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vom 20. Dezember 2024
von Ludger Syré
Da der Wohnungsbau in Karlsruhe während des Ersten Weltkriegs nahezu zum Stillstand gekommen war, sah sich die Stadt nach Kriegsende gezwungen, die Wohnungsversorgung nicht länger allein dem freien Markt zu überlassen, sondern selbst wohnungswirtschaftliche Maßnahmen zu ergreifen. Den gravierenden Wohnraummangel, unter dem vor allem kinderreiche Familien litten, verschärften die in ihre Heimatstadt zurückkehrenden Kriegsteilnehmer, der Zustrom von Flüchtlingen aus Elsass-Lothringen, der große Nachholeffekt bei den Eheschließungen und die kriegsbedingt stark angewachsene Zahl der Beamten. Schon bald stellte sich heraus, dass alle administrativen Maßnahmen an ihre Grenze stießen, dass ohne lebhafte Neubautätigkeit kein weiterer Wohnraum zu mobilisieren war.
Die wachsende Bedeutung Karlsruhes als Industrie- und Gewerbestandort legte den Gedanken nahe, auch die ortsansässigen Unternehmen an der gemeinhin als "riesengroß" empfundenen Aufgabe des Wohnungsneubaus finanziell zu beteiligen. Unter Hinweis auf die steuerlichen Vorteile und die Chance zur Gewinnung auswärtiger Arbeitskräfte gelang es der Stadt mit ihrem Bürgermeister Hermann Schneider, eine Reihe namhafter Firmen zu gewinnen. Am 26. Mai 1922 wurde die Wohnungsbau für Industrie und Handel GmbH von 20 Gesellschaftern mit einem Stammkapital von sechs Millionen Mark ins Leben gerufen. Zu ihrem ersten Geschäftsführer berief sie Stadtbaurat Johannes Dommer, dem im Folgejahr der Architekt Hans Zippelius an die Seite gestellt wurde.
Die Umsetzung der beabsichtigen Wohnungsprojekte litt allerdings bis zur Währungsreform 1923 unter der rapide voranschreitenden Geldentwertung, von der auch die Baustoffpreise und die Arbeitslöhne betroffen waren. Gestützt auf öffentliche Darlehen und Firmenzuschüsse gelang es der Gesellschaft dennoch, einen vierflügeligen Wohnblock an der Brahms-, Philipp-, Kalliwoda- und Maxaustraße zu errichten, in den Mitarbeiter der an der Gesellschaft beteiligten Firmen einziehen konnten. Das Mühlburger Quartier war ein Entwurf von Hans Zippelius, der 1927/28 an der August Dürr-, Renck- und Gartenstraße eine weitere Häuserzeile errichtete, die wegen ihrer Ornamente als Ägyptischer Wohnblock bezeichnet wird. Gemeinsam mit Hermann Billing schuf er zudem über 50 Wohnungen in der Beiertheimer Allee, die 1929 bezogen werden konnten. Durch sie erhöhte sich der Immobilienbestand der Gesellschaft bis 1930 auf 255 Wohnungen in 35 Häusern. Für die Stadtplaner bedeutete der neue Gebäudekomplex einen wichtigen, allerdings nur ersten Schritt zur umfassenden städtebaulichen Gestaltung des gesamten Ettlinger-Tor-Areals.
Seit Mitte der 1920er-Jahre setzte sich bei den Verantwortlichen der Stadt die Erkenntnis durch, auch für den sogenannten "kleinen Mann", den Arbeiter, zu bauen. Die auf Initiative der Stadt zu diesem Zweck 1928 gegründete Volkswohnung - Gemeinnützige Gesellschaft mit beschränkter Haftung bekam die Aufgabe, den Bau und die Vermietung von Kleinwohnungen "unter besonderer Berücksichtigung neuzeitlicher wohnungswirtschaftlicher Gesichtspunkte" zu betreiben. Darunter waren Reformansätze zu verstehen, die gemeinhin unter den Begriff des Neuen Bauens gefasst werden und auf der in städtischem Besitz befindlichen Fläche des Dammerstocks in die Realität umgesetzt wurden. Die unter der Gesamtleitung von Walter Gropius entstandenen architektonischen Ergebnisse - ihrer Intention nach solide, praktische und gleichwohl auch für kleinere Einkommen erschwingliche Gebrauchswohnungen - konnten 1929 im Rahmen einer vielbeachteten Ausstellung besichtigt werden.
Als sich Ende der 1920er-Jahre die Bestimmungen der Gemeinnützigkeit änderten, sah sich die Wohnungsbau für Industrie und Handel GmbH gezwungen, ihre Kleinwohnungen an die Volkswohnungs GmbH zu verkaufen und änderte in diesem Zusammenhang 1931 ihren Namen in Wohnungsbaugesellschaft Ettlinger Tor GmbH. Die Machtübernahme der Nationalsozialisten zwei Jahre später führte zur Gleichschaltung beider Gesellschaften, d. h. zu personellen Wechseln bei den Geschäftsführern und Aufsichtsratsmitgliedern. Jüdische Firmen konnten nicht länger Gesellschafter sein. Das 1939 erlassene Gesetz über Mietverhältnisse mit Juden scheint im Fall der Volkswohnung nicht dazu geführt zu haben, dass jüdische Mieter ihre Wohnungen verlassen und in sogenannte Judenhäuser umziehen mussten.
In der Zeit des "Dritten Reiches" beschränkte sich die Bautätigkeit der Volkswohnung auf ein kleineres Bauprojekt in der Oststadt. Durch den Luftkrieg verlor sie einen Teil ihres Wohnungsbestands: Während rund 250 Wohnungen beschädigt, aber behelfsmäßig noch zu bewohnen waren, erlitten sieben Häuser einen Totalschaden. Der Wiederaufbau bzw. Neubau litt nach 1945 abermals unter der grassierenden Inflation sowie dem Baustoffmangel und kam erst nach der Währungsreform von 1948 und nach der Verabschiedung des Ersten Wohnungsbaugesetzes durch den Deutschen Bundestag 1950 in Schwung. Um die begrenzt verfügbaren Mittel effektiver einsetzen zu können, schlossen sich 1951 die drei von der Stadt geführten gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaften unter dem Namen Volkswohnung eGmbH zusammen: die Wohnungsgesellschaft Ettlinger Tor GmbH, die Volkswohnung GmbH und die Neubürgersiedlung GmbH, die erst 1946 von der Stadt zu dem Zweck gegründet worden war, Kriegsheimkehrer, Flüchtlinge und Vertriebene mit Kleinwohnungen zu versorgen.
Angesichts der riesigen Wohnungsnot - über 10.000 Familien waren als wohnungssuchend gemeldet - sah sich die Stadt zu Beginn der 1950er-Jahre veranlasst, selbst initiativ zu werden und die städtische Wohnungsbaugesellschaft mit entsprechenden Finanzmitteln auszustatten. Es ging nicht länger um Wiederaufbau und Lückenschließung, sondern um Wohnungsneubau im ganz großen Stil. Mit diesem begann die Volkswohnung ab 1953 auf Freiflächen am Rande der alten Bebauung, beispielsweise auf dem freigegebenen westlichen Flugplatzgelände; neben diesem traten drei Baugebiete besonders in Erscheinung: das Mühlburger Feld, das Rintheimer Feld und die Waldstadt. Nicht nur die ausgebombten Karlsruher Bürger, auch rund 30.000 Heimatvertriebene hofften hier auf eine Unterkunft.
Im nachfolgenden Zeitraum errichtete die Volkswohnung in den genannten Baugebieten Jahr für Jahr viele Hundert einfach ausgestattete Zwei- und Dreizimmerwohnungen, die den Bewerbern vom städtischen Wohnungsamt unter Zugrundelegung sozialer Auswahlkriterien zugewiesen wurden. Entsprechend gering waren die Mietpreise. Zu den Bedürftigen zählten namentlich kinderreiche Familien mit einem bescheidenen Haushaltseinkommen. Als die Karlsruher Altstadt zum großflächigen Sanierungsgebiet wurde, fanden die Bewohner des Dörfle in den Neubaugebieten Ersatzwohnraum.
Dank der bundesweiten Förderung des Sozialen Wohnungsbaus erhöhte sich der Bestand der Volkswohnung bis 1972 auf etwa 7.700 Wohneinheiten. Durch die Erweiterung und Nachverdichtung bestehender Wohngebiete, die Ausweisung neuer Baugebiete wie Oberreut und die Übernahme des Immobilienbestandes, den die US-Streitkräfte bei ihrem Abzug aus Karlsruhe 1995 hinterließen, wuchs die Zahl der von der Volkswohnung verwalteten Wohneinheiten bis zur Jahrtausendwende auf über 12.000 und lag im Jubiläumsjahr 2022 bei etwa 13.500. Allerdings strömten auch neue Bewerbergruppen auf den Karlsruher Wohnungsmarkt, beispielsweise Spätaussiedler aus Osteuropa und den Nachfolgestaaten der Sowjetunion.
Die Aufhebung der Wohnungsgemeinnützigkeit durch die Bundesregierung 1990 bedeutete für das bisher gemeinnützig tätige Unternehmen das Ende der Steuerfreiheit, zugleich aber auch die Chance, das Geschäftsfeld auszuweiten, beispielsweise durch den Bau und Verkauf von Eigentumswohnungen und Eigenheimen. Ebenso wichtig wie die Neubautätigkeit wurde die Sanierung und Modernisierung der Mietwohnungen; die bei vielen Baukomplexen der Volkswohnung zu beobachtenden Instandhaltungsmaßnahmen zielen nicht zuletzt auf die energetische Ertüchtigung der Gebäudesubstanz; sie dienen aber auch der Verbesserung des Wohnumfelds und der Erhöhung der Wohnqualität.
Dr. Ludger Syré, Historiker, Fachreferent in der Badischen Landesbibliothek i. R.