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Blick in die Geschichte Nr. 133

vom 17. Dezember 2021

Erste Benutzungsordnung von 1771

Die Karlsruher Hofbibliothek öffnet sich dem Publikum

von Ludger Syré

Adeliger Sammeleifer richtete sich an vielen deutschen Fürstenhöfen nicht allein auf Kunstwerke, sondern unter anderem auch auf historische Denkmäler, naturkundliche Objekte, Münzen und Bücher. Im Unterschied zu manch anderen Sammlungsgegenständen haben Bücher stets auch einen praktischen Gebrauchswert, der sich in ihrer Benutzung ausdrückt. Das gilt auch für die Bücherkollektion der Markgrafen von Baden, die diese um das Jahr 1500 begonnen und in den Zeiten danach in ihren verschiedenen Residenzen kontinuierlich gepflegt und erweitert haben.

Die Benutzung der zusammengetragenen Bücher war allerdings jahrhundertelang weitgehend den Mitgliedern der fürstlichen Familie und des Hofes vorbehalten. Bisweilen durften auch ortsansässige und auswärtige Gelehrte die Handschriften und Druckwerke benutzen, doch war dazu stets eine Ausnahmegenehmigung erforderlich. Die Benutzung blieb infolgedessen auf Einzelfälle beschränkt; sie war kein generelles Angebot an die Bürger des Landes, sondern ein Privileg, das erteilt oder verwehrt werden konnte. Während etwa der Humanist und Reformator Johannes Oekolampadius 1522 mit Genehmigung des Markgrafen Philipp I. zwei wertvolle Handschriften Johannes Reuchlins nach Basel ausleihen durfte, wurde ein ähnliches Ansinnen 1702 dem Haller Theologen und Pädagogen August Hermann Francke durch Markgraf Friedrich VII. Magnus verweigert.

Neue Ära im eigenen Bibliotheksbau am Schloss

Eine neue Ära für die Bibliothek und ihre Benutzung setzte nach der Gründung Karlsruhes ein. Die in kriegerischen Zeiten sicherheitshalber nach Basel evakuierten Bestände wurden zurückgeholt und in einem neu erbauten Seitenflügel des Karlsruher Schlosses aufgestellt. Hier sollte nach dem Vorbild anderer Höfe eine repräsentative Bibliothek entstehen. Einer der ersten Benutzer der 1765 eröffneten neuen Bibliothek war der badisch-elsässische Geschichtsschreiber Johann Daniel Schöpflin, der 1766 bestätigte, dass sie tatsächlich allen Interessenten offen stand - was freilich zur damaligen Zeit nicht hieß, dass ausnahmslos jeder Mensch Zugang hatte.

Markgraf Carl Friedrich um 1771

Bald nach ihrer Eröffnung erhielt die Hofbibliothek Zuwachs aus Rastatt, denn nach 1771 wurden nicht nur die beiden Markgrafschaften wiedervereinigt, sondern auch die Büchersammlungen, die seit 1535 ebenfalls getrennte Wege gegangen waren. Es war der ausdrückliche Wille Markgraf Karl Friedrichs, seine Bibliothek, die inzwischen einen Umfang von mehr als 20.000 Bänden aufwies, dem gelehrten Publikum zu öffnen. Das machte allerdings Regeln erforderlich. Er beauftragte daher seinen Bibliothekar Friedrich Valentin Molter und den aus Rastatt übernommenen Kanzlisten Johann Christian Griesbach damit, den Entwurf für eine Bibliotheksordnung vorzulegen. Eine solche hielt auch Molter für unbedingt sinnvoll, denn ihm war nicht entgangen, dass die Bibliothek keinen verlässlichen Überblick über die ausgeliehenen Bücher besaß.

Erste Benutzungsordnung mit elf Paragrafen

Auf Basis der von Molter und Griesbach vorgelegten Denkschrift entstand die erste Benutzungsordnung der Bibliothek. Das in lateinischer Sprache verfasste und von Molter mitunterzeichnete Benutzungsstatut trat zum Jahresbeginn 1771 in Kraft. Es wurde wie befohlen auf einem gedruckten, mit markgräflichem Wappen versehenen Plakat an den Türen zum Bibliothekslokal angeschlagen und damit allen Besuchern zur Kenntnis gegeben.

Die erste Benutzungsordnung der badischen Hofbibliothek von 1771, Druck 1786

Die Reihe der lateinisch durchnummerierten Paragrafen beginnt mit der Bekanntgabe der Öffnungszeiten: Die Bibliothek ist an jedem Mittwoch und Samstag morgens von zehn bis zwölf und nachmittags von drei bis fünf Uhr geöffnet. Die folgenden sechs Vorschriften regeln die Benutzungs- und Ausleihmodalitäten. Aus dem zweiten Paragrafen geht hervor, dass es Besuchern gestattet ist, die Bücher aus den Regalen zu nehmen, sie aufzuschlagen und durchzublättern und in angemessener Weise zu nutzen; danach sind sie an genau den Ort zurückzustellen, an dem sie standen und der im Katalog verzeichnet ist.

Wenn Bücher ausgeliehen werden, sind sie doppelt in das Ausleihbuch einzutragen: einmal unter der Rubrik der Ausleihfrist, einmal unter dem Namen des Entleihers, wobei das Ausleihdatum hinzuzusetzen ist (III.). Wer sich Bücher nach Hause bringen lässt, hat ein Leihgesuch an die Bibliothek zu senden (IV.). Handschriften und seltene Druck dürfen allerdings nur aus gewichtigen Gründen ausgeliehen werden (V.). Und wer Bücher aus der Bibliothek erhalten hat, muss diese umsichtig behandeln, damit sie keinen Schaden nehmen und keinesfalls verloren gehen, anderenfalls hat er auf eigene Kosten neue Bücher zu besorgen oder den Schaden auszugleichen (VI.). Nach einem Monat sind die Bücher der Bibliothek zurückzugeben; sollte sie jemand länger benötigen, muss er einen neuen Leihschein vorlegen und im Ausleihbuch ein neues Datum eintragen (VII.).

Am Schluss des Reglements erfolgt eine deutliche Drohung: Wenn es jemand gewagt haben sollte, ohne das Wissen oder ohne den Willen des Bibliotheksleiters oder Aufsehers Bücher zu entnehmen, einen literarischen Diebstahl zu begehen oder gar Bücher zu stehlen, so soll gegen ihn in aller Schärfe gemäß den Gesetzen vorgegangen werden (IX.).

Keine explizite Aussage machte das Statut zu der Frage, ob Bücher auch an nicht in Karlsruhe ansässige Interessenten verliehen werden konnten. Spätere Leihanfragen deuten darauf hin, dass das nicht vorgesehen war. Eine Entleihung nach auswärts sei "den Statuten zuwider", belehrte 1792 Hofbibliothekar Molter einen Pfarrer, der nur wenige Kilometer entfernt wohnte, nämlich in Durlach.

Mehr als eine reine Benutzungsordnung

Das vor etwa 250 Jahren erlassene Statut wies den Weg für die nachfolgenden Bibliotheksbenutzungsordnungen. Schon dieses erste zeigt, dass Bibliotheksstatuten zu jeder Zeit mehr als reine Benutzungsordnungen gewesen sind. Sie äußerten sich beispielsweise auch zu Fragen des Sammelprofils, der Erwerbung und der Katalogisierung. In diese Rubrik fällt jener Paragraf (VIII.), der sich der Ablieferung von Pflichtexemplaren widmete und der damit eine zusätzliche Bibliotheksfunktion zu etablieren versuchte, die sich mit der Zeit zu einem konstitutiven Merkmal des Typs Landesbibliothek entwickeln sollte. Die Bestimmung, dass von allen in den Druckereien Badens produzierten Werken jeweils zwei an die Bibliothek abgegeben werden mussten, ließ sich in der Praxis allerdings nur schwer und nur zeitweise durchsetzen.

Von den genannten Punkten abgesehen machten die Bibliotheksstatute üblicherweise mit dem Zweck der jeweiligen Einrichtung bekannt. Auch die Ordnung von 1771 startete mit der Funktionsbestimmung der Sammlung. Die Präambel bringt Karl Friedrichs Wunsch zum Ausdruck, dass die von seinen Vorfahren angelegte und von ihm vermehrte Hofbibliothek "zum öffentlichen Gebrauch" derjenigen bestimmt sein möge, "die das Studium der Wissenschaften und schönen Künste vorantreiben."

Ob die Bestimmung "zum öffentlichen Gebrauch" nur auf dem Papier stand oder ob sie mit der Realität übereinstimmte, lässt sich mit letzter Gewissheit nicht sagen. Hinweise können jedoch die Reiseberichte auswärtiger Gelehrter liefern, die die Hofbibliothek nicht nur oberflächlich besichtigten, sondern die in ihr intensiv forschten und arbeiteten. Berichte dieser Art lassen den Schluss zu, dass sich Anspruch und Wirklichkeit deckten. Mit Fug und Recht lässt sich demnach konstatieren, dass mit dem markgräflichen Erlass von 1771 eine neue Ära in der Entwicklung der Bibliothek eingeläutet wurde.

Wie es scheint, hat die kurz gehaltene Ordnung für die damaligen Verhältnisse ausgereicht. Sie wurde, wenngleich um sieben Paragrafen erweitert, 1829 erneut ausgegeben, jetzt in deutscher Sprache. Das modifizierte Reglement galt nur kurze Zeit, denn 1843 wurde es von einem neuen, nunmehr achtseitigen Statut abgelöst. Dieses fasste alle Benutzungsvorgänge signifikant restriktiver und bürokratischer als die auf einer liberalen Gesinnung basierende Vorgängerregelung. Es blieb bis 1874 in Kraft. Mit dem Einzug der Bibliothek in das Großherzogliche Sammlungsgebäude am Friedrichsplatz eröffneten sich ganz neue Benutzungsmöglichkeiten, die in einem modernen, benutzerfreundlichen Statut kodifiziert wurden.

Dr. Ludger Syré, Historiker, Fachreferent in der Badischen Landesbibliothek i. R.

Zum Thema erschienen: 250 Jahre öffentlich. Die Badische Landesbibliothek 1771 - 2021, hrsg. von Julia Freifrau Hiller von Gaertringen in Verbindung mit Veit Probst, Annika Stello und Ludger Syré, Karlsruhe 2021.

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