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Blick in die Geschichte Nr. 145

vom 20. Dezember 2024

Carlsruher Blickpunkt

Ein besonderes Gebäude in der Südstadt

von Harald Ringler

 

Wer von der Baumeisterstraße aus in der Wilhelmstraße nach Süden spaziert, der geht links nach einigen Metern an einer städtebaulichen und architektonischen Besonderheit vorbei. Hier steht im Vergleich zur näheren Umgebung, aber auch zur gesamten Südstadt ein ungewöhnliches Gebäude. Zum einen ist es um drei Meter aus der strengen Bauflucht der gesamten Straße zurückgesetzt. Derartige städtebaulich motivierte Vergrößerungen des Straßenraums finden sich oft vor Kirchen und öffentlichen Bauten als Hinweis auf die besondere Nutzung. Zum anderen stimmt die Architektur nicht überein mit der gründerzeitlichen Bauweise aus dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts, der Entstehungszeit der Südstadt. Die ab 1866 angelegte Wilhelmstraße, in der viele Eisenbahnbedienstete nahe am 1843 erstellten Bahnhof wohnten, war die erste Straße außerhalb des historischen Stadtkerns. Mit der parallel zur Wilhelmstraße verlaufenden Marienstraße und den dann folgenden Querstraßen wurde schrittweise das rasterförmige Gerüst für die städtebauliche Entwicklung der Gründerzeit festgelegt.
 

Foto 2024

Eine weitere Besonderheit der Wilhelmstraße 9 - von der Straße aus nicht sofort erkennbar - ist der hinter der Wohnarchitektur verborgene Industriebau, ein Umspannwerk für die Versorgung dieses Stadtquartiers, das das Städtische Gas-, Wasser- und Elektrizitätsamt 1927 zusammen mit der Badischen Elektrizitätsgesellschaft errichten ließ. Die Firma Wayss und Freytag A.G., eine international tätige Firma für Ingenieurbau in Frankfurt am Main, erhielt den Planungsauftrag. Aus den Planunterlagen ist nicht ersichtlich, ob das städtische Hochbauamt auf die Planung Einfluss genommen hatte. Im vorderen Gebäudeteil waren im Erdgeschoss ein Büro und ein Betriebsraum, in den darüber liegenden Ebenen Wohnungen. Das "elektrische Umschaltwerk" selbst, ein großer Saal, eine kuppelartige Eisenkonstruktion mit Oberlicht, Werkstatt- und Maschinenräumen, erstreckte sich in einer Länge von 40 m dahinter. An der Fassade erkennt man eine Horizontalität im Vergleich mit der eher vertikalen Gliederung der Nachbarhäuser. Die beiden Obergeschosse setzten sich deutlich ab vom Basisgeschoss. Das "Neue Bauen" in den 1920er-Jahren zeigt sich hier in maßvoller Weise. Traditionell ist noch die Symmetrie mit dem zentralen Eingang und der beiderseitigen bandartig zusammengefassten Anordnung der Fenster, die sich von der Putzfassade absetzten, wieder ein Hinweis auf das neuzeitliche Bauen. Das Treppenhaus ist aber bereits von der Straßenseite her belichtet. Der Wechsel der sorgsam verarbeiteten Materialien Putz, Stein und Klinker betont die Ausgewogenheit der Fassade. Das Gebäude, ein Beispiel für den damaligen industriellen Ingenieurbau, steht unter Denkmalschutz. Zum Stadtbild beitragen könnte man heute, wenn die Brandmauer, vor der früher ein Baum stand, mit einem Mural, einem großflächigen Wandgemälde im Sinne der Open Urban Art gestaltet würde.

Das Gebäude steht für den Übergang vom eher traditionellen Bauen in der beginnenden Weimarer Republik zum "Neuen Bauen". In Karlsruhe zeigen einige Beispiele für den konventionellen Stil der damaligen Zeit den Unterschied zur Wilhelmstraße 9. So wurden in der Südstadt viele Wohngebäude des Mieter- und Bauvereins wie in der Nebeniusstraße 24 bis 28 ebenfalls 1927 fertig gestellt. Der Bau der Weiherfeldsiedlung begann im selben Jahr. In der Südweststadt steht mit der evangelischen Matthäuskirche von Hermann Alker wegen der expressionistischen Architektur eine Besonderheit in Karlsruhe.

Das andere Beispiel für den Übergang der Baustile ist das 1929 fertig gestellte Rheinstrandbad, geplant von Robert Amann, Architekt im städtischen Hochbauamt. Das "Neue Bauen" selbst ist in Karlsruhe relativ spät angekommen. Mit der Dammerstock-Siedlung und der Vogelwarte in Rappenwört (beide 1929) besitzt Karlsruhe bemerkenswerte Baudenkmäler dieses Baustils.

Dr. Harald Ringler, Leiter des Stadtplanungsamts i. R.

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