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Blick in die Geschichte Nr. 125

vom 6. Dezember 2019

Nationalsozialistische Gewalt in Karlsruhe

Die Prügelei im "Darmstädter Hof" am 19. Dezember 1929

von René Gilbert

In der Weimarer Republik, insbesondere in deren Endphase, wurde die politische Auseinandersetzung auch in Karlsruhe durch den Gegensatz von Nationalsozialisten und den Vertretern der anderen politischen Parteien beherrscht. Neben dem verbalen parlamentarischen Schlagabtausch kam es dabei ab 1929 vermehrt auch im öffentlichen Raum zu Handgreiflichkeiten bzw. körperlichen Attacken zwischen beiden Seiten. Als erster Vorfall dieser Art ist die sogenannte Hoelz-Schlacht vom 23. April 1929 zu nennen. An diesem Tag sprach Max Hoelz, ein aus Sachsen stammender und 1921 führend an kommunistischen Aufständen in Mitteldeutschland beteiligter Kommunist, in der Karlsruher Festhalle, wobei es am Ende der Veranstaltung zu einer tätlichen Auseinandersetzung zwischen Kommunisten und Nationalsozialisten gekommen war, bei der Hoelz selbst verletzt wurde und erheblicher Sachschaden entstand. Ein weiterer Vorfall stellt die Prügelei zwischen Nationalsozialisten und einer Gruppe internationaler Konferenzteilnehmer im Gasthaus "Darmstädter Hof" vom 19. Dezember 1929 dar. Deren Ablauf und Nachspiel sollen im Folgenden dargestellt werden.

Das Gasthaus "Darmstädter Hof" in der Kreuzstraße 2

Der Tathergang

Nach der Meldung des Polizeiwachtmeisters Max Reiner und dessen schriftlicher Anzeige an die Staatsanwaltschaft betraten in der Nacht vom 18. auf den 19. Dezember 1929 kurz nach Mitternacht 25 Nationalsozialisten das Gasthaus "Darmstädter Hof" in der Kreuzstraße 2. In dem Lokal saßen 14 Mitglieder einer in Karlsruhe tagenden Konferenz der Internationalen Arbeitsgemeinschaft der Eisenbahnbeamten. Die teilweise uniformierten Nazis, unter ihnen die kurz zuvor in den badischen Landtag gewählten Abgeordneten Robert Wagner und Herbert Kraft sowie Franz Moraller, Schriftleiter der NS-Zeitung "Der Führer", setzten sich an einen Nebentisch. Als sie bemerkten, dass die Konferenzteilnehmer mehrheitlich französisch sprachen, stimmten sie verschiedene Lieder an, darunter "Soldaten, das sind lust'ge Brüder", in dem eine Liedzeile "Siegreich wollen wir Frankreich schlagen!" lautet.

Daraufhin machte einer der deutschen Eisenbahnbeamten die Wirtin Emilie Zeder darauf aufmerksam, dass ihm der Gesang vor seinen ausländischen Gästen peinlich sei, woraufhin die Wirtin die Nazis im Namen der anderen Gäste aufforderte, das Singen einzustellen. Dies verursachte bei den Nazis "große Unruhe und Empörung", worauf Wagner sagte: "Wenn die Wirtin in einem deutschen Lokal deutschen Männern das Singen verbietet, verlassen wir das Lokal." Daraufhin beschimpfte Hans Knaut, ein 38-jähriger Kaufmann, die deutschen Delegierten als Schweine und sagte zu den Franzosen: "Euch Lumpen haben wir 4 Jahre zusammengeschossen." Es entstand ein weiterer Wortwechsel zwischen dem deutschen Tagungsteilnehmer Christian Lassen und Robert Wagner, wobei das Wort "Boche" gefallen sein soll und Wagner Lassen unvermittelt ins Gesicht schlug, sodass dieser aus Nase und Mund blutete und zu Boden ging. Daraufhin prügelten die anderen Nationalsozialisten auf die übrigen Tagungsteilnehmer ein. Zusätzlich warf Franz Moraller ein Bierglas nach einem flüchtenden Tagungsteilnehmer. Allerdings verfehlte er diesen, traf dafür jedoch die Wirtin am Kopf, die bewusstlos zu Boden fiel.

Blick in die Weinstube des "Darmstädter Hofs" 1929

Noch bevor die zuvor von der Wirtin verständigte Polizei eingetroffen war, hatte sich die Lage in der Weise beruhigt, dass die Nazis das Lokal verlassen und sich vor ebendiesem versammelt hatten. Die eingetroffene Polizei forderte sie auf, sich aus der Umgebung zu entfernen, worauf Wagner entgegnete: "Die Polizei hat mir nichts zu sagen, ich gehe heim und von hier fort, wann ich will." Auch machte er aus seiner Verachtung für die Sicherheitskräfte keinen Hehl: "Dies ist wieder echt Remmele-Polizei."

Außer dem als Haupttäter ausgemachten Franz Moraller wurden Robert Wagner, Hans Knaut und Hermann Seitz, ein 23-jähriger Student, wegen Köperverletzung, Beleidigung, groben Unfug und Ruhestörung angezeigt. Die übrigen Nationalsozialisten wurden nicht belangt, "da von Seiten der Ausländer wegen der tätlichen Angriffe und Beleidigungen ursprünglich kein Strafantrag gestellt wurde und nur Moraller wegen Körperverletzung angezeigt worden wäre."

Dass der Vorfall nicht zu einer diplomatischen Krise führte, die wegen des wenige Monate zuvor ausgehandelten Young-Plans zur Leistung von Reparationszahlungen des Deutschen Reiches an die Siegermächte des Ersten Weltkriegs durchaus zu erwarten gewesen wäre, war dem französischen Konsul zu verdanken. Dieser reagierte besonnen und erklärte gegenüber dem badischen Staatsministerium noch am Tag des Geschehens, dass er "keine Beschwerde erheben" wolle. Um zu erfahren, wie der Vorfall von den weiteren beteiligten Ländern aufgenommen worden war, bat das badische Staatsministerium die badische Gesandtschaft fünf Tage später um diesbezügliche Auskunft: "Wir ersuchen die Gesandtschaft umgehend bei dem Auswärtigen Amt Erkundigungen einzuziehen, ob und von welcher fremden Regierung bisher wegen des Vorfalls bei dem Auswärtigen Amt Vorstellungen erhoben worden sind." Bereits am Folgetag meldete die badische Gesandtschaft in Berlin an das badische Staatsministerium, "dass wegen des Vorfalls bisher von keiner fremden Regierung beim Auswärtigen Amt Vorstellungen erhoben worden seien und das nach Umlauf von soviel Zeit […] Weiterungen wohl auch nicht mehr zu erwarten" seien. Diese Information ließ das Staatsministerium zu der Ansicht kommen, dass "Unannehmlichkeiten diplomatischer Art […] aus dem oben bezeichneten Vorfall, wie von dem Auswärtigen Amt mitgeteilt wurde, nicht erwachsen [seien]."

Die Verurteilung

Am 6. März 1930 wurde Franz Moraller vom Schöffengericht Karlsruhe wegen "erschwerter Körperverletzung, Beleidigung und fahrlässiger Körperverletzung" zu einer Geldstrafe von 200 Reichsmark verurteilt. Robert Wagner, dessen Immunität vom badischen Landtag am 30. Januar 1930 aufgehoben worden war, erhielt "wegen erschwerter Körperverletzung und Beleidigung" eine Geldstrafe von 100 Reichsmark und eine an den Reichsbahnoberinspektor Lassen zu zahlende Geldbuße in Höhe von 150 Reichsmark. Sowohl Moraller als auch Wagner legten gegen ihre Urteile vor der Großen Strafkammer des Landgerichts Karlsruhe Berufung ein. Während im Fall Moraller die Kammer der Vorinstanz folgte und den Antrag ablehnte, wurde das Urteil gegen Robert Wagner verworfen. Das Gericht befand am 11. Juli 1930, dass der Tatbestand der Beleidigung gegen ihn nicht aufrecht zu erhalten sei und verurteilte Wagner schließlich wegen leichter Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 100 Reichsmark. Doch auch dagegen legten Beide Revision vor dem Strafsenat des Oberlandesgerichts ein, der freilich am 11. Oktober 1930 als unzulässig verworfen wurde.

Schlussbemerkung

Die Prügelei im "Darmstädter Hof" stellte kein einmaliges Ereignis in der Geschichte der NSDAP in Karlsruhe dar. Vielmehr reihte es sich nahtlos ein in mehrere parlamentarische und außerparlamentarische Stör- bzw. Gewaltaktionen der Karlsruher Nationalsozialisten in der Endphase der Weimarer Republik. Den Auftakt hierzu bildete die bereits erwähnte "Hoelz-Schlacht". Als Höhe- bzw. Tiefpunkt kann freilich das Jahr 1931 angesehen werden, in dem es in der Fächerstadt gleich zu drei Aufsehen erregenden Vorfällen gekommen war: die von Nationalsozialisten und Kommunisten ausgetragene "Rathausschlacht" vom 11. Mai, der NS-Propagandamarsch vom 25. Mai, bei dem Paul Billet, Mitglied einer SA-Motorradstaffel, nach einer tätlichen Auseinandersetzung mit kommunistischen Gegendemonstranten unter bis heute nicht geklärten Umständen ums Leben kam sowie der Streit zwischen Nationalsozialisten und Sozialdemokraten um die Einbürgerung des Kaufmanns Jakob Brand im Karlsruher Stadtrat vom 17. Dezember.

Mit ihrem öffentlichen Auftreten gaben die Nationalsozialisten bereits in der Weimarer Zeit klar zu erkennen, welchen Umgang sie mit dem politischen Gegner zu pflegen gedachten, nämlich einen antidemokratischen und gewaltbejahenden, den sie in der Zeit ihrer späteren Diktatur bis ins Extrem fortsetzen sollten.

Dr. René Gilbert, Historiker, Karlsruhe

Eine ausführliche Fallschilderung ist in der Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 167 (2019) erschienen.

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