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Blick in die Geschichte Nr. 127

vom 26. Juni 2020

Freizeitvergnügen in Karlsruhe

Die Varietétheater Colosseum und Apollo

von Manfred Koch

Artistik, Tanz, Music, Comedy und Akrobatik in einem fulminanten Gesamtkunstwerk vereint und ein erlesenes Menu, das versprechen seit sieben Jahren die Macher des Crazy Palace immer um die Jahreswende ihrem Publikum im "Spiegelpalast" auf dem Karlsruher Messplatz. Zu denen, die seit den 1980er Jahren für die Wiederbelebung des Varietés sorgten gehörte André Heller. Er sang nicht nur "Ich fordere dreißig Varietés mit Mistinguetten, Gigolos, sechs fliegenden Menschen auf dem Trapez, dazu Feuer- und Säbelschlucker, […] Kulissen verkitscht und süß wie Zucker". Mit seinen erfolgreichen Tournee-Programmen "Flic-Flac", "Begnadete Körper" und "Salut für Olga" realisierte er seine Varieté-Träume. Auch in Karlsruhe lebte mit der eher späten Rückkehr des Varietés im Crazy Palace dieses Angebot der Unterhaltung wieder auf.

Geselligkeit und Amüsement am Ende des 19. Jahrhunderts

Für die öffentliche Gestaltung der Freizeit gab es Karlsruhe am Ende des 19. Jahrhunderts neben dem Hoftheater für das Bildungsbürgertum, den Stadt- und Tiergarten mit seinen Attraktionen (Konzerte, Ruderfahrten auf dem See, Radrennbahn) sowie die zweimal jährlich beim Schloss stattfindende Messe. Die wichtigste Rolle spielten aber die etwas über 200 Vereine, in denen sich die Mitglieder aktiv einbringen konnten. Diese Vereine mit ihren unterschiedlichen Zielsetzungen benötigten für ihre regelmäßigen Treffen und die von ihnen veranstalteten Konzerte, Bälle und Vorträge Räume, die sie in den mehr oder weniger großen "Gesellschaftszimmern" der Gastwirtschaften fanden. Davon gab es 1890 schon 255, von der Bahnhofskneipe über das bürgerliche Speiselokal bis zum noblen Caféhaus Bauer hinter dem Rathaus. Diese große Zahl, es kamen nur 288 Einwohner der Stadt auf ein Lokal, führte zu einer Konkurrenzsituation, die die Gastwirte veranlasste, mehr als nur Speis und Trank zu bieten. So finden sich in der Lokalpresse von 1890/91 zahlreiche Anzeigen für Konzerte in Gasthäusern, darunter auch einige für "Künstlerkonzerte" und Programme von reisenden Varietétruppen. Das "Kölner Trio" bot zum Beispiel folgende Nummern: "Kostümsoubrette, Contra-Altistin, Universal-Humorist und Charakterdarsteller, Bandonion-Virtuose, Musikal-Clown", eine andere Truppe warb mit dem Auftreten eines "Luftturners und Gelenkmenschen". Eintritt verlangten die Wirte nicht, vielmehr versuchten sie, die Kosten für die Gagen durch erhöhten Umsatz zu erwirtschaften. Diese Gesellschaften gastierten oft nur wenige Tage im gleichen Lokal und wechselten dann in der Stadt zu anderen Spielorten oder wanderten weiter. Es lag also nahe, für die neue und in den Metropolen bereits erfolgreiche neue Form der Massenunterhaltung entsprechende Spielstätten zu schaffen.

Die Karlsruher Varietétheater Colosseum und Apollo

Schon 1890 beantragte die Brauereigesellschaft Schrempp den Abriss und Neubau ihres Stammhauses in der Waldstraße 16/18. Ein Teil des Neubauvorhabens war die Errichtung einer "Konzerthalle". Diese hatte durchaus beeindruckende Ausmaße: 33 Meter lang, 24 Meter breit und damit fast 800 Quadratmeter groß mit einer Raumhöhe von 16 Metern. Der Bühnenausschnitt war 10 Meter breit sowie 5,50 Meter hoch, vor der 10 Meter tiefen Bühne war ebenerdig Platz für ein 16-köpfiges Orchester. Im gesamten Saal befanden sich Tische und Stühle für 962 Personen. Von einem Buffettraum, der durch Aufzüge mit der Küche und dem Bierkeller verbunden war, erfolgte die Bewirtung auch während der Aufführungen.

Postkarte mit Saal, Biergarten und Außenansicht des Colosseums im Jahr 1900

Am 1. Januar 1892 fand die erste Varietévorstellung im nun Colosseum genannten Schremppschen Concert-Etablissement statt. Über das Programm war zumindest der "Badische Landbote" wenig angetan. Es sei "ein Tingel-Tangel wie wir solche in Karlsruhe schon seit Jahren in verschiedenen Wirtschaften gesehen." Bemerkenswert fand der Berichterstatter zudem, dass ein "gewisser Theil des Publikums", weder angemessen bekleidet war noch die "Formen des üblichen Anstands" wahrte. Das Colosseum setzte sich dennoch, wohl auch wegen deutlicher Verbesserung des Programms, als fester Bestandteil des öffentlichen Vergnügungslebens durch, wurde "zu einem Lieblingsaufenthalt der Karlsruher", wie dieselbe Zeitung schon vier Wochen später anerkannte.

Seit 1900 gab es in der Südstadt, Marienstraße 16 ein weiteres Varietétheater in Karlsruhe. Dieses hat eine etwas andere Vorgeschichte als das Colosseum. Hier gab es seit 1891 die Gaststätte "Burg Zähringen", die aber schon 1893 unter dem Namen "Reichshallen-Theater" mit einem 600 Personen fassenden Saal aufwartete, dessen Bewirtung die zugehörige "Braunschweiger Weinstube" besorgte. Dies war bis 1899 tatsächlich ein Singspieltheater, das hauptsächlich Operetten und musikalische Theaterstücke als Gastspiele oder auch als Eigenproduktionen zeigte.

Anzeige des Apollo-Theaters aus dem Karlsruher Tagblatt von 1908

Die Programmgestaltung der Varietétheater

Varieté in einer Großstadt –
Ouvertüre – Vorhang hoch!
Lustig trällert die Soubrette:
"Kleener, liebst du mich denn noch?"
Ein Jongleur, drei Akrobaten
Zeigen ihre reife Kunst,
Auch ein junges, schickes Tanzpaar
Steht beim Publikum in Gunst.
Ei – da kommt der Humorist,
Er singt geistreich, spöttelnd, heiter
Von der Liebe uns so weiter.
Weiter geht die Nummernfolge,
Bis zum Abschluss ein Ballett
Wirbelnd sich im Kreise dreht.

Dieses leicht verkürzte Gedicht aus der "Artisten-Post" von 1920 bildet den typischen Verlauf einer Varietévorstellung ab. In dem Dreischritt Stimmung, Spannung, Finale sollte die Aufmerksamkeit der Zuschauer hochgehalten und sie dann mit einem musikalisch-visuellen Schlusspunkt entlassen werden. Die Soubretten und die Humoristen lieferten mit ihren frivolen oder geistreichen Gesangs- und Wortbeiträgen das verbindende Element zwischen den Nummern der Jongleure, Luft- und Parterreakrobaten, Fahrradnummern, Schlangen- und Kraftmenschen, den "Salondressuren" zumeist mit Hunden, Vögeln oder Affen und den Tanzensembles - vor dem Ersten Weltkrieg oftmals auch folkloristische Darbietungen. Während der Spielzeit von September bis April wechselte das Programm alle zwei Wochen. Während der Sommerpause gastierten in den Häusern Volksbühnen bevorzugt aus Bayern und dem Kölner Raum.

Die Varietédirektoren wie die Artisten und Künstler waren bestrebt, ihre Programme und Nummern ständig zu erneuern. Nicht zuletzt der Zwang mit Neuheiten aufzuwarten, um das Publikum bei Laune zu halten, führte zu inhaltlichen Veränderungen der Programme. In den Tanznummern zeigte sich dies in der Abkehr vom klassischen Ballett hin zu szenischen Tänzen und Revuenummern. Schon seit 1906 kam es zu regelmäßigen Aufführungen bewegter Bilder. So lief 1910 im Apollo ein Film über einen Weltmeisterschaftskampf im Boxen in den USA. In den 1920er Jahren fanden in den Karlsruher Varietés auch Ring- und Boxschaukämpfe sowohl von Männern wie Frauen statt, die ausgesprochene Kassenschlager waren.

Das Ende der Karlsruher Varietétheater

In den 1920er Jahren stand das Varieté auch in Karlsruhe verstärkt in Konkurrenz zu Revuen, die die Theater auch auf ihren eigenen Bühnen zeigten. Zudem entstanden, wenn auch nicht dauerhaft, mehrere Kleinkunstbühnen, die reine Kabarettprogramme ohne Artistik boten. Auch die Konkurrenz der um 1930 zwölf Kinos in der Stadt entzogen mit ihren Attraktionen Tonfilm und den in der Ausstattung die Bühnenrevuen weit übertreffenden Revuefilmen den Varietétheatern das Publikum. Bezeichnend hierfür ist die Umwandlung des Apollotheaters in eines der ersten Karlsruher Großraumkinos 1929. Das Colosseum konnte dagegen bis zur Zerstörung des Gebäudes im Zweiten Weltkrieg bei einem Luftangriff auf die Stadt am 1. Oktober 1944 über 50 Jahre Varietéprogramme bieten. Neben dem Colosseum boten in der NS-Zeit auch das "Familien Cabaret Löwenrachen" und die "Tanz-Cabaret Königin-Bar Regina" von den Machthabern durchaus erwünschte, politisch unverdächtige Varietéprogramme. Gemäß der rassistischen Ideologie der Nazis waren allerdings jüdische Künstler ausgeschlossen. Das Bedürfnis nach purer Unterhaltung war auch im kriegszerstörten Karlsruhe nach Kriegsende 1945 groß. Aber das Varieté etwa im Passage-Palast oder im "Rheingold" in Mühlburg oder auf der Bühne des Kurbel-Kinos endete Mitte der 1950er Jahre. Das Kino und das Fernsehen hatten in der Publikumsgunst gewonnen - bis zur Rückkehr des Varietés im Spiegelpalst auf dem Messplatz.

Dr. Manfred Koch, Herausgeber/Redaktion "Blick in die Geschichte"

Ausführlich zur Geschichte des Varietés in Karlsruhe: Tatjana de Heer: Varieté, Varieté. Die Geschichte des deutschen Varieté am Beispiel der Entwicklung der Karlsruher Varietétheater von 1892-1933, Magisterarbeit am Institut für Theaterwissenschaft der Universität München, 1991 (Stadtarchiv Karlsruhe 8/StS 25/1).

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