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Blick in die Geschichte Nr. 131

vom 18. Juni 2021

Als Frau im badischen Schuldienst

Mathilde Bierhalter und die Schulbehörden 1903-1926

von Thomas Guckenbiehl

Die Karlsruherin Mathilde "Thilde" Bierhalter ist heute wohl nur noch wenigen bekannt, als Frau des Obersasbacher Malers Toni Merz. Der nachfolgende Blick in ihre Personalakte im Generallandesarchiv Karlsruhe als Volksschullehrerin von 1903 bis 1926 zeigt aber beispielhaft, vor welche typischen Herausforderungen badische Lehrerinnen damals gestellt wurden.

Thilde wurde am 11. Oktober 1882 im heute zu Karlsruhe gehörenden Mühlburg geboren. Die Familie lebte in einem gewissen Wohlstand. Allerdings wechselte der Vater, ein Finanzkaufmann, oft seinen Arbeitsort und die Familie ihren Wohnsitz, so dass Thilde in ihren zehn Schuljahren fünf verschiedene Schulen in Basel, Mannheim und Karlsruhe besuchte.

Mathilde Bierhalter, gezeichnet von Toni Merz ("Im Boot", 1920)

Wie sie in einem Lebenslauf von 1901 berichtete, hatte sie von Kind auf Lehrerin werden wollen. Jedoch war in Baden die Zahl der Stellen für Lehrerinnen bis 1906 beschränkt, ab 1892 auf nicht mehr als 10 % der ausgewiesenen Lehrerstellen. Frauen durften auch nur in Schulen mit mindestens drei Lehrern angestellt werden. Erst ab 1906 konnten Frauen an reinen Mädchenschulen auch höhere Klassen unterrichten, an gemischten Schulen weiterhin nur die ersten vier Klassen. Sie durften keine Befugnisse eines ersten Lehrers wahrnehmen, der als Schulleiter fungierte.

Unterlehrerin in Hambrücken

Vor diesem Hintergrund waren Thildes Voraussetzungen nicht optimal. Ihre häufigen Schulwechsel hatten Wissenslücken hinterlassen, so dass sie nicht zum Studium am Karlsruher Lehrerinnenseminar zugelassen wurde. Schon hier zeigte sie Hartnäckigkeit: Sie überredete ihre Eltern, sie im Institut Friedländer anzumelden, das zu den angesehensten Schulen Badens gehörte. Dort bestand sie alle Prüfungen und trat schließlich am 7. Januar 1903 ihre erste Stelle als Unterlehrerin an der Volksschule Hambrücken an.

Es folgte ein Praxisschock: "Abgesehen davon, dass das Unterlehrerzimmer in ganz unwohnlichem Zustande angetroffen wurde, ist es ungesund, zu klein, nach dem düsteren Hofe gelegen und befindet sich in dem neueren Schulhause, in welchem außer einem Schulzimmer nur noch die Wohnung des ledigen ersten Hauptlehrers war. Das letztere ist auch der Hauptgrund, der es unpassend erscheinen ließ, dass eine junge Lehrerin in ein solches Haus einziehe.

Mit Mühe und Not war bei Antritt der Stelle ein Zimmer im ersten Gasthaus zu bekommen, aber die Kost erwies sich hier beinahe als ungenießbar, und der Wirt als ein roher Mensch, der seine Frau schlug und schließlich fortjagte. Ein solches Haus dürfte kein Aufenthalt für die Lehrerin sein.

Endlich konnte in einem Privathause ein Zimmer ohne Kost ausfindig gemacht und bezogen werden. Die Unterzeichnete fand es nun am besten, dem Rat der Lehrer und des Herrn Pfarrverwesers zu folgen, und mit dem ersten Hauptlehrer zusammen in einem anderen Gasthaus zu Mittag zu essen.

Dieser erste Hauptlehrer wurde nun Freitag, den 13. März morgens erschossen in seiner Wohnung aufgefunden. Der Grund zu dem Selbstmord scheint Schwermut gewesen zu sein, die sich auch der Unterzeichneten gegenüber in letzter Zeit in sehr unangenehmer Weise kundtat."

So schreibt sie schon zehn Wochen später in einem Versetzungsgesuch. Dem Gesuch wurde stattgegeben, ihr neuer Einsatzort war Schonach im Schwarzwald. Als sie nach knapp eineinhalb Jahren um Versetzung in ein milderes Klima bat, wurde sie im Oktober 1904 nach Ettenheim versetzt.

Sittliches Betragen unter Beobachtung

Hier zeigte sich eine weitere Facette ihres Berufs. Lehrer galten einerseits als Respektspersonen, andererseits wurde ihr Lebenswandel von Öffentlichkeit und Schulbehörde überwacht. Thilde hatte sich mit einem Kollegen vom Gymnasium angefreundet. Dieser stand jedoch laut seiner Personalakte aufgrund seiner Ansichten und Lehrmethoden im Visier der Schulbehörde, die auch diese Freundschaft misstrauisch beobachtete und sich bei der Ortsschulbehörde im Frühjahr 1907 nach Thildes sittlichem Betragen erkundigte. Von dort antwortete man beruhigend: "Über deren außerdienstliches Verhalten hören wir, dass sie mit Herrn Lehramtspraktikant Wilhelm am hiesigen Realgymnasium im Stillen verlobt sei. Es scheint uns, dass es mit dieser Verlobung ernst gemeint ist, so dass, wenn auch beide hier und da zusammen spazieren gehen, man wohl keinen Anstoß nehmen kann. Im Übrigen wissen wir nichts Ungünstiges über ihren sonstigen Verkehr zu berichten."

Zur Heirat benötigten Lehrer im Großherzogtum Baden die Erlaubnis der Schulbehörde. Verbeamtete Lehrerinnen verloren bei Heirat aber ihre Unkündbarkeit und ihre Versorgungsansprüche. Bereits verheiratete Hauptlehrerinnen wurden erst gar nicht verbeamtet. Thildes Anstellung wäre also durch eine Heirat gefährdet worden.

Warum und von wessen Seite die Verbindung letztlich gelöst wurde, lässt sich aus den Personalakten nicht ersehen. Aktenkundig sind nur die Versetzung des jungen Mannes ab Ende August 1907 und die Krankheit Thildes ab Ende Juli.

Im Februar 1908 fing Thilde dann in Ettlingen an. In den Folgejahren blieb sie auf Stellen im Raum Karlsruhe, so dass sie bei ihren Eltern in der Südweststadt wohnen konnte. Im Sommer 1914 wurde sie zur Hauptlehrerin befördert und Ende 1919 verbeamtet.

Eheschließung und Kampf um den Arbeitsplatz

Um 1918 lernte Thilde den 13 Jahre jüngeren Toni Merz kennen, der damals noch Soldat war, aber bald darauf sein Kunststudium begann. Als sie 1920 zu heiraten beschlossen, musste Thilde im Kampf um ihren Arbeitsplatz wieder Durchhaltewillen beweisen.

Denn die Schulbehörden waren bestrebt, verheiratete Lehrerinnen zu entlassen. Da die Ausnahmeregelungen für weibliche Beamte mit der Weimarer Verfassung abgeschafft worden waren, verwendete man als Druckmittel die von Lehrern weiterhin benötigte Heiratserlaubnis. Im August 1920 teilte man Thilde mit, dass sie nur heiraten dürfe, wenn sie spätestens zum Ende des Schuljahres 1919/1920 aus dem Schuldienst ausscheiden würde.

Diese Bedingung wollte Thilde nicht erfüllen, denn dann hätte Toni sein Studium abbrechen müssen. Briefe gingen hin und her, im Behördenkreis sowie zwischen Thilde und den Behörden. Die Hochzeit war für Ostern 1921 festgesetzt und Toni hatte sogar schon eine Vermählungsanzeige gestaltet. Aber als das Kultusministerium bis dahin immer noch nicht seine Bedingung einer Kündigung seitens Thilde zurückgenommen hatte, sagten Thilde und Toni den Termin ab.

Hochzeitsanzeige von Toni und Thilde Merz, geb. Bierhalter 1921

Die erlösende Nachricht kam in der Woche nach Ostern. Thilde sollte bleiben können, solange sie ihre Pflichten erfüllen könne, und ausscheiden, sobald ihr Mann die Familie ernähren könne. Das war für das Paar akzeptabel, und schon am darauffolgenden Samstag heirateten die beiden.

Aber der Kampf ging weiter. Immer wieder fragten die Behörden nach, ob Thilde nicht endlich kündigen wolle, und immer wieder antwortete Thilde, dass Toni keine Familie ernähren könne. Die Situation verschärfte sich mit der Personal-Abbau-Verordnung der Reichsregierung vom 27. Oktober 1923. Auf dieser Grundlage sollten bis zu 25% der Beamten entlassen oder in den Ruhestand versetzt werden. Dabei wurde wieder die Kündigung weiblicher Beamter und Lehrerinnen ermöglicht, sofern ihre wirtschaftliche Versorgung gesichert erschien. Ungeachtet dieser Einschränkung benutzte das Badische Kultusministerium diese Verordnung, um Thilde am 26. November 1923 zum 31. Dezember zu kündigen.

Aber Aufgeben war in Thildes Lage keine Option. In einem Brief an das Kultusministerium vom 30. November legte sie dar, dass ihre wirtschaftliche Versorgung eben nicht gesichert und die Verordnung daher nicht anwendbar sei. Der Brief hatte Erfolg, die Kündigung wurde am 21. Dezember zurückgenommen.

Doch auch das Kultusministerium blieb hartnäckig und zermürbte Thilde weiter mit regelmäßigen Nachfragen. Nachdem Toni Merz im April 1926 eine Anstellung gefunden hatte, bot Thilde schließlich ihrerseits ihre Kündigung gegen die in der Personalabbauverordnung festgelegte Abfindung an. Erstaunlicherweise nahm das Kultusministerium dieses Angebot nicht sofort an. Stattdessen wollte man Thilde im Schuldienst behalten und die Situation im Folgejahr noch einmal prüfen. Steckte dahinter taktisches Kalkül, der Versuch, Thilde zu einer Kündigung mit geringerer Abfindung zu bewegen?

Man einigte sich schließlich auf eine Kündigung zum 30. September 1926 mit einer Abfindung in Höhe von knapp 6.000 RM. Im Rahmen dieser Einigung gab Thilde aber alle Ansprüche auf ein Ruhegehalt auf. Als sie in späteren Jahren nach Altersbezügen fragte, lehnte man die Zahlung mit Verweis auf die Einigung von 1926 ab. Thilde starb 1972 in Obersasbach, sechs Jahre nach Toni.

Thomas Guckenbiehl, Karlsruhe, Software-Entwickler im Vorruhestand, forscht zur Lokalgeschichte und Geneaologie

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Ausführlicher zur Biografie von Mathilde Merz, geb. Bierhalter und weiteren Bewohnern des Hauses Südendstraße 34 in Karlsruhe unter www.guckenbiehl.eu

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