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Blick in die Geschichte Nr. 125

vom 6. Dezember 2019

Joseph Reichlin von Meldegg

Jurist und Chronist in Zeiten des Großherzogtums

von Reiner Haehling von Lanzenauer

In der Badischen Landesbibliothek in Karlsruhe trifft man auf zwei schlichte Bändchen, erschienen 1872 und 1874 unter dem Titel Erinnerungen eines badischen Beamten. Der Verfasser dieser Denkwürdigkeiten gibt sich zwar nicht namentlich zu erkennen, lässt sich indes anhand der dargestellten Vorgänge unschwer ermitteln.

Die Wurzeln der Familie Reichlin von Meldegg sind auf der Schweizer Seite des Bodensees zu suchen, frühe Vorfahren treten in der Neuzeit auf der deutschen Seite des Seeraumes auf. So diente ein Josef Carl Reichlin von Meldegg erst in fürstlich-fürstenbergischen Diensten, ehe er im Jahre 1804 in die badischen Staatsverwaltung übernommen wurde. Nach einigen Jahren hat man ihn zum Hofgerichtsrat in Freiburg ernannt. Aus seiner Ehe mit Sidonie Leuthin gingen drei Kinder hervor. Das jüngste der Kinder, Carl Joseph August − unser Memoirenschreiber − war am 19. Januar 1806 auf Reichenau geboren worden. Der Junge besuchte das Freiburger Gymnasium, danach studierte er an der örtlichen Universität Rechtswissenschaft. Das Staatsexamen bestand er mit der Note gut, somit wurde er unter die Rechtspraktikanten aufgenommen.

Beim Bezirksamt Lörrach erlernte er die Alltagspraxis, damals waren Rechtsprechung und Verwaltung bei den unteren Behörden noch in eine Hand gegeben. Von nun an wurde der Jurist alle paar Jahre an immer neue Dienstorte versetzt: Bezirksamt Rheinbischofsheim, die Hofgerichte Rastatt und Freiburg, die Bezirksämter Müllheim, Bonndorf, Philippsburg, Bühl und Breisach. Schließlich kam er als Regierungsrat an die regionale Regierung des Seekreises in Konstanz. Verheiratet war er seit 1835 mit Eleonore Bustert aus Kleinlaufenburg. Aus der Ehe sind die Söhne Hermann, Albert und Eugen hervorgegangen. Im Jahre 1862 hat man den inzwischen zum Geheimen Regierungsrat beförderten Vater pensioniert. Sieben Jahre nach dem Tod seiner Ehefrau, nämlich am 19. März 1876, ist er an seinem Ruhestandsort Freiburg verstorben.

Sohn Hermann oder Sohn Albert des Joseph Reichlin von Meldegg um 1855; ein Porträt des Vaters konnte nicht gefunden werden

In einem bewegten Beamtenleben sammelte Reichlin vielerlei Erfahrungen und Erkenntnisse. Zu Beginn seiner Dienstzeit musste er im Amtshause die praktische Anwendung von Prügelstrafe mit ansehen. Der junge Delinquent trug eine Bank herbei und legte sich darauf. Nun verabreichte der Amtsdiener dem vor Schmerz laut Schreienden 25 gerichtlich verordnete Stockschläge. Danach trug der arme Mensch die Bank wieder zurück, um im Dienstzimmer das Vollzugsprotokoll zu unterschreiben. Gleichermaßen wurden in den Gefängnissen die Verurteilten als Willkomm und als Abschied mit Stockschlägen traktiert. Erst im Jahre 1831 konnte ein Verbotsgesetz durchgesetzt werden. Zeitgleich kam es zu einer Gefängnisreform, wodurch die bloße Verwahrung der Bestraften durch gezielte Erziehungs-, Besserungs- und Unterbringungsmaßnahmen ersetzt worden ist. Mitfühlende Bürger gründeten Hilfsvereine für eine Gefangenen- und Entlassenenfürsorge.

Ein andermal befasste sich Reichlin mit einem länger zurückliegenden schweren Verbrechen: Zu Ende einer Konferenz zwischen deutschen und französischen Diplomaten im Rastatter Schloss hatten die Franzosen am 28. April 1799 mit Frauen und Dienerschaft ihre Chaisen zur nächtlichen Heimfahrt bestiegen. Vor der Stadt wurde die Reisegruppe plötzlich überfallen, zwei französische Diplomaten durch Säbelhiebe getötet, die anderen Reisenden ausgeplündert. Man ging davon aus, dass es sich bei den Angreifern um österreichische Szekler-Husaren gehandelt hat. Dreißig Jahre später konnte Reichlin von früheren Zeitzeugen Näheres zu dem Fall erfahren. Dies veranlasste ihn, eine kleine Schrift über den Rastatter Gesandtenmord herauszubringen. Im Sommer 1830 machte der Großherzog Leopold einen Staatsbesuch in Rheinbischofsheim. Beim Anblick des Monarchen sinnierte Joseph Reichlin über das aktuelle Auftreten des Findlings Kaspar Hauser, das von der Fama mit der badischen Dynastie in Verbindung gebracht wurde. Während seiner Müllheimer Dienstzeit konnte Reichlin entscheidend zur Aufklärung eines Mordes beitragen, da er zuvor einen Verdächtigen genau beobachtet hatte.

Die Karlsruher Bürgerwehr um 1848/49

Während der Revolutionsereignisse 1848/49 wurde der Beamte häufig zum Augenzeugen. In einem seiner Berichte hielt er fest, wie der Volksverein in Bühl eine Trauerfeier zu Ehren des in Wien hingerichteten Revolutionärs Robert Blum veranstaltete. Unerwartet viele Bürger zogen mit Fahnen, Fackeln und Trauermusik zum Friedhof, ein Bild Blums wurde dem Zuge vorangetragen. Beruhigt registrierte die Obrigkeit, wie nach einer Gedenkansprache die Bühler friedlich nach Hause liefen. Nach der Flucht des Großherzogs aus dem Karlsruher Schloss verbrüderten sich die badischen Soldaten mit den Revolutionären. Da rückte auch die Bühler Bürgerwehr aus in Richtung Karlsruhe, um die Aufständischen zu unterstützen. Reichlin, der während seiner Studentenzeit einer verbotenen freiheitlichen Verbindung angehört hatte, stand den demokratischen Forderungen offen gegenüber. Allerdings verurteilte er entschieden jede Anwendung von Gewalt. So wie er hatten sich gerade die jungen Beamten den neuen Ideen keineswegs verschlossen. Ein bezeichnendes Beispiel bietet jene von Reichlin geschilderte Szene beim Hofgericht Freiburg, wo die Jüngeren im Laufe einer Urteilsberatung die in Traditionen verharrenden älteren Richterkollegen überzeugen, neue Gesetzesnormen jetzt in die Praxis umzusetzen. Für eine ganze Epoche überliefert Reichlin von Meldegg solche Entwicklungsschritte auf dem noch recht weiten Wege zu einem modernen Rechtsstaat.

Dr. Reiner Haehling von Lanzenauer, Jurist und Historiker

Vom Autor ist erschienen: Der badische Jurist Reichlin von Meldegg und seine Zeit, Karlsruhe 2019 (= Heft 35 der Schriftenreihe des Rechtshistorischen Museums, Karlsruhe).

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