Bevölkerung galt dies als gutes Omen für die Zukunft der Südstaaten. Die Eltern dürften das Ereignis mit zwiespältigen Gefühlen erlebt haben. Zwei Monate zuvor hatte sich ihr fünf Jahre alter Sohn bei einem Sturz vom Balkon tödlich verletzt, und aus der Ferne waren die ersten Kanonenschüsse des Bürgerkriegs zu hören.

Der amerikanische Sezessionskrieg und dessen Folgen prägten Winnies gesamtes Leben. Der Norden mit seiner aufstrebenden Industrie wollte Schutzzölle und eine starke Zentralmacht, der landwirtschaftlich geprägte Süden dagegen Freihandelspolitik und eine weitreichende Autonomie der Bundesstaaten. Der Streit entzündete sich, als der Republikaner und Nordstaatler Abraham Lincoln US-Präsident wurde und die Sklaverei für alle Bundesstaaten abschaffen wollte. Elf Staaten sagten sich von den USA los und gründeten eine unabhängige Republik mit eigener Hauptstadt, Währung, Armee und Regierung. Jefferson Davis, der als US-Abgeordneter der Demokraten, als Senator für den Staat Mississippi und als Verteidigungsminister der USA viel politische Erfahrung hatte, wurde ihr erster und einziger Präsident. Das Ende der Konföderation kam nach etwas mehr als vier blutigen Jahren mit der Kapitulation 1865. Jefferson Davis kam ins Gefängnis, seine Frau mit den Kindern unter Hausarrest. Winnie durfte ihn als einziges Kind während der Haft besuchen. Trotz der Anträge von Davis kam es nie zu einem Gerichtsverfahren. Schließlich wurde er nach zwei Jahren entlassen und galt bei seinen Anhängern als Märtyrer.

In Karlsruhe aufgeblüht

Die Familie lebte danach kurz in Kanada, zeitweise auch in London und Paris, wo sie Freunde und Anhänger hatte. Nach mehrjähriger Tätigkeit als Präsident einer Versicherung in Memphis suchte Davis in England eine neue Beschäftigung. Winnie wurde von ihren Eltern unterrichtet. Sie lernte es, mit politischen Themen das Interesse ihres Vaters zu gewinnen, verlor aber den Kontakt zu Gleichaltrigen. Als ihr jüngster Bruder an Diphtherie starb und die Mutter nervlich überlastet war, reifte der Entschluss, Winnie in eine Mädchenschule nach Karlsruhe zu schicken. Von London aus brachte sie ein Freund der Familie dorthin, während der Vater in die USA zurückkehrte. Die Mutter kurierte sich in England, besuchte aber oft ihre Tochter in Karlsruhe und wurde auch von dieser besucht.

Das Institut Friedländer in der Stephanienstraße 74 zählte zu den angesehensten Schulen in Baden und stand unter der Protektion von Großherzogin Luise. Winnie wohnte über fünf Jahre im angeschlossenen Pensionat, dem sie und einige andere ausländische Mädchen ein internationales Flair gaben. Wie alle Schülerinnen war sie streng behütet, was Davis sicher entgegenkam, da er eine zunehmende Sturheit bei seiner jüngsten Tochter bemängelt hatte. Bei seinem Besuch in Karlsruhe im Oktober 1876, wo er auch eine Nacht im Internat verbrachte, äußerte der Ex-Präsident seine hohen Erwartungen in die deutsche Systematik und Gründlichkeit. Gleichzeitig wies er Winnie auf die Bedeutung von Pflicht und Selbstaufopferung hin. Das Attentat auf Kaiser Wilhelm I. 1861 in Baden-Baden, bei dem sich dessen Tochter, die Großherzogin von Baden, zum Schutz vor ihren Vater warf, muss sie daran erinnert haben. Als sie ihrer Mutter davon berichtete, zeichnete sie die Szene wie sie ihr geschildert wurde.

Oberer Teil einer Ansichtskarte von 1904 mit Bild des Instituts Friedländer in der Stephanienstraße 74

Trotz der im Winter kalten und zugigen Räume ist Winnie der Aufenthalt in Karlsruhe sehr gut bekommen. Sie blühte regelrecht auf. Nach einem Besuch schrieb Varina Davis an ihren Mann: "... aus dem nervlich angeschlagenen, verträumten Kind, das wir träge, rheumakrank und mit Verdauungsstörungen in Karlsruhe zurückließen, ist ein munteres, gesundes und fröhliches Mädchen geworden, das recht fleißig ist und einen gesegneten Appetit hat." Winnie wurde eine der besten Schülerinnen und die Direktorin bezeichnete sie als Vorbild für die Schule. Ehepaar Davis hingegen lobte in mehreren Schreiben die ausgezeichnete Erziehung, die Winnie in Karlsruhe genoss. Welch hohen Stellenwert das Institut für Winnie selbst besaß, beweist ein langer Beitrag zum Tod von Rosalie Friedländer, den sie für eine Zeitung in New Orleans schrieb.

Zur Ikone erhoben

1881 kehrt Winnie von Karlsruhe nach einem mehrwöchigen Aufenthalt in Paris zu ihrer Familie nach Mississippi zurück und sieht nach fünf Jahren erstmals wieder ihren Vater. Im selben Jahr erscheint dessen Buch über den "Aufstieg und Fall der Konföderation", was den Mythos des verlorenen Kriegs förderte. Prominenz wie Oscar Wilde besucht die Familie, und Davis erhält Einladungen als Redner oder als Ehrengast bei Einweihungen. Als er am 30. April 1886 krankheitshalber eine Rede nicht halten konnte, stellte der Gouverneur von Georgia der jubelnden Menge Winnie als "The Daughter of the Confederacy" vor. Obwohl die 21jährige vor Überraschung kein Wort hervorbrachte, war dies ihr Beginn zum Superstar, auf den alle Erinnerungen und Hoffnungen des Südens projiziert wurden. Ihren deutschen Akzent schien damals niemanden zu stören. Dass sie den amerikanischen Bürgerkrieg aus europäischer Sicht kennengelernt hat, erwies sich als Vorteil, da ihr der im Süden weitverbreitete Hass auf die Nordstaaten fremd war; und ihr Gefühl, nach fünf Jahren Karlsruhe-Aufenthalt eine Fremde im eigenen Land zu sein, gab ihr vielleicht die nötige Distanz. Sie wurde zunehmend von Reportern umschwärmt, zunächst nur im Süden, später auch im Norden. Der New Yorker Pressemagnat Joseph Pulitzer, der im Bürgerkrieg auf Seiten der Nordstaaten kämpfte, bat sie sogar Patin seines Sohnes zu werden.

Als Varina Davis 1890 die Verlobung ihrer Tochter mit einem "Yankee", einem Nordstaatler, bekannt gab, ging ein heftiger Aufschrei durch die Südstaaten, obwohl der Ex-Präsident - inzwischen gestorben - der Heirat noch zögerlich zugestimmt hatte. Winnie Davis litt zunehmend an depressiven Anfällen und Selbstzweifel. Nach längerem Zaudern löste sie die Verlobung auf, was in den Südstaaten als Aufopferung "zu Ehren der Konföderation" interpretiert wurde und ihr Ansehen steigerte. Aus gesundheitlichen Gründen und um den gesellschaftlichen Bürden zu entfliehen, zog sie mit ihrer Mutter nach New York, wo sie Beiträge für Zeitschriften sowie drei Romane veröffentlichte.

Winnie Davis starb 1898 in New York im Alter von 34 Jahren nach mehrwöchiger Krankheit. Als "Tochter der Konföderation" wurde sie mit vollen militärischen Ehren in ihrem Geburtsort Richmond beigesetzt. Es dürfte die größte Beerdigung gewesen sein, die bis dahin einer amerikanischen Frau zuteilwurde.

Seit dem Tod von Winnie Davis sind über 120 Jahre vergangen. Doch die Erinnerung lebt fort. Ihr Zeugnis sowie Zeichnungen, Gemälde und Gegenstände aus der Karlsruher Zeit werden täglich im Jefferson-Davis-Museum bewundert. Ihre drei Romane wurden in den letzten Jahren neu aufgelegt, und über sie selbst sind neue Biographien erschienen; die bisher letzte im Jahre 2014, nachdem die Rice University in Texas im Rahmen ihres Großprojektes "The Papers of Jefferson Davis" neue Erkenntnisse gewonnen hat. In jeder Biographie, wie auch in einem 2011 erschienenen Roman, der auf dem Leben von "Winnie Davis, Daughter of the Confederacy" basiert, wird eine prägende Station im Leben der "Tochter der Südstaaten" ausdrücklich gewürdigt: "Carlsruhe".

Professor Volker C. Ihle, Leiter Studiengang Wirtschaftsingenieurwesen, Wissenschaftliche Leitung International Office an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg

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