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Blick in die Geschichte Nr. 131

vom 18. Juni 2021

Seuchenschutz in der frühen Neuzeit

1720/22 – Baden-Durlach und die Pest in Marseille

von Patrick Sturm

Seuchen mit epidemischen oder gar pandemischen Ausmaßen sind seit der Coronapandemie in Mitteleuropa nicht mehr nur aus Medienberichten, vom Hörensagen und aus historischen Darstellungen ein Begriff. Der Blick von der sicheren Peripherie auf das Seuchengeschehen in anderen Erdteilen ist dahin und eine vermeintlich gebannte Gefahr für Leib und Leben in unseren Breiten wieder präsent. Dabei hatten Seuchen bis in das frühe 20. Jahrhundert hinein die Lebenswelt der Menschen in Zentraleuropa über Jahrhunderte geprägt. Hier ist neben Typhus, Syphilis oder Cholera insbesondere die Pest zu nennen. Seit der Mitte des 14. Jahrhunderts, als rund ein Drittel der Bevölkerung in Europa dem Schwarzen Tod erlag, grassierte die Pest wiederholt in relativ zyklischen Abständen, bis sie im frühen 18. Jahrhundert aus Europa verschwand.

Pestausbrüche in Baden-Durlach

In den badischen Markgrafschaften ist die Pest seit dem späten Mittelalter immer wieder belegt. Auch in der Residenzstadt Durlach lässt sie sich seit 1582 wiederholt nachweisen. Die Zeitgenossen reagierten im Fall eines Pestausbruchs mit verschiedenen Maßnahmen, die durch die fortwährende Auseinandersetzung mit der Seuche immerzu weiterentwickelt wurden. Dazu zählten Maßnahmen zur Verbesserung der Sauberkeit in den Straßen, das Isolieren Infizierter und Kontaktpersonen, Kontrollen von Reisenden, Händlern und Waren, die Verwendung von Gesundheitspässen - sogenannter Feden -, der Bann infizierter Orte und schließlich das Aufstellen von Pestwachen.

Als die Pestzüge seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts Baden-Durlach nicht mehr unmittelbar heimsuchten, sorgten die Sterbensläufte angesichts der Erfahrungen um die drastischen Auswirkungen eines Pestausbruchs weiterhin für erhöhte Wachsamkeit. Es wurden Vorkehrungen zur Verhinderung der Einschleppung aus einem infizierten Gebiet getroffen.

Maßnahmen gegen den Pestausbruch in Marseille 1720

1720 brach die Pest zum letzten Mal in Zentraleuropa und zwar in Marseille aus. Das Schiff "Saint Antoine" brachte die Seuche am 25. Mai 1720 von der Levante in die französische Hafenstadt. Bis zum Spätsommer hatte sich die Pest in der ganzen Stadt ausgebreitet und begann auf das Umland überzugreifen. 1721 und 1722 grassierte sie in der Provence. Trotz ihrer geographischen Beschränkung führte die Pest im übrigen Europa zu intensiven Vorkehrungen vor ihrer weiteren Ausbreitung - auch in der Markgrafschaft Baden-Durlach. Als die Nachrichten von dem Pestausbruch sich verbreiteten, setzte intensiver Schriftverkehr ein. Wie in vorangegangenen Sterbensläuften tauschten sich die Territorien am Oberrhein über das Seuchengeschehen aus und stimmten Schutzmaßnahmen ab. So unterrichtete die vorderösterreichische Regierung in Freiburg am 2. September 1720 Baden-Durlach über eine wegen der Pest erlassene Verordnung und bat um Nachricht über entsprechende Maßnahmen des Markgrafen.

Wie ernst die entfernte Gefahr in Baden-Durlach angesehen wurde, belegt die Reaktion auf die Nachricht, dass zwei angeblich in Marseille "ausgerissene" Rudersklaven an der baslerischburgundischen Grenze angelangt seien. Die baden-durlachische Regierung informierte am 28. September 1720 die Oberämter, dass die zwei Verdächtigen ausfindig zu machen, zu erschießen, die Leichname zu verbrennen und die Asche zu verscharren seien. Besondere Bedeutung bei der Pestabwehr wurde den Rheinübergängen beigemessen. Die Seuche sollte nicht über den Fluss gelangen. Dazu verständigten sich die Anrainerstaaten vom Bistum Konstanz im Süden bis zur Kurpfalz im Norden über die Bewachung der Rheinübergänge.

Pestprävention in Karlsruhe und Durlach

Erhöhten Schutz erfuhr zudem die junge Residenzstadt Karlsruhe, Wohnort des Markgrafen und Sitz der fürstlichen Regierung. Es wurde angeordnet, mit Ausnahme von vier Haupteingängen alle Nebenstraßen und Nebeneingänge mit Palisaden zu versperren. An den Eingängen in die Stadt waren Schlagbäume und Bretterbuden als Wachhäuser zu errichten. Jeder Posten wurde mit einer Wache unter dem Kommando eines Gefreiten besetzt, der lesen und schreiben konnte, um Listen bei der Kontrolle der einreisenden Personen und Waren zu führen und Gesundheitspässe zu kontrollieren. Die Landgemeinden aus dem Karlsruher Umland hatten darüber hinaus eine zwölfköpfige Wache für die Residenz zu stellen. Sie sollte aus ausgesuchten, vormals im Kriegsdienst gestandenen Männern bestehen, die alle zwölf Tage abzulösen waren. In "Klein Carlsruh" - dem Dörfle - waren jeden Abend von einem Hofbediensteten und einem Karlsruher Bürger Kontrollen durchzuführen. Das Augenmerk der Kontrolleure lag auf Gesinde, das sich ohne Erlaubnis im Dörfle aufhielt. Sie waren zu verzeichnen und dem Oberamt anzuzeigen, woraufhin deren Ausweisung unverzüglich durchzuführen war. Generell mussten alle Auswärtigen, die in Privathäusern logierten, dem Oberamt gemeldet werden.

Weitere Maßnahmen zur Pestprävention gehen aus den Akten der Stadt Durlach hervor. Ein Schreiben der Stadt vermutlich an die markgräflicheRegierung vom November 1720 nimmt Bezug auf die Ausstellung von Gesundheitspässen. Zur "Beybehaltung sicheren und ungefehrlichen Commercii" war die Stadt Basel an die markgräfliche Regierung herangetreten, "fleißige Auffsicht verdächtiger Persohnen" zu halten sowie Personen und Waren "mit richtigen Passen" auszustatten. Städten wie Basel war an einer Fortführung des wirtschaftlich bedeutenden Handelsverkehrs gelegen, der infolge restriktiver Maßnahmen zum Pestschutz Einschränkungen erfuhr. Gesundheitspässe belegten die Herkunft ihrer Besitzer aus einem pestfreien Ort und deren Reiseweg über ebensolche Orte. Die Feden ermöglichten auf diese Weise die Ein- und Durchreise in andere seuchenfreie Territorien wie auch Städte. In Durlach gelobte man daher die künftige, ordnungsgemäße Ausstellung von Feden für Reisende und Waren auf dem Weg nach Basel.

Die Seuchenordnung des Bischofs von Speyer

Darüber hinaus finden sich in den Durlacher Unterlagen Kopien eines Schreibens Kaiser Karls VI. und Verordnungen des Bischofs Hugo Damian von Speyer über Maßnahmen zum Seuchenschutz. Diese sind vermutlich von der markgräflichen Regierung an die Beamten in Durlach weitergeleitet worden. Insbesondere die Seuchenordnung Bischof Hugo Damians vom 9. November 1720 ist von Interesse. Ausgestellt in Bruchsal, richtete sich das Gebot zunächst ausführlich auf die Gefahr der Einschleppung in das Hochstift Speyer durch "Zigeuner und anderes in den Landen herumvagirendes, herrenloses, böse und diebische Gesindel", wie es heißt. Entscheidender für die Nachbarn aus Durlach bzw. der Markgrafschaft war hingegen die Anweisung, dass die Ein- und Durchreise durch das Hochstift nur "mit rechtschaffenen Urkunden und Gesundheitspäßen" erlaubt sei. Da auch keine Waren aus verdächtigen Orten einzulassen seien, sollten alle Waren mit unsicherer Herkunft ab- und zurückgewiesen werden. Mit gewissen Einschränkungen im Handel und Wandel an der Grenze zum Hochstift Speyer, im Speziellen in den nahe der Markgrafschaft Baden-Durlach gelegenen Zentralort Bruchsal musste gerechnet werden. Der weit entfernte Pestausbruch in Frankreich wirkte sich somit auch ganz konkret auf den Alltag der Menschen in Baden-Durlach aus. Eine grundsätzliche Abschottung gegenüber den Nachbarn war von Seiten Bischof Hugo Damians indessen nicht beabsichtigt, um das gute Verhältnis zu den Anrainern nicht zu schädigen. So waren alle speyerischen Amtsträger angehalten, zur guten "Harmonie und Verständnuß" gerade in den Grenzgebieten mit Benachbarten "in guter Verständnuß [zu stehen und] mit ihnen in allen Nothfällen communiciren und auf Verlagen hülffiche Hand [zu] biethen". Die Baden-Durlacher Bevölkerung konnte daher trotz der seuchenpolitischen Restriktionen des Speyrer Bischofs auf eine weitgehende Erhaltung ihrer gewohnten Beziehungen in das benachbarte Hochstift hoffen.

Beendigung der Schutzmaßnahmen 1723

Zum Jahresende 1722 gingen endlich begründete Berichte über ein Abklingen des Sterbens in Baden-Durlach ein. Anfang 1723 galt Frankreich offiziell als pestfrei. So konnten die Schutzmaßnahmen nach und nach aufgehoben werden. Der schwäbische Reichskreis beschloss, die Pestwachen abzuziehen, die Quarantäne aufzuheben und den Handel wieder zuzulassen. Am 13. März 1723 beendete die baden-durlachische Regierung die wegen "besorglich gewesener Pest an denen Rheinüberfahrden und anderen passablen Posten" erfolgte Aufstellung von Pestwachen. Weiterhin erhielten die Oberbeamten Vasold und Hemeling zu Durlach die Anweisung, alle besagten Wachten zu verzeichnen. Dabei hatten sie "Unterofficiers alß Gemeinen, worunter auch die Landmiliz oder Burgerschafft mit verstanden" mit Angaben zum Einsatzort und zur Anzahl sowie eventuell gebaute Wachthäuser aufzulisten. Die Aufstellung war besiegelt und unterschrieben einzureichen. Nachdem die erforderlichen Angaben von den Schultheißen der Amtsorte eingeholt waren, berichtete der Amtmann Hemeling mit Schreiben vom 2. April 1723, dass im Oberamt Durlach keine besonderen Wachen eingerichtet oder gar Wachthäuser gebaut worden waren. Vielmehr sei an einigen Amtsorten lediglich "die gewöhnliche Dorfwache verdoppelt worden". Abgesehen von der Pest geschah dies allerdings auch "wegen des passirenden Jauner- und Zigeunergesindels".

Hatten die Amtsorte die Vorkehrungen gegen die Pest "auff erhaltenen scharffen oberambtlichen Befehl" hin getroffen, gehörten diese Schutzmaßnahmen wohl zu einer übergeordneten Abwehrstrategie des schwäbischen Reichskreises, der in Pestzeiten mit Maßnahmen zum Seuchenschutz reagierte. Am 5. April 1723 erging nämlich die Anweisung des geheimen Rats an die Oberbeamten zu Durlach, Auflistungen über die Kosten der Präventionsmaßnahmen zu erstellen und an die fürstliche Rentkammer nach Karlsruhe zu schicken. Hintergrund war die bevorstehende Kreisrechnung. Neben den Kosten wegen "der in Franckreich grassirter Contagion und deswegen creyßschlußmäßig genommener Praecaution halben" hatten die Amtsträger zudem die Aufwendungen für Kontrollen und Sicherheitsmaßnahmen wegen fahrenden Volks, Gaunern und Zigeunern sowie zur Unterhaltung der Reichsfestungen anzuführen.

Lokale Kostenabrechnung der europaweit organisierten Seuchenabwehr

Die Eingaben der Stadt Durlach und der übrigen Amtsorte veranschaulichen eindrücklich die Vorkehrungen gegen die Einschleppung der Pest im Oberamt Durlach wie auch generell im ländlichen Raum. Angeführt wurden alle Kosten der Präventivmaßnahmen "mit Erbauung Wachthäußer, gehaltenen einfach und doppelten Wachten, hergegebenes Öhl, Liechter, Brennholtz, geförttigte Schlagbaum und dergleichen biß Georgy Anno 1723". Der Fokus der Pestabwehr lag angesichts der weit entfernt grassierenden Seuche verständlicherweise auf der Verhütung einer Einschleppung durch die Kontrolle von Personen und Waren. (Tabelle) 64 KB (PDF)

Aus der Auflistung der Stadt Durlach geht hervor, dass Johannes Gebhardt und Abraham Köhler als Torschreiber vereidigt worden waren. Sie hatten in zwei mehrwöchigen Phasen Dienst verrichtet. Zunächst waren es 17 Wochen vom 14. Februar bis zum 14. Juni 1721. Es folgte eine zweite Dienstzeit von 16 Wochen vom 1. Januar bis zum 25. April 1722. Warum sie nur in diesen beiden Zeiträumen als Pestwachen dienten, ist nicht näher zu bestimmen. Darüber hinaus fielen Kosten für eingebundene Torbücher sowie Papier, Feder und Tinte an. So kam ein Betrag von 136 Gulden 30 Kreuzer zusammen, für den das Bürgermeisteramt Durlach in Vorleistung getreten war. Damit hatte es erhebliche Kosten für die Pestprävention getragen.

Weitaus höher fiel die finanzielle Belastung allerdings für den einen oder anderen Amtsort aus. Neben der Ergänzung der regulären Dorfwachen waren Abordnungen an die Landmiliz in Schröck zur Bewachung des dortigen Rheinübergangs zu stellen. Für die Dorfwachen wurden in der Regel ein bis zwei zusätzliche Wachleute angestellt, die zusätzlich zu ihrem Sold Brennholz und Lichter erhielten. Ausnahme war Rüppurr. Hier kamen vier Wachen zur Sicherung der Straßen zum Einsatz und es erfolgten mit der Errichtung von Absperrungen die einzigen baulichen Maßnahmen. Besondere Kosten ergaben sich hieraus aber nicht. Vielmehr waren es Grötzingen, Berghausen, Söllingen und Hagsfeld, die gemäß ihrer Angaben die höchsten Ausgaben für den Schutz vor der Pest zu verzeichnen hatten. Dabei ist auffällig, dass die Preise für die zusätzlichen Wachleute wie auch das Brennholz in den einzelnen Orten mitunter deutlich voneinander abwichen. Kosteten in Rüppurr acht Klafter Holz sechs Gulden, so hatten die Grötzinger für 16 Klafter 74 Gulden ausgegeben!

Wurden in Durlach zwei Torschreiber über mehrere Wochen vereidigt, kamen in den Amtsorten Tag und Nacht zusätzliche Wachen zum Einsatz. Auch mussten die Landgemeinden Männer für die Landmiliz in Schröck zur Sicherung des Rheinübergangs abstellen. Die Pestabwehr verursachten hohe Kosten von insgesamt 1567 Gulden 10 Kreuzer.

Die besonderen Schutzvorkehrungen machen deutlich, wie ernst die Pest in Südfrankreich auch auf der lokalen Ebene genommen und als reale Bedrohung angesehen wurde. Der Blick auf den letzten Pestausbruch in Europa und die Situation in der Markgrafschaft Baden-Durlach zeigt, dass die Seuchenabwehr zu Beginn des 18. Jahrhunderts für die damalige Zeit einen hohen Organisationsgrad erreicht hatte. Es partizipierten Akteure auf unterschiedlichen hierarchischen Ebenen, die in kurzer Zeit längerfristige Schutzvorkehrungen etablierten. Die Pestabwehr wurde staatsübergreifend und im vorliegenden Fall "europaweit" organisiert. Staatsoberhäupter, Territorialherren und Kommunen agierten gemeinsam, sozusagen transnational, auf Ebene der Reichskreise und bilateral zum Schutz vor der alle gleichermaßen bedrohenden Pest.

Dr. Patrick Sturm, Leiter des Stadtarchivs Siegen

 

Quellen

Stadtarchiv Karlsruhe, 5/Durlach, A 1629 und 1897.

Literatur

Olivia Hochstrasser: Von der Staufergründung zur Residenz, in: Susanne Asche/Olivia Hochstrasser: Durlach. Staufergründung - Fürstenresidenz - Bürgerstadt, Karlsruhe 1996, S. 147-444, S. 252-255.

Krämer, Fritz: Pestbekämpfung und -abwehr in Freiburg im Breisgau von 1550 bis 1750, Diss. med. masch. Freiburg 1987, 207-216.

Möhrle, Günther: Die Pest in den Markgrafschaften Baden-Baden und Baden-Durlach, Frankfurt am Main 1950.

Seelbach, Kirsten Renate: In dieser harten sterbenden Zeit. Maßnahmen gegen die Pest 1620-1750, Marburg 2007, S. 106-135.

Seelbach, Kirsten Renate: Die Pest am Oberrhein im 17. Jahrhundert - Verhalten, Abwehr, Besonderheiten, in: Armut und Fürsorge in der frühen Neuzeit (= Oberrheinische Studien Bd. 29), hrsg. von Konrad Krimm, Ostfildern 2011, S. 113-122.

Sturm, Patrick: Die Pest in Durlach - Bekämpfung und Auswirkungen von Epidemien in einer frühneuzeitlichen Residenzstadt, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 165 (2017), S. 173-206.

Werkstetter, Christine: "… auß Wohlmeinender Vorsorg vor deß gesamten Creises Wohlfahrt". Gesundheitspoliceyliche Maßnahmen des Schwäbischen Reichskreises in Zeiten der Pest, in: Das Reich in der Region während des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit (= Forum Suevicum. Beiträge zur Geschichte Ostschwabens und der benachbarten Regionen Bd. 6), hrsg. von Rolf Kießling und Sabine Ullmann, Konstanz 2005, S. 225-257.

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